Corona und die hohen Infektionszahlen haben für neue Realitäten gesorgt. Geht es nach den deutschen Nachbarn bleiben Skigebiete wie Flachau-Wagrain-St. Johann geschlossen.

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Diese Woche kam es dicke, wie man in Deutschland zu sagen pflegt, dicke für Österreich. Es kam aus dem Mund der Bundeskanzlerin. Angela Merkel hat sich dem Aufruf des italienischen Premiers Giuseppe Conte zur europaweiten Schließung der Skigebiete bis Dreikönig angeschlossen und mit Frankreichs Emmanuel Macron die Führung übernommen.

Alle gegen einen, oder fast. Denn auch die Schweiz will wie Österreich Ski fahren lassen. Nachsatz: sofern es die Infektionszahlen hergeben.

Der Zorn richtet sich aber in erster Linie gegen Österreich. Von Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (VP) abwärts wollen sich alle für offene Pisten einsetzen. In der deutschen Argumentation wird indes immer wieder auf Ischgl verwiesen. Von dort hat sich das Coronavirus im Frühjahr in Windeseile über halb Europa verbreitet.

Weitreichende Gastfreundschaft

Der Liebesentzug der Deutschen schmerzt, stellen sie doch rund 50 Prozent der Auslandsgäste im heimischen Wintertourismus. Welches Gewicht haben die letzte Dezember- und erste Jännerwoche? "Das kann man exakt nicht beantworten, weil uns die Wochendaten fehlen", sagt Oliver Fritz vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Man müsse sich annäherungsweise behelfen.

Auf Dezember und Jänner entfallen rund 37 Prozent des Wintergeschäfts. Folglich könne man von einem Fünftel bis zu einem Viertel ausgehen, die in den zwei Wochen vor und nach Silvester erwirtschaftet werden. Das würde überwiegend wegbrechen, sollten die Anlagen geschlossen bleiben, sagt Fritz.

Die deutsch-österreichische (Gast-)Freundschaft reicht weit zurück. Mitte der 1960er-Jahre kamen Paul und Paula aus Hamburg nach Leisach in Osttirol. Dort, wo sie Quartier bezogen, gab es nur ein Zimmer, das Plumpsklo irgendwo, aber viel Herzlichkeit. Die Gastgeber mussten ihre Rolle erst lernen, wie viele andere zu Beginn des Tourismus in Österreich auch. Das Wasser wurde damals in vielen Häusern auf dem Land auf dem Holzherd erwärmt.

Kalt- und Warmwasser

In den 1970er-Jahren waren Paul und Paula noch immer da, inzwischen gab es aber schon fließend Kalt- und Warmwasser. Statt eines Zimmers wurden in den Sommermonaten zwei oder drei vermietet. Dann kamen erste Gäste auch im Winter. Nicht Paul und Paula – das waren keine Skifahrer. Andere kamen aus anderen Gegenden, weiterhin vorzugsweise aus Deutschland.

Der Winter gewann mehr und mehr an Gewicht, der Tourismus wurde zunehmend professioneller. Milliarden und Abermilliarden Schillinge, später dann Euro, wurden in Aufstiegsanlagen gesteckt. Der Rubel rollte. Verschlafene Orte in finsteren Tälern wurden zu hell leuchtenden Punkten auf der internationalen Reiselandkarte. Ischgl ist einer davon, aber bei weitem nicht der einzige.

Während man sich vor einem Jahr noch den Kopf zerbrach, wie den Auswüchsen des Massentourismus beizukommen sei, haben Corona und die hohen Infektionszahlen für neue Realitäten gesorgt. "Wenn wir weiter södern, besteht die Gefahr, dass wir heuer jeden einzelnen Skifahrer persönlich desinfizieren können", bringt Franz Schenner seine Sorge auf den Punkt.

Schenner ist Sprecher des Netzwerks Winter, eines Zusammenschlusses von Seilbahnwirtschaft, Skischulen und Beherbergungsbetrieben im Land Salzburg. Mit "södern" spielt er auf den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) an. Dieser will nicht nur Österreich-Urlauber in Quarantäne schicken, sondern auch (deutsche) Tagestouristen zehn Tage lang kasernieren, wenn sie Ski fahren in Österreich waren.

Und immer wieder Ischgl

Diese Volte kam etwas überraschend, waren Söder und Sebastian Kurz (VP) in Vor-Corona-Zeiten doch wirklich enge Spezln. Gern lud die CSU den österreichischen Kanzler zu Wahlkampfauftritten oder anderen Veranstaltungen nach Bayern. Dabei wurde die österreichisch-bayerische Freundschaft zelebriert.

Derzeit herrscht eher Eiszeit, von einer "Ski-Schlacht" zwischen Kurz und Söder schreibt die Bild-Zeitung gar. In Bayern herrscht große Sorge, dass die Deutschen wieder zur Pisten- und Hüttengaudi nach Österreich aufbrechen und dann, bei der Heimkehr, das Virus mit einschleppen.

Und immer wieder Ischgl.

Als es um die Zulassung von Zuschauern bei deutschen Bundesliga-Spielen ging, sprach Söder von einem möglichen "Fußball-Ischgl". Das empörte den Tourismusverband und den Bürgermeister von Ischgl so, dass man Söder in einem Brief bat, sich zu mäßigen. Eingeladen wurde er auch, gekommen ist Söder allerdings nicht

Söders Sorge ist aber nicht aus der Luft gegriffen. Eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigt, dass sich im Frühjahr von keinem anderen Corona-Hotspot aus so viele Infektionen in Deutschland ausgebreitet haben. Zudem heißt es in der Studie: "Landkreise, die näher an der sogenannten Superspreader-Location Ischgl liegen, haben systematisch höhere Infektionsraten als weiter entfernte." Und das sind ebenjene in Bayern.

Söders Rute im Fenster

Söder stellt eine noch größere Rute ins Fenster: "Wenn wir Grenzen offen halten wollen, brauchen wir auch eine klare Übereinkunft, was das Skifahren betrifft." Das ist ein deutlicher Hinweis auf Grenzschließungen. Diese allerdings kann Söder nicht verordnen, Grenzschutz ist Bundesangelegenheit. Kanzlerin Merkel, die zwar auch die (österreichischen) Skigebiete geschlossen sehen will, ist für offene Grenzen.

Söder und Kurz ritterten schon im Mai, nach dem ersten Lockdown, um Urlaubsgäste. Damals war Kurz per Video aus Wien zu einem CSU-Parteitag zugeschaltet. Deutsche könnten "ihren Urlaub im schönen Österreich verbringen", lockte Kurz, worauf Söder betonte: "Dann können übrigens Österreicher auch gern Urlaub in Bayern machen."

Zu dieser Zeit lächelten beide beim Fernduell noch, die Lage war auch rosiger: Nach dem Lockdown sank die Zahl der Neuinfizierten, alle freuten sich auf einen halbwegs unbeschwerten Sommerurlaub.

Gegenwind

Gegenwind bekommt Söder nun auch im eigenen Land. Sein Koalitionspartner, die Freien Wähler, sind gegen die Schließung von Skigebieten. Fraktionschef Florian Streibl verweist auf Hygienekonzepte und sagt: "Ein übernationales Verbot des Wintersports schränkt die Erholungssuche sehr vieler Menschen unverhältnismäßig ein."

Auch der Verband der deutschen Seilbahnen warnt, dass ein Verbot die Liftbetreiber an den Rand der Existenz bringen würde. (Birgit Baumann, Günther Strobl, 28.11.2020)