"Ich halte das für einen diplomatischen Skandal", sagt die grüne Politikerin Aslan, die sich vom Statement des türkischen Botschafters angesprochen fühlt.

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Manchmal sind es die Details, in denen eine große Botschaft steckt. Kürzlich gab der türkische Botschafter in Wien, Ozan Ceyhun, dem türkischen Medium Avusturya Günlüğü – Österreich Journal ein Interview. Dabei kam er auch auf die Tatsache zu sprechen, dass im Wiener Gemeinderat künftig türkeistämmige Personen vertreten sein werden. "Jeder Erfolg von türkeistämmigen Politikern kann mich nur mit Stolz erfüllen", sagte Ceyhun.

Dabei sei es völlig egal, von welcher Partei die Personen seien. Mit einer Einschränkung: Der Türkei gegenüber dürfe die Person nicht feindselig eingestellt sein. Man sei zwar offen für Kritik, aber nur "solange sie nicht Terrorgruppen wie die PKK oder FETÖ (Gülen-Bewegung, Anm.) unterstützen".

Auf den Hinweis des Moderators, dass vier türkeistämmige Personen im Gemeinderat vertreten sein werden, entgegnete Ceyhun: "Eine davon zählt sich ja nicht wirklich zu uns, aber es sind auf jeden Fall drei, die sich als türkeistämmig sehen." Wen könnte Ceyhun damit gemeint haben?

Zur Feindin erklärt

Die Antwort drängt sich auf. Die grüne Politikerin Berîvan Aslan taucht prominent in einem Bericht der Erdoğan-nahen Seta-Stiftung auf. Auf jenen Seiten wird die Struktur der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Österreich erläutert, die in der Türkei als Terrororganisation angesehen wird. Auch in Österreich sind ihre Symbole seit kurzem verboten.

In dem Bericht bescheinigt man Aslan, die Kurdin ist, aus einer "PKK-Familie" zu kommen. Zudem wird über die Erdoğan-Kritikerin geschrieben, dass sie "keine Gelegenheit auslässt, um PKK-Propaganda zu betreiben". Aslan wird in dem Bericht zur Feindin erklärt.

Dass ein staatsnaher Thinktank kritische Köpfe "als Terrorunterstützer zum Abschuss freigibt, finde ich sehr gefährlich", sagt Aslan. Es werde die falsche Information verbreitet, dass ihr Bruder als PKK-Kämpfer ums Leben gekommen sei: "Mein Bruder ist 1997 in Tirol bei einem Autounfall ums Leben gekommen."

Damit wird nun bewusst gerade jene türkeistämmige Politikerin ins Schaufenster gestellt, die derzeit aufgrund einer etwaigen Bedrohung durch den türkischen Geheimdienst (MIT) sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag unter strengem Polizeischutz steht. Aslan sollte, sofern die Aussagen eines mutmaßlichen Ex-Agenten stimmen, im Auftrag des MIT verletzt oder getötet werden. Eine unter Polizeischutz stehende Person "noch mehr ins Visier" zu nehmen sei nicht klug, sagt Aslan.

Der Botschafter wehrt sich

DER STANDARD erreicht Aslan kurz vor einer Sitzung im Rathaus – einem der wenigen Termine, die sie derzeit außer Haus wahrnimmt. Für sie steht außer Diskussion, dass Ceyhun von ihr sprach. Sie rechnet mit Drohungen: Vor diesen hätten sie auch Exil-Journalisten direkt nach dem Interview gewarnt. Immer wieder werde über sie als "die Andere" gesprochen.

Das sei gerade in der jetzigen Situation inakzeptabel: "Ich halte das für einen diplomatischen Skandal." Vom Außenministerium erwarte sie sich nun "klare Statements". Dieses sieht jedoch "keinen Anlass" für eine Stellungnahme. Was die mutmaßlichen Anschlagspläne auf Aslan betrifft, verweist das Ressort auf die laufenden Ermittlungen.

Der türkische Botschafter Ceyhun, der früher für Erdoğans Partei AKP kandidierte, war "traurig" über die Fragen, die er vom STANDARD zugeschickt bekam. Bei dem Interview habe er keinen Namen genannt, geschlechtsneutral geantwortet und darauf hingewiesen, dass sich eine Person selbst nicht zu den Türkeistämmigen zähle, beteuert Ceyhun.

Das könne er einer Person nicht einfach attestieren, wenn sie es selbst anders sieht. Türkeistämmig bedeute nicht, woher man komme, sondern ob man sich als Teil der türkischen Community sehe oder eben nicht. "Das war von mir höflich und fair, es ging mir nicht darum, eine Person schlechtzureden", führt er aus. Der Name Aslan sei in dem Gespräch zu keinem Zeitpunkt gefallen. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 30.11.2020)