2019 gab es in Österreich rund 167.800 Alleinerziehenden-Familien.

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Eine kommt hier nicht zu Wort – zumindest nicht im klassischen Sinn. Sie quäkt und quietscht und jauchzt zwar immer wieder während des Videogesprächs. Sie gestikuliert auch mächtig. Ihre Hände fliegen wie kleine Sternschnuppen durchs Bild. Doch Amelie ist erst fünf Monate alt. Ihre Mutter Sophia Z. spricht mit dem STANDARD über die ersten Monate der beiden, möchte aber anonym bleiben. Wo ihre Tochter zappelig ist, bleibt die 21-Jährige ruhig. Obwohl sie erst seit wenigen Monaten Mutter ist, bewegt sie sich geübt nur dann, wenn Amelie zu heftig mit ihren Ärmchen rudert. Dann ändert Sophia ihren Griff und umarmt das kleine Mädchen ein bisschen enger.

Dabei erzählt sie unbeirrt mit ruhiger Stimme über das vergangene Jahr. Über die Einsamkeit als alleinerziehende Mutter in Wien mitten in einem Lockdown. Über finanzielle Probleme, weil sie ihre kleine Tochter allein großzieht. Und spricht offen über ihre größten Ängste während der Corona-Pandemie.

Immense Herausforderungen

Sophia ist mit vielen ihrer Erfahrungen nicht allein. 2019 gab es in Österreich rund 167.800 Alleinerziehenden-Familien mit etwa 248.800 unselbstständigen Kindern unter 25 Jahren. In über 91 Prozent der Ein-Eltern-Familien sind es die Mütter, die Kinder allein erziehen.

Die Pandemie bedeutet für sie vor allem: Schwierigkeiten, die es vorher schon gab, werden jetzt schlimmer. "Corona verschärft Probleme für Alleinerziehende auf diversen Ebenen", sagt Jana Zuckerhut. Sie ist Projektleiterin bei der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende (ÖPA). Die emotionale Herausforderung an Alleinerziehende sei etwa immens. "Alleinerziehende können die Verantwortung nicht mit einem zweiten Elternteil teilen", sagt Zuckerhut. "Ihnen fällt die Decke auf den Kopf – gerade wenn sie kleine Kinder haben."

Lücken in Familienhärteausgleichsfonds

Damit hat Sophia zu kämpfen. Sie ist in ihrem Alltag allein für ihre Tochter verantwortlich: "Amelie ist immer mit mir zusammen." Vom Kindsvater ist sie seit Beginn der Schwangerschaft getrennt. Er wohnt in einem anderen Bundesland. Seine Tochter sieht er nur alle paar Wochen, und auch dann nur einen halben Tag. Doch auch Kontakte mit anderen Menschen sind rar. Babytreffen, um andere Mütter kennenzulernen, oder einfach mit ihren Freund*innen Zeit verbringen: All das kann Sophia gerade wegen Corona nicht machen. "Ich bin wirklich auf mich allein gestellt", sagt Sophia. Einzig ihre Mitbewohnerin nimmt ihr in dringenden Fällen das Baby kurz ab. Etwa wenn sie auf die Toilette muss oder sich selbst schnell etwas zu essen macht. "Das ist aber etwas anderes, als wenn ein Vater da wäre, der sich um das Kind kümmert", sagt Sophia.

Corona ist aber nicht nur psychisch belastend für Ein-Eltern-Familien. "Corona hat finanzielle Probleme für viele Alleinerziehende massiv verstärkt", sagt Zuckerhut. Schon 2019 waren 46 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte armutsgefährdet. Zuckerhut geht davon aus, dass sich die Situation 2020 verschärft. Ein Grund sei, dass Alleinerziehende ihren Lebensunterhalt auch in Nichtkrisenzeiten oftmals aus vielen kleinen Einkommen zusammensetzen. Sie würden in Teilzeit arbeiten, staatliche Unterstützung beziehen, aber oft auch in geringfügigen Anstellungen arbeiten, weil der geringe Stundenumfang sich eher an die Kinderbetreuung anpassen lasse. Diese Jobs in der Gastronomie oder im Tourismus seien vielfach gekündigt worden. Unterhaltszahlungen und finanzielle Unterstützung von Verwandten und Freunden seien ebenfalls durch die Corona-Krise bedroht. "Das wird im Familienhärteausgleichsfonds nur ungenügend berücksichtigt", sagt Zuckerhut.

Sorge um Kinder

Auch Sophia berichtet von finanziellen Schwierigkeiten. Sie erhält zwar Alimente vom Kindsvater. Probleme hatte sie aber mit staatlichen Unterstützungen. Corona führte zu Bearbeitungsrückständen in Behörden. Die junge Mutter musste zwei Monate auf die Bearbeitung ihres Antrags für das Kinderbetreuungsgeld warten. Eine Beihilfe steht noch immer aus. Ihre eigene Mutter konnte sie insoweit unterstützen, als sie Lebensmittel und Windeln kaufen konnte. Dennoch musste die 21-Jährige Privatschulden machen. Auch nachdem sie das Geld für die zwei Monate rückwirkend ausgezahlt bekommen hat, ist ihre finanzielle Lage weiter angespannt: "Ich habe heute meine letzten 13 Euro ausgegeben für etwas zu essen", sagt sie.

Sophia berichtet, dass sie nun das erste Mal in ihrem Leben Mindestsicherung beantragt hat. Auf die Nachfrage, wie es ihr dabei geht, lacht die junge Frau freudlos auf. "Für mich war die Mindestsicherung nie etwas Positives", sagt sie. "Es war kein gutes Gefühl."

Trotz Einsamkeit und finanzieller Probleme ist ihre größte Sorge aber eine andere. "Wie es weitergehen soll", sagt Sophia. "Was mache ich, wenn mein Kind oder ich uns anstecken?" Laut Zuckerhut haben viele Alleinerziehende Angst, als Betreuungsperson auszufallen – nicht nur wenn sie im Krankenhaus sind. "Was passiert mit dem Kind, wenn ich tatsächlich sterbe?", sagt Zuckerhut. "Wo kommt mein Kind dann hin? Diese Sorge treibt viele um."

Fehlende Strategien der Regierung

Die Regierung biete für diese und andere Sorgen keine Lösungen. "Da fehlen die Strategien", sagt Zuckerhut. Neben mehr finanziellen Hilfen wünscht sie sich etwa für Familien kostenlose mobile Betreuung für Kinder. Das würde auch Sorgen nehmen, was im Fall einer Erkrankung passiert. Dann sei da noch die Regierungskommunikation. Hier seufzt die ÖPA-Projektleiterin hörbar. "Ich habe manchmal das Gefühl, dass da gegeneinander kommuniziert wird", sagt Zuckerhut. Fälle wie das Hin und Her bei der Schulschließung würden zu massiver Verunsicherung bei den Menschen führen.

Zuckerhut wünscht sich nicht nur klare Informationen für Erwachsene, sondern auch für Kinder von Alleinerziehenden. Auch sie hätten Angst vor dem Virus, bekämen gleichzeitig auch die Existenzängste ihrer Umgebung mit. "Wir hören von Kindern, die Panik haben, weil Schulfreunde das Virus haben. Das ist keine normale Ebene mehr, sondern wirklich hysterisch", sagt Zuckerhut. Die Kinder seien allein gelassen mit ihren Ängsten. Zuckerhut fordert, dass die Kinder mit ihren Sorgen ernst genommen werden.

Kleinkind Amelie ist noch zu jung, um finanzielle Schwierigkeiten und globale Pandemien zu verstehen. Als das Gespräch mit Sophia auf Existenzängste kommt, fängt Amelie an zu quengeln. Schließlich weint sie. Sophia streichelt ihrer kleinen Tochter über das flaumige Babyhaar. Wenig später wird Sophia selbst sagen, dass sie nicht weiß, wie es weitergehen soll. Jetzt sagt sie aber zu ihrer weinenden kleinen Tochter: "Alles gut, Maus." (Ana Grujić, 30.11.2020)