Setbesuch eines scharfzüngigen Autors: Gary Oldman verkörpert in "Mank" die Titelrolle des Herman Mankiewicz, Amanda Seyfried das Starlet Marion Davies.

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Zu jedem Meisterwerk gehört der Mythos, der es umrankt. Im Fall von Citizen Kane, Orson Welles’ Debüt von 1941, das es verlässlich in die Top Ten der besten Filme aller Zeiten schafft, sind das die Umstände seiner Entstehung. Die US-Filmkritikerin Pauline Kael versuchte 1971 im New Yorker mit dem Text Raising Kane den Beweis anzutreten, dass dem am Ende gerade einmal als Kodrehbuchautor angeführten Herman J. Mankiewicz die Urheberschaft an der Geschichte gebührt. Kael war keine Verfechterin der Autorentheorie: Nicht der Regisseur als Mastermind, sondern ein Bündel an kreativen Energien war ihrem Verständnis nach für das Gelingen eines Films verantwortlich.

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Zu jedem Meisterwerk gehören zudem die Übersetzer, die es für die Nachwelt neu aufbereiten. In diese Gruppe gesellt sich nun David Fincher, der nach einem Skript seines Vaters Jack, das stark auf Kaels Essay aufbaut, einen Film über Mankiewicz verwirklicht hat. Ein Projekt, das der US-Regisseur bereits seit Mitte der 90er-Jahre mit sich herumtrug und ironischerweise erst mithilfe von Netflix verwirklichen konnte. Der Film gilt bereits als heißer Oscar-Anwärter.

Wenn am Anfang des Vorspanns, den Fincher mit von ihm gewohnter Perfektion klassischen Hollywoodtiteln nachbildet, das Logo des Streamers aufscheint, mag das für manch cinephiles Herz ungehörig erscheinen. Doch Mank ist kein Film der nostalgischen Ausflucht, sondern ein durch und durch zeitgenössisches Produkt. Bis in die einzelnen Einstellungen hinein, deren digitale Schwarz-Weiß-Nuancen und minimalste Erschütterungen beim Dreh von Fincher in der Postproduktion verfeinert und akribisch nachgebessert wurden.

Ins Abseits gerutscht

Der Entstehungsprozess des Films, für den Orson Welles trotz seines Alters von erst 25 Jahren – er galt schließlich als Wunderkind – vom Studio RKO Pictures alle Freiheiten erhielt, ist in der viel reglementierteren Gegenwart freilich nicht mehr vorstellbar. Welles entschied sich für Mankiewicz zu einem Zeitpunkt, da dieser in Hollywood schon wieder ins Abseits gerutscht war. So sieht man ihn auch zu Beginn von Mank: Der von Gary Oldman mit ramponierter Würde und scharfem Sarkasmus verkörperte Autor wird wie ein Kriegsveteran mit eingegipstem Bein in eine abgelegene Ranch außerhalb von Los Angeles gebracht.

Unter strenger Obhut einer jüdischen Krankenschwester und einer britischen Sekretärin soll er das Drehbuch zu einem Film liefern, der damals noch American hieß. American wie der faulige amerikanische Traum, den der Medientycoon William Randolph Hearst (Charles Dance) personifizierte und von dem Citizen Kane am Ende handelt. Für Mankiewicz’ Insiderblick in das Reich des konservativen Strippenziehers, an dessen Machtfäden auch der MGM-Boss Louis B. Mayer (Arliss Howard) zappelte, begeistert sich Fincher am meisten – mehr als für das Duell mit Welles (Tom Burke), der hier eine Schattenfigur wie aus dem Dritten Mann bleibt.

Beim Dreh von "Mank": Gary Oldman als Herman J. Mankiewicz.
Foto: Netflix

Jeder Anlass ist dem Film deshalb recht, die Schreibwerkstatt in der Wüste wieder zu verlassen und mit Mankiewicz ins Hollywood der 30er-Jahre zurückzukehren (keine Sorge, Inserts erleichtern die Orientierung). Finchers erzählerischer Ansatz ist sprunghaft, aber voller Verve. Mannigfaltig sind die Einblicke in die kommerziellen Routinen des Filmgeschäfts. Die Studio-Führungskräfte sind taub für die Flachheit ihrer markigen Ansagen, die anderen hören sie schon heraus, aber mehr als ätzenden Humor haben sie nicht zu erwidern. "Hier können Millionen gemacht werden, die einzige Konkurrenz sind Idioten", telegrafiert Mankiewicz Schreibkollegen aus New York und muss dann doch in einer virtuosen Plansequenz neben dem wichtigtuerischen Mayer herlaufen.

Hinter den Studiofassaden

Doch Mank ist nicht einfach nur eine Hollywood-Selbstbespiegelung mehr. Fincher fräst sich mit der ihm eigenen Pedanterie, was die Rekonstruktion der klassischen Studioästhetik anbelangt, in die Bilder hinein, um seinen Blick auf das Machtgefälle, auf die Zwiespältigkeit sozialer Rollen zu richten. In einer der glamourösesten, zugleich wehmütigsten Szenen des Films folgt man Mankiewicz mit dem Starlet Marion Davies (Amanda Seyfried), der Geliebten von Hearst, nächtens durch dessen Garten, vorbei an Affen, Raubkatzen, Elefanten. Beide sind natürlich selbst Gefangene und erfüllen die in sie gesetzten Erwartungen noch dann, wenn sie sich aufmüpfig verhalten. Hearst selbst reagiert in der perfekt wächsernen Darstellung von Dance allenfalls amüsiert.

Politische Tiefenschärfe gewinnt Fincher dort, wo er das Zusammenspiel von Entertainment und Politik beschreibt. Hearsts Bekämpfung Upton Sinclairs, des sozialistischen Gouverneurskandidaten für Kalifornien, wird als entscheidendste Niederlage von Mankiewicz gedeutet. Er bekommt Wind davon, dass eine Filmkampagne bei MGM produziert wird, die mit Breitbart-würdigen Fake-News – Horden von Landstreichern, die ins Land strömen – den Schriftsteller beschädigen will. Er kann es nicht verhindern.

Fast zu unterkühlt und kontrollliert

Gänzlich gelingt es Fincher aber nicht, den tragikomischen Kern von Mank herauszuschälen, der erst im Autorenbett wieder die Deutungsmacht gewinnt. Dazu bleibt der Film einen Hauch zu kühl, zu kontrolliert, vielleicht auch zu detailversessen. Die famose Schlüsselszene zeigt ein Dinner, bei dem der sturzbetrunkene Mankiewicz vor Hearst schon sein "Märchen" eines megalomanischen Zeitungszaren skizziert. Eine Szene wie ein Fiebertraum, bei der Fincher manche Takes bis zu hundertmal wiederholt haben soll. (Dominik Kamalzadeh, 29.11.2020)