"Beim Essen erkenne ich maximal in Ansätzen, ob etwas süß oder scharf oder salzig ist", sagt Thomas Diethart.

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Thomas Diethart kam hoch hinaus, gewann 2013/14 die Vierschanzentournee und landete auch mal am Dach seines Elternhauses.

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Schädel-Hirn-Trauma, Einblutung ins Gehirn, eine Lungenquetschung, zwei gebrochene Rippen, eine Rissquetschwunde im Gesicht. Es hat nicht gut ausgeschaut, ich hab nicht gut ausgeschaut. Passiert ist es am 29. November 2017 bei einem Trainingssturz in der Ramsau. Mein dritter schwerer Sturz, danach hab ich die Karriere beendet.

Aber erst Monate später bin ich draufgekommen, dass ich durch das Trauma den Geschmacks- und den Geruchssinn verloren hab. Eigentlich hat’s meine damalige Freundin bemerkt, weil ich das Essen extrem gewürzt hab und mit viel zu viel Parfüm herumgelaufen bin.

Sollte ich Corona kriegen, würde ich jedenfalls nicht merken, dass ich nichts mehr schmecke und rieche. Das geht ja jetzt vielen so, aber bei den meisten geht’s schnell vorüber. Ich hab auch wieder Hoffnung geschöpft, seit circa einem Jahr rieche ich vor allem wieder etwas mehr. Der erste Geruch, den ich wieder wahrgenommen hab, war Kokos. Meine Freundin hat ein Raffaello genascht, ich hab das nicht gesehen, aber ich hab es gerochen – und mich irrsinnig darüber gefreut. Jetzt hab ich sogar ein Duschgel mit Kokosduft.

Beim Essen erkenne ich maximal in Ansätzen, ob etwas süß oder scharf oder salzig ist. Und doch ernähre ich mich, seit ich kein aktiver Sportler mehr bin, also eigentlich, seit ich kaum mehr etwas schmecken kann, viel besser als vorher. Obwohl ich mehr esse, hab ich immer noch das gleiche Gewicht. Essen ist kein Stress mehr für mich. Früher gab’s immer das Thema, dass ich zu schwer bin, um gut zu springen, und ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu viel gegessen habe.

Vor seinem Trauma hatte Diethart als Skispringer ein anderes Problem: er musste darauf achten, nicht zuzulegen.
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Jetzt kann Essen für mich ein Genuss sein, auch wenn ich kaum etwas schmecke. Ich kann mich ja noch erinnern, wie etwas geschmeckt hat, das hab ich abgespeichert. Deshalb ess ich immer noch gerne, was mir früher, vor dem Sturz, geschmeckt hat. Ich achte sehr auf die Konsistenz der Speisen, und mir ist besonders wichtig, wie mein Essen aussieht. Ich esse auch mit den Augen, sicher mehr als andere.

Aufpassen muss ich auch mehr als andere. Ich würde nicht merken, wenn ein Lebensmittel verdorben ist. Ich schau ständig aufs Ablaufdatum. Und ich schreib auf jede Verpackung, an welchem Tag ich sie aufgemacht hab. Alkohol trink ich sehr selten, ich trinke hauptsächlich Wasser. Alkohol würde ich auch nur bemerken, wenn er brennt.

Zur Routine ist geworden, dass ich fünfmal nachschaue, ob alles abgedreht ist. Vor allem der Herd. Ich würde es nicht riechen, wenn’s irgendwo brennt. Es gibt auch Orte, wo es, zugegeben, ganz gut ist, wenn man nichts riechen kann, das stille Örtchen ist ein solcher Ort. So gesehen hat die Sache auch ihre Vorteile. Aber die Nachteile überwiegen klar. ((Zugehört und aufgezeichnet hat Fritz Neumann, 29.11.2020)