Zum 200. Mal jährt sich im kommenden Jahr der Ausbruch des griechischen Unabhängigkeitskriegs, eine wichtige Zäsur in der Geschichte Südosteuropas. Er prägte nicht nur die betroffenen Gebiete, sondern auch unzählige Biografien. Zu diesen zählte auch die des Wegbereiters der modernen Orientalistik und des ersten Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Joseph von Hammer-Purgstall.

Es ist Dirk Stermanns erfolgreichem Roman "Der Hammer" zu verdanken, das Leben des Ausnahmegelehrten Joseph von Hammer-Purgstall (1774-1856) erneut ins öffentliche Bewusstsein gebracht zu haben. Grundlage des Romans sind die aus dem Nachlass herausgegebenen Erinnerungen Hammers, aus denen Stermann nicht nur zahlreiche, oft nur geringfügig abgewandelte Textpassagen, sondern überhaupt das narrative Grundgerüst bezieht. Doch das weitaus umfangreichere Original von Hammer-Purgstalls "Erinnerungen aus meinem Leben" ist selbst Fachleuten kaum bekannt und kann noch mit einer ganzen Reihe weiterer Überraschungen aufwarten.

Ein Koffer voller Erinnerungen. Hammer-Purgstalls Memoiren in der Sondersammlung der UB Graz.
Foto: K. Petrovszky

Die über 6.000 handgeschriebene Seiten füllende Schrift dokumentiert in persönlicher, detailreicher und oft polemischer Weise das Leben des als Josef Hammer geborenen Grazers von 1774 bis 1852 (er starb vier Jahre nach Abschluss seiner Erinnerungen). Aus dem reichhaltigen Material hebt sich als ein zentrales Motiv das geradezu neurotische Verhältnis zwischen Hammer-Purgstall und dem berühmten Staatskanzler Metternich ab. Von Zeitgenossen gleichermaßen bewundert wie verachtet, prägte Clemens Wenzel Lothar von Metternich wie kein anderer die österreichische und europäische Politik zwischen dem Zerfall des napoleonischen Großmachtprojekts und der Revolution von 1848/49. Hammers Autobiografie lässt kaum ein gutes Haar an ihm. So bescheinigte er dem omnipotenten Staatskanzler nicht nur notorische Unaufrichtigkeit, sondern vor allem eine erbarmungswürdige Unwissenheit und – schlimmer noch – eine unheilbare Beratungsresistenz in den orientalischen Angelegenheiten, die Hammer besonders am Herzen lagen. Was waren die Hintergründe dieses angespannten Verhältnisses? Und wie kam es zu dem irreparablen Bruch von 1821/22, der, so erfahren wir aus seinen Erinnerungen, das definitive Ende der politischen Laufbahn von Hammer-Purgstall besiegelte?

Joseph von Hammer-Purgstall, (1774-1856)
ÖNB Bildarchiv Austria

"Ohne tätige Verwendung": Die Höhe der Berufung und die Niederung des Beamtentums

Nach langjähriger Ausbildung an der Orientalischen Akademie in Wien trat der aufgrund seines Sprachtalents geschätzte Joseph Hammer 1799 in den diplomatischen Dienst der Monarchie, der ihn zwei Mal nach Istanbul führte. Nachdem er im Sommer 1807 als kaiserlicher Agent (Konsul) im Fürstentum Moldau mitten im russisch-osmanischen Krieg einen kleineren diplomatischen Skandal ausgelöst hatte, wurde er nach Wien abberufen. Den Diplomatentitel durfte er noch ein paar Jahre lang nominell führen und wurde zum Hofrat ohne feste Aufgaben ernannt. "Ohne tätige Verwendung", wie er sich immer wieder beklagt, widmete sich Hammer fortan verstärkt seinen literarischen, philologischen und historischen Studien, bot sich aber immer wieder an und fühlte auf Beförderungschancen vor. Diese scheiterte nicht nur an Metternich selbst, sondern auch an dessen Kreis enger Vertrauter, die in Hammer einen zwar ausgesprochen wissenskundigen, aber letztlich lästigen Querulanten mit allzu losem Mundwerk sahen.

Metternich selbst gab ihm mehrfach zu verstehen, dass er ihn als "Geist", nicht aber als Politiker schätze. Vielfach zitiert ist sein gegenüber Hammer geäußertes Wort, er könne keine Poeten, sondern nur geistlose Maschinen im diplomatischen Dienst gebrauchen. In gleichem Sinne versicherte ihm der Staatskanzler bei anderer Gelegenheit, dass "ihm ein Esel besser als ein Gelehrter zum Internuntius (d.i. kaiserlicher Botschafter) tauge". Die einstige Macht der Hohen Pforte sei dadurch gebrochen worden, dass gerade keine allzu landes- und sprachkundigen Spezialisten entsandt worden seien, da "Orientalisten aus Verblendung der Pforte immer die Stange gehalten hätten" oder, modern gesprochen, "Türkenversteher" seien. Hammer verschlug es in Anbetracht dieser "ungeheuren Selbsteinbildung und politischen Fabulität" nicht selten die Sprache. Er verstand freilich, dass es allein darum ging, ihm mit jedem nur erdenklichen Argument den Gedanken auf eine verantwortungsvollere Position jenseits des Hofdolmetschers aus dem Kopf zu schlagen. Doch Hammer wollte nicht lockerlassen, und die Zuspitzung der politischen Lage im östlichen Mittelmeerraum zu Beginn der 1820er Jahre schien in der Tat seine Expertise erforderlich zu machen.

Hammer und der Ausbruch der griechischen Revolution

Wie andere revolutionäre Erhebungen stellte auch der griechische Aufstand das von Metternich kunstvoll errichtete politische Gefüge auf die Probe, das auf dem Wiener Kongress 1815 vereinbart worden war. Der dort formulierte Grundsatz der Vermeidung eines illegitimen Umsturzes führte zu einer bis dahin ungekannten Verzahnung der Innen- und Außenpolitiken europäischer Staaten. Der griechische Aufstand brach an zwei Schauplätzen, in den Donaufürstentümern und der Peleponnes, beinahe gleichzeitig los und drohte nicht allein den osmanischen Balkan in eine tiefe Krise zu stürzen. Den Grundsätzen des Kongresses verpflichtet, richtete sich die österreichische Politik gegen eine weitere Schwächung des Osmanischen Reichs sowie innenpolitisch gegen den immer populärer werdenden Philhellenismus, die Begeisterung für alles Griechische.

Roxandra Edling-Sturdza, 1786-1844
Wikiommons

In den Wiener Salons der Nachkongress-Zeit machte Hammer die Bekanntschaft zahlreicher Vertreter der griechischen Diaspora sowie zukünftiger Akteure des kurz darauf entbrennenden Aufstands (Anthimos Gazis, Richard Church, Stratford Canning oder Ioannis Kapodistrias). Die laufende Mobilmachung für "die Sache der Griechen" sei schon länger Thema eingeweihter Tisch- und Abendgespräche gewesen, so Hammer. Er selbst, der bekanntlich von osmanischer Geschichte und Kultur fasziniert, jedoch von der osmanischen politischen Wirklichkeit zutiefst desillusioniert war, sympathisierte mit den Aufständischen. Abende lang unterhielt er sich im Laufe des Winters 1820/21 mit der griechisch-russischen Aristokratin Roxandra Edling-Sturdza über die "griechischen Angelegenheiten" und urteilte "klar und richtig über den Triumph der griechischen Sache". Dennoch stand Hammer der um sich greifenden philhellenischen Begeisterung keinesfalls unkritisch gegenüber: "Es war damals Fanatismus für die griechische Sache in der Luft, den ich als solche nie geteilt, wiewohl ich stets den endlichen für die Griechen günstigen Erfolg voraus gesagt."

Als die Nachricht von der Erhebung und den anschließenden osmanischen Vergeltungsmaßnahmen schließlich Wien erreichte, verfasste Hammer gleich zwei Gutachten und sandte diese an Metternich. "Ich sprach unumwunden meine Meinung aus, daß dieser Aufstand kein so leichter und in kurzer Zeit zu tilgender, sondern ein weit verzweigter [war], die Unabhängigkeit der Griechen, welche die Pforte zu ohnmächtigen zur notwendigen Folge haben müsse." Bereits im Vorfeld hatte er sich mehrfach bemüht, den Staatskanzler, der sich gerne selbst als "Fels der Ordnung" stilisierte, auf das umstürzlerische Potenzial des Aufstands hinzuweisen, "welches damals nur zu ahnen in den Augen des Fürsten Metternich schon als Staatsverbrechen galt".

Die erwähnten Gutachten blieben unbeantwortet. In zweifelhaftem, aber umso ausdrucksstärkerem Englisch gab Hammer seiner Empörung über Metternich in einem Brief an seine gute Freundin, die geborene Schottin Gräfin von Purgstall (deren Erbe er 15 Jahre später werden sollte), freien Lauf: "I grow sick by the idea of further hammering on M. for oriental business" (18.Mai 1821).

"Ein Salonwurm als Internuntius"

Trotz der gläsernen Decke, an die er immer wieder gestoßen war, gab Hammer die Hoffnung nicht auf, das geneigte Ohr des Fürsten zu finden, um eine Position nach Maß zu erlangen. Angesichts seiner Kenntnisse und der ihm verliehenen akademischen Ehrungen kam für ihn allein die Internuntiatur in Konstantinopel, das heißt die Botschafterstelle selbst, in Frage, auf der sich mit Ausbruch des griechischen Aufstands ein Wechsel abzeichnete.

Der damalige Internuntius Rudolf von Lützow musste spätestens nach der Flucht des griechischen Aufstandsführers Alexandros Ypsilantis nach Österreich abberufen werden, um das ohnehin schon erschütterte Vertrauen der Hohen Pforte wiederherzustellen. Der Botschafterposten schien nun zum Greifen nahe, und Hammer begann seine Pläne danach auszurichten: "Ich beschloß, diesen entscheidenden Zeitpunkt [der Abberufung Lützows] abzuwarten und für den Fall, daß meine Hoffnung in Erfüllung ginge, die Schreibung der Geschichte des Osmanischen Reiches in der Hauptstadt desselben zu beginnen, wo ich während meines zweimaligen Aufenthaltes als Sprachknabe & dann als Gesandtschaftssekretär mich sowohl zur geschichtlichen als diplomatischen Laufbahn gehörig vorbereitet hatte, wie kein anderer."

Diese Hoffnung sollte jedoch nicht erfüllt werden. Denn nach Freiwerden des in jenen kritischen Tagen so wichtigen Botschafterpostens berief Metternich im Sommer 1822 Hammers alten Kollegen und späteren Intimfeind, Baron von Ottenfels, zum Internuntius. Hammer war entsetzt: "Der Streich, wonach mein Hintermann, der mir zu Constantinopel als Gesandtschaftssekretär meine Fußstapfen ausgetreten, der erbärmliche Kriecher, der, was seine Kenntnisse des Türkischen und des Osmanischen Reiches betrifft, nicht wert war, mir die Schuhriemen aufzulösen, mir auf so kränkende Art vorgezogen und also meine Aussicht auf den Posten von Constantinopel für immer vernichtet worden, war der empfindlichste meiner politischen Laufbahn." Metternich habe sich entschieden, so schloss Hammer, einen "Salonwurm als Internuntius dem Verfasser des Werkes über osmanische Staatsverfassung und Staatsverwaltung vorzuziehen, weil dieser [Hammer] – besser unterrichtet als jener – aus seiner Meinung über die griechische Frage und diese heraus zu sagen kein Hehl gehabt". Dies war "das größte politische disappointment meines Lebens".

Franz Xaver von Ottenfels-Gschwind (1778-1851)
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Geschichtsschreibung als Kompensation?

Da er sein Ziel nunmehr verfehlt hatte, war Hammer umso entschlossener im Feld der Wissenschaft Großes zu leisten. "Außer den großen Hebeln geistiger Tätigkeit und historischer Schriftstellerei stachelte meinen wahrheitsliebenden Geist und mein durch unverdiente Zurücksetzung (ich sage nicht durch Verweigerung des Gesandtschaftspostens, wohl aber durch gänzliche Nicht-Verwendung in orientalischen Sachen) gekränktes Gemüt noch der Gedanke auf, daß eben eine unparteiische, historische Darstellung... der Herrschaft, Diplomatie und Literatur der Osmanen in der Geschichte ihres Reiches vor der ganzen Welt der eigentliche Beglaubigungsbrief meiner Kenntnisse, die beste Widerlegung aller Sophistereien und diplomatischen Lügen sein werden, welche Metternich... zu verbreiten suchte und wider die ich durch Briefe und Reden in der Staatskanzlei und in den Gesellschaftssälen vergebens ankämpfte."

Das Resultat war Hammer-Purgstalls berühmte zehnbändige "Geschichte des Osmanischen Reichs“. Doch in der Publikationsgeschichte seines historischen Hauptwerks ist der zeitgeschichtliche Hintergrund des griechisch-osmanischen Konflikts weiterhin präsent. So befürchtete er etwa, dass ihm gerade der Anfangsband, der sich ausgiebig mit den osmanischen Eroberungen und der Zerschlagung der mittelalterlichen griechischen Staatenwelt befasste, als "türkenfeindlich" ausgelegt und von der Zensur zusammengestrichen werden könnte.

Dass es Joseph von Hammer-Purgstall nicht wirklich gelang, seine beruflichen Niederlagen durch Geschichtsarbeit zu sublimieren, davon zeugt seine in über elf Jahren verfasste monumentale Erinnerungsschrift. Als er die Feder dazu in die Hand nahm, war er bereits 67 Jahre alt und gehörte zu den weltweit höchstausgezeichneten Gelehrten. Doch weit davon entfernt Altersmilde walten zu lassen, eröffnete ihm die Autobiografie einen Raum, sich ohne Angst vor Zensur den über Jahrzehnte angestauten Frust von der Seele zu schreiben und alle "diplomatischen Sauereien in orientalibus" zu entlarven, als deren größtes Opfer Hammer-Purgstall sich selbst erachtete. (Konrad Petrovszky, 10.12.2020)

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