Foto: NDR/ConradFilm, Bavaria Fiction

Im Sommer 1989 verschwindet Barbara Neder (Silke Bodenbender), Schwester des Hamburger LKA-Chefs Thomas Bethge, spurlos aus ihrem Haus in Niedersachsen. Kurz davor passierten in unmittelbarer Nähe zwei Doppelmorde. Die Polizei ist überfordert. Der Fall geht in die Geschichte der ungelösten Kriminalfälle ein. Erst 2017 gelingt es Bethge, auch dank einer hartnäckigen Polizistin (Karoline Schuch), die Wahrheit ans Licht zu bringen und den Mörder zu stellen. Das Geheimnis des Totenwaldes, so der Titel des ARD-Dreiteilers, am Mittwoch sowie am 5. und 9. Dezember, jeweils um 20.15 Uhr, beruht auf einem wahren Verbrechen.

Matthias Brandt spielt den LKA-Chef Bethge, der wie sein reales Vorbild Wolfgang Sielaff 28 Jahre nicht aufgibt. Das Buch stammt von Stefan Kolditz, Regie führte Sven Bohse. Zu sehen ist aber auch, wie Angehörige unter den Folgen des Verbrechens leiden. Das, sagt der ehemalige Polizeiruf-Kommissar, habe ihn an der Rolle besonders gereizt.

"Das Geheimnis des Totenwaldes" gibt Thomas Bethge (Matthias Brandt) Rätsel auf. An den Folgen des Verbrechens leiden auch die Angehörigen (Jenny Schilly, links, Hildegard Schmahl).
Foto: NDR/ConradFilm, Bavaria Fiction

STANDARD: Sie spielen den LKA-Chef Thomas Bethge, dessen Schwester verschwindet und der sie mehrere Jahrzehnte sucht. Was war für Sie interessanter – der Mann oder der Fall?

Brandt: Mich interessierte die Perspektive. Ich habe bekanntlich eine Reihe von Polizeifilmen gedreht. Wenn man in dem Metier arbeitet, ist es schwierig, das nicht zu tun. In Totenwald fand ich interessant, dass der Fokus auf den Opfern und Hinterbliebenen eines Verbrechens liegt. Das kommt nicht so oft vor. Es geht entweder um Leute, die ein Verbrechen begehen, und um Leute, die das Verbrechen aufklären – und um die Konfrontation zwischen diesen beiden. Was mit den Opfern ist und mit den Angehörigen, bleibt meistens ausgespart. Deshalb hat mich an der Figur weniger der ermittelnde Polizist interessiert, sondern mehr dieses Spannungsfeld zwischen dem hochrangigen Polizisten und jemandem, der gleichzeitig durch das Verschwinden seiner Schwester zum Kriminalitätsopfer wird und darin genauso ratlos ist wie jeder andere auch.

Silke Bodenbender ist Barbara Neder in "Das Geheimnis des Totenwaldes".
Foto: NDR/ConradFilm, Bavaria Fiction

STANDARD: Dahinter steht eine reale Geschichte, die in Deutschland für ziemliches Aufsehen gesorgt hat – wie haben Sie das mitbekommen?

Brandt: Der Fall war mir bekannt, wirklich beschäftigt habe ich mich damit aber erst, als mir die Rolle angetragen wurde.

STANDARD: Hatten Sie Kontakt mit Wolfgang Sielaff?

Brandt: Ja, wir haben uns getroffen. Mir war wichtig, dass die Geschichte ein fiktionaler Spielfilm wird, weil ich persönlich keine Dokudramen mag. Natürlich war Wolfgang Sielaff eine inspirierende Quelle. Er hat ein starkes Anliegen und zog für sich aus dem ganzen Vorgang den Schluss, sich für Kriminalitätsopfer einzusetzen. Er wollte, dass die Geschichte erzählt wird.

Trailer zum ARD-Dreiteiler "Das Geheimnis des Totenwaldes".
ARD

STANDARD: Wo hielt man sich an die Realität, wo erlaubt sich der Film künstlerische Freiheiten?

Brandt: Die Figur der Ermittlerin, gespielt von Karoline Schuch, ist zum Beispiel erfunden, was der Erzählung eindeutig gut tut. Es gibt aber so eine Art von vermeintlicher Beglaubigung durch sogenannte "Authentizität", von der ich glaube, dass hier ein Denkfehler steckt – weil es per se unterstellt, fiktionale Geschichten hätten mit der Realität nichts zu tun. Das ist totaler Blödsinn. Jede fiktionale Geschichte, die etwas taugt, basiert auf der Realität, auf Erfahrungen und Erlebnissen. Wie sonst sollte man zu Erkenntnissen gelangen?

STANDARD: Diesem großen Begriff der Authentizität ist grundsätzlich zu misstrauen?

Brandt: Dazu müsste erst eine Begriffsklärung stattfinden. Gibt es nicht auch in der Fiktion eine Form von Wahrhaftigkeit, mit der man viel eher zum Kern vordringt?

Hauptverdächtiger: Schwager Robert (Nicolas Ofczarek).

STANDARD: Interessieren Sie sich jetzt stärker für Cold Cases?

Brandt: Ich beschäftige mich beruflich auch ganz gerne mit anderen Themen. Diese totale Fixierung auf das Verbrechen finde ich gerade schwierig.

STANDARD: Speziell das deutsche Fernsehen hat aber eine gewisse Fixierung auf das Verbrechen.

Brandt: Das kann man wohl sagen, und ich habe keine simple Antwort, warum das so ist. Ich wäre aber ganz froh, wenn sich das Spektrum des deutschen Fernsehens wieder einmal erweitern würde. Es gibt durchaus andere erzählenswerte Geschichten. Mein Hauptfokus sind nicht die Cold Cases. An Menschen interessiert mich mehr, als dass sie sich gegenseitig umbringen.

STANDARD: Viele Kulturschaffende kritisieren im Lockdown die Schließung der Kultureinrichtungen. Wie stehen Sie dazu?

Brandt: Für viele meiner Kollegen ist die Tatsache, dass die Theater wieder zugemacht haben, tatsächlich unverständlich, und mittlerweile muss man sagen, dass die sogenannte Kulturlandschaft sehr verändert aus dieser Sache hervorgehen wird. Da gehen Zuschauerstrukturen kaputt. Viele Künstler sind existenziell bedroht.

STANDARD: Kritisiert wird vor allem die Bewertung, wonach Kultur nicht systemrelevant sei.

Brandt: Bei den Salzburger Festspielen haben alle darauf gewartet, dass es schiefgeht. Das Schiefgehen hätte Konsequenzen gehabt, das Nichtschiefgehen hatte wiederum keine Konsequenzen im positiven Sinne. In Deutschland wurden große Anstrengungen unternommen, es wurden Konzepte entwickelt, viele haben jetzt das Gefühl, eigentlich interessiert es keinen, und man hätte sich das alles sparen können, weil im Zweifelsfall ohnehin alles zugemacht wird. Ich bin nicht dafür, leichtfertig Veranstaltungen abzuhalten. Aber es wurde sehr schnell unterteilt in systemrelevante und nicht systemrelevante Berufe. Ich habe das erst zur Kenntnis genommen, weil man Leben schützen muss, das ist das Allerwichtigste, und das darf nicht kleingeistig sein. Nur die Tragweite der Entscheidung wird mir jetzt so langsam klar. Vielleicht sind wir Menschen, die in künstlerischen Berufen arbeiten, einem Irrtum aufgesessen und sind de facto viel weniger in der Gesellschaft verankert, als wir dachten. Es ist jedenfalls ein großer Irrtum, zu glauben, man könnte die Kultur für eine Weile abschalten und dann wieder anschalten wie ein Fernsehgerät. So funktioniert das nicht. (Doris Priesching, 2.12.2020)

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