Ein Atomwissenschafter, so begabt er auch sein mag, macht alleine noch kein Atomprogramm. Einmal erworbenes – und meist akribisch dokumentiertes – technisches Wissen lässt sich nicht durch die Tötung einer oder mehrerer Personen aus der Welt schaffen. Das soll nicht heißen, dass es kein schwerer Schlag für den Iran ist, dass er nach General Ghassem Soleimani, der die regionale Hegemonialpolitik Irans personifizierte und zu Jahresbeginn von den USA getötet wurde, nun auch seinen "Vater des Atomprogramms" verliert. Aber der Symbolgehalt dürfte trotz der überragenden Rolle des am Freitag ermordeten Mohsen Fakhrizadeh die praktischen Auswirkungen übertreffen.

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Begräbnis des iranischen Atomforschers Mohsen Fakhrizadeh.
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Das wissen auch die Urheber des Anschlags, die vermutlich in Israel zu suchen sind, wenn der anonyme israelische Offizielle recht hat, der in der "New York Times" die Täterschaft indirekt bestätigte. Die Welt solle Israel dankbar sein, sagte er. Nun ist mit der Tötung Fakhrizadehs aber wohl weniger eine unmittelbare Gefahr abgewendet worden – als vielmehr die Möglichkeit für den nächsten US-Präsidenten, zur Iran-Diplomatie seines Vorvorgängers Barack Obama zurückzukehren.

Denn der Iran steckt fest in der Zange eines unauflöslichen Dilemmas: Reagiert er zeitnah direkt oder auch indirekt – durch seine Stellvertreterkräfte in anderen Staaten –, dann wird die US-Regierung, mit oder ohne Israel, die Gelegenheit ergreifen, die Amtszeit von Donald Trump mit einem Militärschlag, wahrscheinlich auf die Atomanlagen, ausklingen zu lassen. Im Moment scheint die iranische Führung das zu scheuen und verweist auf die "richtige Zeit" für eine Racheaktion. Wenn damit der Beginn der Amtszeit von Joe Biden gemeint ist, dann sitzt Teheran aber erst recht wieder in der Falle: Biden könnte auf einen iranischen Angriff, wo und wie auch immer, nur in Nuancen anders reagieren, als es Trump jetzt tun würde. Keinesfalls könnte er versuchen, die von Trump sabotierte Atomdiplomatie mit dem Iran wiederzubeleben.

Der Iran, mit einer darniederliegenden Wirtschaft, von Corona heimgesucht, schaut schwach und beinahe handlungsunfähig aus. Dass daraus Konzessions- und Kompromissbereitschaft erwachsen, sollte man jedoch besser nicht erwarten: schon gar nicht in einem Jahr, in dem im Juni die Präsidentschaftswahlen anstehen und über die acht Jahre des gescheiterten Pragmatikers Hassan Rohani gerichtet wird. (Gudrun Harrer, 30.11.2020)