Scott Atlas ist nicht mehr im Team von US-Präsident Donald Trump.

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US-Präsident Donald Trump musste in der Nacht auf Dienstag gleich mehrere Verluste verkraften. Zum einen trat sein favorisierter Berater in der Corona-Krise, der Mediziner Scott Atlas, zurück. Er hatte im Wahlkampf für das Konzept der Herdenimmunität Stimmung gemacht, Trump wollte den international anerkannten Seuchenexperten Anthony Fauci zeitweise durch ihn ersetzen – sah davon nach seiner Niederlage aber ab. Diese hat in der Nacht unterdessen weiter an Deutlichkeit gewonnen: Auch die Bundesstaaten Arizona und Wisconsin bestätigten ihr Wahlergebnis und damit den Sieg von Joe Biden. Trump, der weiter von Betrug im Ausmaß landesweit hunderttausender Stimmen spricht, hat das auf Twitter scharf kritisiert.

"Warum überstürzt er es, einen Demokraten ins Amt zu bringen?", schrieb der US-Präsident am Montagabend über seinen Parteifreund Doug Ducey, den Gouverneur von Arizona. Trump beklagte erneut angeblichen Betrug bei der Wahl, für den es keine Beweise gibt. "Was ist los mit Doug Ducey? Die Republikaner werden sich lange daran erinnern!", schrieb Trump. Er verbreitete anschließend Tweets anderer Nutzer weiter, darunter eine Nachricht, wonach der Republikaner Ducey die Menschen in Arizona "betrogen" habe. Trump schrieb in Großbuchstaben dazu: "Stimmt!"

Anruf abgelehnt

Bevor Trump über Ducey twitterte, hatte sich auf der Plattform eine Szene der Beglaubigung der Wahlergebnisse am Montag verbreitet, die nahelegt, dass Trump die Beglaubigung noch in letzter Minute verhindern wollte. Ducey holte während des Vorgangs sein Handy aus dem Sakko, bei genauem Hinhören ist kurz das Lied zu Ehren des amerikanischen Präsidenten, "Hail to the Chief", zu erkennen. Wenige Minuten später vibriert ein Handy etwa 20 Sekunden lang, bis Ducey nach seinem greift und es ruhig wird.

Ducey hatte im Juli bei einer Pressekonferenz über seine guten Beziehungen ins Weiße Haus gesprochen und gesagt, er habe einen so direkten Austausch mit Trump und dessen Stellvertreter Mike Pence, dass er sich "Hail to the Chief" als Klingelton eingerichtet habe, "weil ich keinen weiteren Anruf direkt aus dem Weißen Haus verpassen wollte". Es gab keine offizielle Bestätigung dafür, dass es Duceys Handy war, das während der Beglaubigung mit "Hail to the Chief" klingelte – und dass es sich wirklich um Anrufe aus dem Weißen Haus handelte.

Wenig später wurde bekannt, dass auch Wisconsin sein Wahlergebnis bestätigt hat. Dort gewann Biden mit einem Vorsprung von knapp über 20.000 Stimmen. Eine rund drei Millionen Dollar teure Teil-Neuauszählung, die die Wahlkampagne Trumps bestellt und bezahlt hatte, ergab am Vortag eine Verschiebung nur weniger Dutzend Stimmen – zugunsten Bidens.

Freund der Herdenimmunität geht

Kurz zuvor reichte Corona-Berater Atlas seinen Rücktritt ein. In einem Schreiben an Trump, das Atlas am Montagabend auf Twitter veröffentlichte, schrieb er: "Ich habe hart gearbeitet und mich auf eines konzentriert – Leben zu retten und den Amerikanern zu helfen, durch diese Pandemie zu kommen."

Der Radiologe, der keine epidemiologische oder virologische Ausbildung genossen hat, arbeitete seit August für die US-Regierung. Laut übereinstimmenden Medienberichten wäre sein Vertrag nach 130 Tagen diese Woche ohnehin ausgelaufen. Seine Rücktrittserklärung nutze er nun, um sich gegen Kritik zu verteidigen. Er habe sich stets auf die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse gestützt und dies "ohne jegliche politische Abwägung oder Einflussnahme" getan. Atlas hat sich gegen strenge Eindämmungsmaßnahmen ausgesprochen und zweifelt die Nützlichkeit von Masken an.

Mitte November hatte Atlas nach der Verschärfung von Corona-Auflagen in Bundesstaaten wie Michigan auf Twitter geschrieben: "Das endet nur, wenn die Menschen sich erheben." Der Tweet war vor allem deshalb brisant, weil nur wenige Wochen zuvor eine Gruppe Verdächtiger festgenommen wurde, die Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer laut Erkenntnissen von Ermittlern wegen der strengen Corona-Maßnahmen entführen und eventuell auch töten wollte. Atlas erklärte später, er wolle nicht zu Gewalt aufrufen. Der Radiologe schrieb in seiner Rücktrittserklärung, er wünsche dem "neuen Team" nur das Beste – und meinte damit offenbar das des gewählten Präsidenten Biden.

Kritik an Nominierung

Dieser steht indes erstmals wegen einer seiner Nominierungen in der Kritik. Die Republikaner schossen sich in der Nacht auf Neera Tanden ein, die künftig den wichtigen Chefposten des Haushaltsbüros im Weißen Haus leiten soll. Nach Jobs in den Regierungen von Bill Clinton und Barack Obama führte sie zuletzt die Denkfabrik Center for American Progress.

Tanden müsste im Senat Anhörungen sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Ausschuss für Heimatschutz und Regierungsangelegenheiten absolvieren, bevor sie in ihren Posten aufsteigen kann. Dort signalisierten mehrere Republikaner schon jetzt ihre Ablehnung: Der texanische Senator John Cornyn bezeichnete sie als "radioaktiv", für John Thune (South Dakota) ist sie "ziemlich parteiisch". Tanden debattierte auf Twitter in der Vergangenheit aber nicht nur mit Republikanern, sondern auch mit dem linken Flügel der Demokratischen Partei rund um Senator Bernie Sanders. Nach ihrer Nominierung am Montag äußerte sich der progressive Flügel trotz Tandens Nähe zur Establishment-Kandidatin Hillary Clinton zunächst unterstützend.

Ob Stimmen von Republikanern im Senat für ihre Nominierung wirklich gebraucht werden, ist noch offen. Bei der Stichwahl um den Senat in Georgia werden am 5. Jänner die zwei letzten Senatssitze vergeben. Gewinnen die Demokraten beide, was Umfragen als nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich ansehen, liegt die Machtbalance in der Kammer bei 50 zu 50. In diesem Fall hätte Vizepräsidentin Kamala Harris die entscheidende Stimme. (mesc, maa, APA, 1.12.2020)