Lassen wir den Nikolo – mit Abstand – doch einen guten alten Brauch sein, so die Wissenschafterin und Buchautorin Elsbeth Wallnöfer im Gastkommentar.

Der Nikolaus darf auch heuer kommen, vorausgesetzt, er hält die Hygiene- und Abstandsregeln ein – und überschreitet die Türschwelle nicht.
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Die durch die Ausnahmeverordnung zum Besuch des Nikolos durch die Regierung in verschiedenen Lagern ausgelöste Erregung verlangt einen Blick auf die Usance.

Wer ist dieser Heilige, der Agnostiker und Atheisten gleichermaßen in Wallung versetzt? Der Nikolo, oder Nikolaus, wie er im Westen heißt, ist eine weise, freundliche Figur, ein Sinnbild väterlicher Güte. Bis zur Erfindung bürgerlicher Gesetzesordnung durch die Nationalstaaten war er das ideale Vehikel zur moralischen Unterweisung. Als katechetisches Instrumentarium brauchte er zur dramaturgischen Steigerung einen Widersacher. Den fand man im triebhaften, strafenden Krampus. So ist dieses Duo leibhaftige Erscheinung einer folkloristischen Morallehre, das noch heute, vorwiegend auf dem Land, gemeinsam auftritt.

Kirchenkritischer Zorn

Der Heilige der beiden tat zahlreiche Wunder. Er rettete Feldherren vor der Hinrichtung, Mädchen vor der Prostitution durch den Vater, erweckte ermordete und in einem Fass gepökelte Jungen zu Leben. Kurzum, seine Legenden sind groß, die Patrozinien weit gestreut. Der populäre Heilige war gern genutztes Sinnbild folkloristischen Katholizismus und nicht zum ersten mal Anlass kirchenkritischen Zorns. So meinte Martin Luther, das rituelle Gehabe rund um den Nikolaus sei "baptistisches Getue", was dem Nikolauskult aber kaum schadete. Im Zuge der Gegenreformation nahm dieser Folklorismus eher noch an Fahrt auf. Eine wissenschaftliche Erhebung am Beginn der 1930er-Jahre bestätigte, dass der Nikolaus bis dahin, noch vor dem Christkind, als Gabenbringer rangierte.

Im großen Welttheater der Menschen fanden Nikolo und Krampus weitere Kritiker. Diesmal waren es die ersten Reformpädagogen. Da der Nikolo zwar Gutes lehre, jedoch in Begleitung des animalischen Krampus sei, wäre er nichts als ein Kinderschreck, den es gelte aus den Kindergärten zu verbannen. Dieser Einfluss hatte zur Folge, dass im sozialdemokratischen Umfeld der Krampus als Assistenzfigur verlorenging. Die kursorische Geschichte vom Nikolo ist damit längst nicht zu Ende erzählt. Als Nächstes fanden die Nationalsozialisten Gefallen an der populären Gestalt. In ihrer heidnischen, antichristlichen Haltung sahen sie über alle Quellen hinweg (Briefe, Homilien) und meinten, der Nikolaus sei kein gütiger und gnädiger Heiliger als vielmehr eine saturnalische, vegetationskultische Erfindung – in bester germanischer Manier. Auch die Gaben, die dieser bringe (Äpfel, Nüsse) seien in Wirklichkeit Herbstgaben, und das würde sie auf das nordische Julfest verweisen.

Ein Rollenspiel

In dieser Rolle kommen ihm allerdings Zauber und Magie seiner Güte abhanden. Der Nikolo ist Teil eines Rollenspiels an der Schwelle vom Kleinkind zum Jugendlichen. Dazu gehört zu entlarven, wer eigentlich hinter der Figur steckt. Andererseits ist er, so lehrt uns also die Historie, nicht weniger Teil eines kulturpolitischen Narrativs.

Und so müssen wir in der Tat zwischen der religiös-katechetischen, der anthropologischen, der folkloristischen und seiner politischen Funktion unterscheiden. Für Kinder ist der Besuch des Nikolos ein atmosphärisches Ereignis, das auch nach seiner Entzauberung für Kontinuität steht. Drum rettete sich seine Magie in die Erwachsenenwelt hinüber. Noch in den 1980er-Jahren traf man sich in der Stadt zu einem Nikolo- oder Krampuskränzchen, schrieb man sich termingerecht softpornografische Postkarten mit Krampus-Motiven.

Austroklerikale Tendenzen

Der vom politischen Furor geleitete Protest auf den Nikolo-Erlass ist ein Stellvertreterkrieg. Er führt am Sinn des Nikolo-Besuchs vorbei. Denn wer dem Postboten erlaubt, Päckchen an der Haustür abzugeben, kann auch den Nikolo an der Tür empfangen. So ein Besuch in gebotenem Abstand ist seuchengerecht, er trägt zur Auflockerung aller während der Lockdown-Tristesse gebeutelten Familienmitglieder bei. Derart besehen ist der Besuch schon aus psychohygienischen Gründen zu begrüßen.

Geäußerte Empörung ist dennoch nicht ganz verkehrt, sie sollte jedoch gezielter adressiert werden. Tatsächlich zeigt diese Regierung austroklerikale Tendenzen, die Funktion mit Mission zu vermengen. Die Regierung sollte aufhören, den Katholizismus zu radikalisieren, indem sie ebenbürtig am Nationalfeiertag zwischen dem Kanzler und dem Bundespräsidenten eine höhere Geistlichkeit positioniert. Ein laizistischer Staat sollte die Symbolik der Gewaltenteilung nicht mit religiösen Würdenträgern, die nur einen Teil einer Gesellschaft repräsentieren, vermischen. Nur zu gern kuscheln autokratische Regierungen (man denke an Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan, Donald Trump und andere) mit gottgläubigen Autoritäten und holen sich dabei den Teufel ins Haus.

Weihnachtsfest neu erfinden

Daher sollte man den Nikolo einen guten alten Brauch sein lassen, dem nach eingehender seuchenkonformer Prüfung der (erwünschte) Besuch erlaubt wird.

Um gleich dem Gewimmer wegen der Restriktionen zu den Weihnachtsfeiertagen zuvorzukommen, will erwähnt werden: In der Vergangenheit kam es wegen Seuchen, meist lokal, zu Einschränkungen. Wir sollten dies als Chance sehen, das Weihnachtfest neu zu erfinden. (Elsbeth Wallnöfer, 1.12.2020)