Am Freitag übte sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober erstmals seit Wochen in leisem Optimismus. Der "harte Lockdown" wirke, kommentierte er die von Donnerstag auf Freitag mit rund 5.000 neuen Fällen im Vergleich zu den Vortagen leicht gesunkene Zahl erkannter Corona-Infektionen. Die Situation bleibe jedoch "dramatisch". Tatsächlich sank die Fallzahl auch von Freitag auf Samstag mit 4.669 neuen Infektionen nur wenig.

Rund 5.000 neue Fälle binnen eines Tages, das sind, bezogen auf Österreichs Bevölkerung, mehr als doppelt so viele wie zum Beispiel in Deutschland. Dort starben von Donnerstag auf Freitag laut offizieller RKI-Statistik 426 positiv auf Corona getestete Menschen. In Österreich waren es vergangene Woche täglich rund 100, von Freitag auf Samstag sogar 132 – zweieinhalbmal mehr. Laut Statistik Austria gab es in der zweiten Novemberwoche unter Menschen ab 65 Jahren eine starke Übersterblichkeit.

Das Coronavirus hat Österreich in diesem Herbst schwer erwischt.
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Nun hat das Coronavirus Österreich in diesem Herbst vielleicht nicht nur aufgrund von Versäumnissen, sondern auch aus Pech besonders schwer erwischt: Der Erreger wütet europaweit stark und weist Eigenschaften auf, die dem Zufall breites Spiel einräumen. Reiht sich an einem geografischen Ort Superspreader-Ereignis an Superspreader-Ereignis, so gerät die Lage bald außer Kontrolle.

Doch in dem Bemühen, diese Entwicklung mit den klassischen Methoden des Zusperrens einzudämmen, schlägt sich die Alpenrepublik im Vergleich zu anderen Staaten bislang schlecht. Zwar ist es vier Wochen nach Beginn des "Lockdowns light" und zwölf Tage nach einer weiteren, beträchtlichen Verschärfung der Maßnahmen knapp gelungen, Triagen auf den Intensivstationen zu verhindern. Aber dafür liegt die gesamte Kultur im Koma, die Geschäfte und Schulen sind großteils zu, und immer mehr Bürgerinnen und Bürger stehen vor akuter Verarmungsgefahr.

Verbesserungseffekte

Daran dürfte sich in den kommenden Monaten nichts Grundlegendes ändern. Auch nach dem versprochenen "Lockdown-Ende" rund um den Einkaufsdienstag am achten Dezember werden viele Einschränkungen aufrechterhalten werden müssen – es sei denn, man riskiert sehenden Auges eine zeitnahe neuerliche Zusperrphase. Laut dem Simulationsforscher und Regierungsberater Niki Popper wird man die täglichen Fallzuwächse in den kommenden zwei, drei Wochen allerhöchstens auf einen "niedrigen vierstelligen Wert" drücken können – und damit auf Zahlen wie im September. Für wirkliche Lockerungen seien derlei Werte viel zu hoch.

In einer solchen Lage gieren Menschen nach Auswegen – doch die Vorschläge der österreichischen Bundesregierung eröffnen ihnen leider keine. Da gibt es die von Bundeskanzler Sebastian Kurz ins Spiel gebrachten Massentests. Laut mehrheitlicher Expertenansicht wird man dadurch zwar einige Tausend Infizierte herausfischen, längerfristige Verbesserungseffekte jedoch sind unwahrscheinlich.

Und auch der verbissene Vorsatz des türkisen Teils der Regierungsmannschaft, die heimische Skisaison zu eröffnen, hilft – abgesehen von den Touristikern – niemandem weiter. Dafür schadet er der Außenwahrnehmung Österreichs, das sich als ein Land darstellt, dem die Virenschleuder von Ischgl keine Lehre war. Ehrlicher wäre, als Zeithorizont für Verbesserungen den kommenden März zu nennen. Dann, wenn laut Experten die Effekte des hoffentlich angelaufenen Impfens und des wärmeren Wetters spürbar werden, mit einem möglichen Infektionsminus von 35 bis 40 Prozent. (Irene Brickner, 28.11.2020)