Am Wintertourismus hängen hunderttausende Jobs. Allein darauf zu verweisen brachte Johannes Kopf viel Kritik ein.

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AMS-Vorstand Johannes Kopf plädiert im Gastkommentar für einen veränderten Umgang mit jenen Stimmen, die aus beruflicher Verantwortung auch andere wichtige Aspekte als rein gesundheitserhaltende in die Diskussion einbringen.

Unlängst habe ich auf Twitter "laut nachgedacht" und damit einen erwarteten Sturm der Entrüstung ausgelöst. Ich wies nämlich darauf hin, dass es aus Sicht des Arbeitsmarktes sinnvoll wäre, heuer nicht gleich alles abzusagen, sondern doch eine entsprechend reduzierte Form von Wintertourismus in Österreich zuzulassen.

"Auch auf die Gefahr hin, dass dies viele böse Postings auslöst: Auch aus Arbeitsmarktsicht spricht einiges dafür, dass heuer ein Wintertourismus stattfindet."

Und wie erwartet folgten darauf unzählige wütende, teilweise sogar recht grobe Reaktionen, wie unverantwortlich, ja geradezu lebensgefährlich diese meine Überlegungen seien. Dass derartige Themen nicht immer sachlich diskutiert, sondern oft moralisierend niedergemacht werden, erlebte ich auch vor etwa 14 Tagen mit einem Dutzend DemonstrantInnen vor der Zentrale des AMS.

Konflikt um AMS-Schulung

Dabei wurde lauthals gegen die in der damaligen Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung vorgesehene Weiterführung der AMS-Schulungen während des "leichten" Lockdowns Anfang November protestiert. Und auch dabei war das Argument, dass gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit Schulungen wichtig sind, keineswegs gefragt.

Die belastende Situation, in der wir alle seit Monaten leben müssen, macht zwar manche von uns schweigsam und in sich gekehrt, veranlasst aber andere, ihre Stimme besonders unüberhörbar zu erheben.

Gesundheit absoluter Wert?

Dabei wird der Standpunkt, dass der Schutz von Leben diskussionsfrei einen absoluten Wert darstellt, hinter den alle anderen Notwendigkeiten zurückzutreten haben, oft als moralische Position verwendet, die deren Vertreter gleichsam unantastbar macht und verhindern soll, alle übrigen Folgen notwendiger Entscheidungen in Pandemiezeiten nicht mehr weiterzudenken und weiter diskutieren zu müssen. Aber genügt eine derartige Position schon, um recht zu haben?

Der Straßenverkehr in Österreich fordert jedes Jahr mehr als 400 Tote. Sollen wir ihn also abschaffen oder zumindest jeden, der diesem Vorhaben widerspricht, persönlich verunglimpfen? Ist es richtig, dass etwa ein Bildungsminister in sozialen Medien beinahe untergriffig attackiert wird, weil er sich dafür einsetzt, dass Schulen offen bleiben? Soll er dabei in seiner Argumentation primär auf gesundheitspolitische Überlegungen hinweisen oder vor allem pädagogische Dringlichkeiten klarmachen?

Und soll sich etwa eine Arbeitgeberorganisation vorwerfen lassen, dass sie bei der Forderung nach einem möglichst hohen Umsatzersatz für österreichische Betriebe, die gerade wochenlang zusperren müssen, nicht primär die Budgetbelastung oder die Höhe des Arbeitslosengeldes im Auge hat?

Wer was vertritt

Natürlich sollte jeder, der mit reden will, alle Aspekte derartiger Entscheidungen mitbedenken. Und als Verhandlungspartner wird er umso erfolgreicher sein, je besser er auch mit dem Kopf des anderen denken kann. Deshalb wird etwa eine Gewerkschaft zu besseren Abschlüssen kommen, wenn sie nicht aus den Augen verliert, was für die Arbeitgeber in den Verhandlungen überhaupt möglich ist.

Aber ist es deshalb die Kernaufgabe der Gewerkschaft, auf die Interessen der Arbeitgeber zu achten? Oder kommt der jahrzehntelange Erfolg der österreichischen Sozialpartnerschaft nicht dadurch zustande, dass zwei halbwegs gleich starke Verhandlungspartner primär an ihre Mitglieder denken und letztlich Kompromisse akzeptieren? Oder sollen in einer Demokratie die verantwortlichen Verhandler vom Anfang an den Kompromiss im Auge haben und nicht die Interessen ihrer Gruppe?

Ich frage mich, ob etwa ein Bildungsminister vor allem dafür bestellt ist, dass er sich nicht um Bildung, sondern um Gesundheitsfragen kümmert, oder ob dann folgegemäß Ärzte und Virologen wirklich primär allfällige Wirtschaftsfolgen im Auge behalten müssen, bevor sie ihre medizinischen Zukunftsprognosen und Empfehlungen abgeben.

Andere Experten hören

Wofür ich plädiere, ist ein veränderter Umgang mit jenen Stimmen, die aus beruflicher Verantwortung auch andere wichtige Aspekte als rein gesundheitserhaltende in die Diskussion einbringen. Denn es wäre ja geradezu absurd, wenn ein Bildungsminister nicht vor den Folgen von Schulschließungen warnt, bevor dann letztlich der zuständige Gesundheitsminister in Abstimmung mit dem Hauptausschuss des Nationalrats entscheiden muss.

So hat in einer Demokratie jeder seine Aufgabe und seinem Amt entsprechend seinen Standpunkt der Öffentlichkeit klarzumachen, ohne dass er sich vor allzu persönlichen Attacken der "Lebensretter" fürchten müssen sollte.

Schäubles Mahnung

Oder, wie es der Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble, zuletzt in einem Interview für den "Tagesspiegel" sagte: "Wir dürfen nicht allein den Virologen die Entscheidungen überlassen, sondern müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen abwägen. Zwei Jahre lang einfach alles stillzulegen, auch das hätte fürchterliche Folgen." (Johannes Kopf, 30.11.2020)