Etliche Kunden stellen sich vor der Marien-Apotheke in Wien-Mariahilf an. Karin Simonitsch war die erste Apothekerin, die Corona-Schnelltests angeboten hat, die Nachfrage nach Terminen ist hoch. Bezahlt wird in der Apotheke vor dem Test, der dann in einem kleinen Lokal ums Eck stattfindet.

STANDARD: Einige Tausend Tests haben Sie seit 9. November schon gemacht, einer kostet 20,75 Euro. Was verdienen Sie pro Test?

Simonitsch: Das will ich Ihnen nicht sagen, da würden ein paar grün vor Neid werden. Aber natürlich verdienen wir daran. Eine Apotheke ist keine karitative Organisation.

"Wir Apotheker stehen an der Front und standen auch im ersten Lockdown an der Front. Wo waren die Ärzte?", fragt Simonitsch.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Die Regierung bereitet nun Massentests vor. Klug?

Simontisch: Eine gute Idee, wenngleich mit riesigen logistischen Problemen. Stellen Sie sich vor, in Wien setzt sich mehr als eine Million Menschen in Bewegung, wow! Und die Schnelltests geben uns nur eine Momentaufnahme, sie müssten regelmäßig wiederholt werden und Container oder Teststraßen lang stehenbleiben. Man hätte früher mit den Tests beginnen sollen.

STANDARD: Sie kommen also zu spät?

Simonitsch: Es ist halt ein Unterschied, ob eine Regierung, die auf Wissen anderer angewiesen ist, Entscheidungen trifft oder Apotheker, die direkt am Kunden sind. Wir stehen an der Front, und, net bös sein, wir sind auch im ersten Lockdown an der Front gestanden. Wo waren die Ärzte? Ordinationen hatten zu, weil es an Ausrüstung wie etwa Masken mangelte – aber wir hatten die auch nicht. Wir haben uns Visiere gebastelt, aus Büromaterial, damit wir arbeiten konnten. Jetzt haben wir Plexiglas, Personal und Kunden tragen Masken, das macht unseren Job gerade so anstrengend, denn man muss so laut reden, man brüllt von acht bis 18 Uhr.

STANDARD: Österreich hat in der zweiten Welle einen Rekordwert an Neuinfektionen. Wie ist die Regierung mit der Pandemie umgegangen?

Simonitsch: Bei der Entscheidung zum ersten Lockdown hätte ich nicht dabei sein wollen, da gehören Mut oder Kälte dazu, oder beides. In dieser Zeit hätten alle Parteien zusammenarbeiten müssen, da geht es um Konsens, hätte die Regierung auch die Opposition einbinden, das Wissen von Infektiologin Rendi-Wagner nützen müssen. Man macht immer Fehler, aber jetzt ist eine Zeit, in der man die wenigsten Fehler machen muss. Aber sie sind ja alle noch jung, vielleicht lernen sie dazu.

Selbst schuld an den Ansteckungen? Krankheiten soll man nicht bewerten, findet die Pharmazeutin.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sind die Leute selbst schuld an den Infektionszahlen? Stichwort Halloween, Garagenparty?

Simonitsch: Selbstverständlich nicht. Immer der latente Vorwurf: Wer sich ansteckt, war unvernünftig, hat nicht Abstand gehalten. Es kann auch zu Ansteckungen kommen, wenn man aufpasst, und abgesehen davon soll man Krankheiten nicht bewerten. Eine Krankheit ist eine Krankheit.

STANDARD: Aber im Lockdown muss man sich halt zusammenreißen?

Simonitsch: Es ist auch eine Frage des Alters, wie gut man es aushält ohne soziale Kontakte. Die jungen Leute brauchen die, brauchen Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen, viel mehr als wir Alte. Jetzt sitzen die den ganzen Tag daheim vor dem Computer, wenn sie studieren werden sie von ihren Skripten erschlagen. Das war einer der Gründe, warum ich mit den Schnelltests begonnen habe: Ich lasse mich testen, ob ich heute negativ bin; wenn ja, kann ich mich mit ein paar anderen treffen, die auch negativ sind. Es muss ja nicht jeden Tag sein.

STANDARD: Sollen wir heuer Weihnachten feiern wie immer?

Simonitsch: Naja, das ist eine Frage des Denkmusters. Man könne so sagen: Es werden richtig schöne Weihnachten, in einem kleineren Format, wir haben Zeit zu backen, die Vanillekipferl Freunden zu bringen und müssen nicht am Tag danach, wenn grad die Kerzerl ausgeblasen sind, in die Dom Rep fliegen oder zum Skiurlaub aufbrechen. Wobei: Ich selbst halte von dieser Weihnachtsseligkeit gar nichts, wir haben keinen Christbaum und ich bin froh, wenn ich mich ausschlafen kann.

STANDARD: Aber wird es ungesund, wenn wir feiern wie früher?

Simonitsch: Nein, wenn die Leute in kleinem Rahmen feiern geht das. Aber es dauert halt alles schon so lang, das macht die Leute mürbe. Ich bin sicher, dass alles wieder besser wird, aber ich bin nicht sicher, dass wir zurückbekommen werden, was wir aus Vor-Corona-Zeit gewöhnt sind.

STANDARD: Sie haben Ihre Schnelltests ab 17. Oktober angeboten, mussten dann wegen Bedenken der Gesundheitsbehörden wieder aufhören ...

Simonitsch: Ja, die Behörde kam zu einer unangekündigten Visitation. Es war einfach nicht vorgesehen, dass Apotheken testen, und es gab daher auch keine Vorgaben. Wir haben ein Gutachten erstellen lassen, einen Hygieniker beschäftigt, und nach Verhandlungen der Apothekerkammer mit dem Ministerium dürfen Apotheken als naturwissenschaftliche Einrichtungen nun Tests durchführen, sie müssen sich nur beim Gesundheitsministerium melden. Und sie brauchen für die Tests eine räumliche Trennung vom Geschäftsraum und den Mitarbeitern.

STANDARD: Wer testet bei Ihnen?

Simonitsch: Ein Pool von zwölf Medizinstudenten mit Sanitäterausbildung, die am Ende ihrer Studienzeit stehen. Die freuen sich, weil sie etwas verdienen, und außerdem üben sie so den Kontakt zu Patienten. Die sind in Schichten von acht bis 18 Uhr da, am 23. und 24. Dezember wollen wir von sechs bis 20 Uhr bzw. bis zwölf Uhr testen.

STANDARD: Dürfen Sie das? Apotheken-Öffnungszeiten sind streng geregelt.

Simonitsch: Saustreng ist das alles, aber die Testungen sind kein apothekenspezifisches Angebot und finden in einem Nebenlokal statt. Ich würde mich trauen, an diesen speziellen Tagen die Tests dort zu machen und auch dort zu kassieren. Aber wenn ich das jetzt laut sage, zeigt mich vielleicht wieder wer an.

STANDARD: Ihre Kammer hat Sie einmal wegen unlauteren Wettbewerbs geklagt.

Simonitsch: Ja, weil wir Medikamente maschinell verblistern, also individuell dosieren und verpacken. Ich hab in dem Zusammenhang vor ein paar Jahren einen Auftrag für die Pflegeheime der Stadt Linz angenommen, für den sich dort keine Apotheke gefunden hatte, daraufhin hat mich meine eigene Kammer verklagt, unfassbar. Die Kollegen in Linz hatten sich beschwert. Ich habe aber beim Obersten Gerichtshof gewonnen.

STANDARD: Lassen Sie eigentlich alles vorab rechtlich prüfen?

Simonitsch: Sicher. Ich bin schon auch stur – aber ins Unrecht setze mich nicht. Halbseidenes Vorgehen, das hab ich nicht notwendig.

STANDARD: In der Schweiz und in Großbritannien gibt es Schnelltests in Apotheken schon lang. Hat das bei uns die Bürokratie verhindert?

Simonitsch: Nein, die Inflexibilität der Ärztekammer. Sie will, dass nur Ärzte testen, aber ich versteh’s nicht: Sieht der Arzt besser? Was kann der Arzt in dem Fall besser? Wir stellen ja keine Diagnose, sondern sagen nur, dass der Patient derzeit negativ oder vorläufig positiv ist und in diesem Fall zum PCR-Test muss. Und da ist eh wieder der Arzt dabei.

Getestet wird in einem Raum ums Eck, Medizinstudenten machen den Abstrich.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Jetzt bieten immer mehr Apotheken Schnelltests an ...

Simonitsch: Ja, und das ist gut so. An jeder Ecke sollte das möglich sein, und Apotheken bieten sich an, weil sie der niederschwelligste Zugang im Gesundheitssystem sind. Die Kunden kommen in eine Apotheke, anonym, werden von einem Akademiker beraten und müssen nichts kaufen. Wo gibt’s das sonst noch? Bei jedem Arzt, Notar, Anwalt klingelt gleich die Kassa, bei uns nicht.

STANDARD: Der Onlinehandel boomt im Lockdown. Österreichs Apotheken dürfen seit 2015 nichtrezeptpflichtige Medikamente online verkaufen, nützen das wenig. Ändert sich das nun?

Simonitsch: Ich hoffe nicht. Wenn Amazon in den USA bald auch Onlineapotheke ist, sehe ich schwarz.

STANDARD: Sie selbst bieten gar nichts online an. Warum nicht? Wäre doch praktisch für die Kunden.

Simonitsch: Für mich kommt das überhaupt nicht infrage. Es ist wichtig, dass Menschen physisch da sind, auf beiden Seiten der Budel. Und der Preis ist bei uns das Letzte, worüber man sich unterhält, die meisten Preise sind ohnedies geregelt. Unsere Leistung, unsere Produkte müssen dem Kunden etwas wert sein. Und Rabatte geben? Warum? Manche kommen zu uns und sagen, sie bekommen überall hier in der Gegend Rabatt. Aber stehen die überall einem Akademiker gegenüber, der sie berät? Geht’s nur um die Kohle? Ist es das? Na, dann sollen sie bitte weitergehen.

STANDARD: Ihre Apotheke gibt es seit 1909. Ist sie eine Grätzelinstitution?

Simonitsch: So ähnlich. Ich betreue als Stadtteilgärtnerin auch ein Kräuterbeet da draußen. Da können sich die Leute am Abend das Basilikum für den Mozzarella mitnehmen oder die Minze für den Mojito. Eine Apotheke ist eine lokale Institution und hat einen Versorgungsauftrag.

STANDARD: Die Marktmacht von Großhändlern wie Herba Chemosan nimmt zu. Sie beteiligen sich auch an Apotheken, die Bundeswettbewerbsbehörde beschäftigt sich mit dieser Entwicklung. Wie sehen Sie das?

Simonitsch: Da entstehen natürlich Abhängigkeiten, und jeder Unternehmer muss entscheiden, welche Abhängigkeiten er eingehen möchte. Ich will das nicht. Das Problem, das unsere Branche wirklich hat, das ist selbstgemacht: Das sind die nicht mehr arbeitenden Konzessionäre, die Eigentümerkonstellationen, bei denen pensionsreife Apotheker immer noch auf ihre Konzession warten. Denn in der Pharmazie gibt es kein Alterslimit. Das sollte es aber geben.

STANDARD: Sie kennen das aus eigener Erfahrung: Schon Ihre Großmutter und Ihre Mutter haben die Apotheke geführt.

Simonitsch: Meine Großmutter war Jahrgang 1905 und eine der ersten Frauen in Österreich, die Pharmazie studiert haben. Sie war sehr stark, was es für meine Mutter schwer gemacht hat. Ich hab nur Pharmazie studiert, weil man mir versprochen hat: "Zum Magisterium bekommst du einen Opal-Ring." Und ich wollte den Ring. Nach einigen Jahren im Beruf hab ich ihn meiner Mutter zurückgegeben und gesagt: "Das hier ist mein Traumjob" und das ist er immer noch. Der Beruf passt perfekt zu mir und meinem kleinen Helfersyndrom. Wir hier haben das alle: Wir sind Menschen gerne behilflich und bieten ihnen vernünftige Lösungen für ihren Probleme an. Ich kann als Unternehmerin arbeiten mit einem wissenschaftlichen Background: eine Supergschicht.

STANDARD: Aber die Konzessionsübergabe war schwierig?

Simonitsch: Ja, meine Großmutter hatte die Konzession, bis sie 86 Jahre alt war. Als sie an meine Mutter ging, war aber ich schon in den Startlöchern. Ich habe die Apotheke 1999 von meiner Mutter gepachtet, die Konzession bekam ich 2010. Wir hatten sehr, sehr lang große Probleme, und es ging um viel Geld.

STANDARD: Wird Ihre Tochter die Apotheke übernehmen?

Simonitsch: Ja, sie studiert Pharmazie. (Renate Graber, 29.11.2020)