Ist seit einem Jahr Premier und könnte es weiterhin bleiben: Ludovic Orban.

Foto: AFP / Daniel Mihailescu

Vor der Wahl kommenden Sonntag wurde noch schnell der Heilige Andreas gefeiert, ein sehr wichtiger Apostel in Rumänien. Weil aber die Regierung angeordnet hatte, dass dieses Jahr nicht wie sonst Zehntausende in die Andreas-Höhle in die Nähe von Constanza pilgern sollten, sondern nur die lokale Bevölkerung, begann der örtliche erzkonservative Bischof Theodosius gleich einen kleinen Krieg mit den Regierenden in Bukarest. Ein Grund könnte auch sein, dass die Pilgerreisen zum Heiligen Andreas viel Geld bringen, das nun wegen der Covid-19-Krise ausbleibt.

Zum Fest des heiligen Andreas kamen am Montag trotzdem nicht nur Bürger der Gemeinde. So war das Abstandhalten in der Höhle nicht mehr möglich, viele Priester trugen keine Maske, und der Chor, der alte schöne orthodoxe Gesänge zum Besten gab, stand dicht beieinander. Das Virus dürfte sich auch gefreut haben, dass die Gläubigen den Glassarg an der immergleichen geküsst hatten. Doch die Anwältin seiner Eminenz Bischof Theodosius meinte, Gott habe auch die Tataren, die Arafats und Lucovider besiegt – offenbar in Anspielung auf den Gesundheitsminister Nelu Tătaru, den Gründer des Rettungsnotdiensts in Rumänien, Raed Arafat, und Premierminister Ludovic Orban. Dessen Name wird von vielen als "LuCovid" verballhornt.

Orthodoxe Kirche steht Sozialdemokraten nahe

Dabei sind die Vorsichtsmaßnahmen der Regierung dringend notwendig, die Intensivbetten sind gerade in Constanța belegt. Doch in Rumänien – so wie in Westeuropa – gibt es Menschen, die denken, das Virus sei eine Glaubensfrage. Am St.-Andreas-Tag verwenden manche Knoblauch, weil sie glauben, dass sie damit die Toten abschrecken könnten, die am Abend des 30. Novembers zurückkehren.

In Rumänien steht die orthodoxe Kirche nicht – wie man annehmen könnte – der konservativen Regierungspartei PNL nahe, sondern den Sozialdemokraten (PSD), einer Bewegung, die aus der kommunistischen Partei hervorging. Auch Bischof Theodosius, der übrigens wegen der Annahme von Bestechungsgeldern und Meineids angeklagt war, hat enge Beziehungen zur PSD, die vor allem in den ländlichen Gebieten ihre Wähler hat.

Polarisierung zwischen Stadt und Land

Rumänien ist vor den nunmehrigen Parlamentswahlen gespalten: Einerseits gibt es da das städtische, aufgeklärte, liberale Publikum, andererseits die wenig gebildeten, den Traditionen verhafteten Bewohner auf dem Land, die viel weniger Möglichkeiten und Chancen haben, oft unter der Armutsgrenze leben und seit ewig von klientelistischen Zuwendungen von Parteien abhängen.

Die Politologin Marina Popescu betont, dass die Polarisierung zwischen Land und Stadt sowie die entsprechenden parteipolitischen Zugehörigkeiten bereits seit den 1990ern bestünden. "Diese Bevölkerungsgruppen haben völlig verschiedene Bedürfnisse, und man hat auf die Leute auf dem Land immer herabgeschaut", erklärt sie dem STANDARD die Vertiefung der Kluft. Sie meint auch, dass gerade jetzt in der Pandemie die Maßnahmen für viele Menschen nicht mehr nachvollziehbar gewesen seien, weil die Regierung zu wenig erklärt habe.

Junge liberale Partei

Die konservativen Landbewohner und die progressiven Städter, diese beiden Welten werden sich – den Umfragen zufolge – auch beim Urnengang widerspiegeln. Die bürgerorientierte liberale Union Rettet Rumänien (USR), die bei den Lokalwahlen im September stark abgeschnitten hat, könnte zwischen 15 und 25 Prozent bekommen, je höher die Wahlbeteiligung, desto mehr. Dabei ist die USR erst vier Jahre alt.

Die Partei sei im Westen des Landes deutlich stärker, erklärt der Politikwissenschafter Cristian Pârvulescu von der Universität Bukarest, sie beziehe offen Stellung gegen die Kirche, habe aber auch in den eigenen Reihen sehr unterschiedliche Positionen, von neoliberal bis sehr sozial. Die Bewegung sei deshalb besonders glaubwürdig, wenn es um Reformen geht, weil sie keine Klientel bediene und gegen den Filz ankämpfe. Erstmals wirklich gut abgeschnitten hat die USR bei den EU-Wahlen 2019 mit über 22 Prozent der Stimmen.

Transparente Auftragsvergabe

Die USR will das Parlament verkleinern, für mehr Transparenz sorgen – so sollen alle öffentlichen Aufträge online einsehbar sein – und einführen, dass niemand mehr ein öffentliches Amt bekleiden dürfen soll, der strafrechtlich verurteilt wurde. Es ist jedenfalls damit zu rechnen, dass aus der politisch äußerst einflussreichen rumänischen Diaspora viele Stimmen an die USR gehen.

Die Politikwissenschafterin Sorina Soare erklärt die Popularität der USR damit, dass sie zeige, dass auch völlig Neues möglich sei. So wurde die in Frankreich geborene Clotilde Armand nun Bürgermeisterin des Innenstadtbezirks von Bukarest und der Deutsche Dominic Fritz, ebenfalls auf dem Ticket der USR, Bürgermeister von Timișoara. Die USR ist nicht nur eine Antikorruptionspartei, sie steht auch für das europäische Rumänien, für Bildung und Weltoffenheit.

Geburtengeld

Auf der anderen Seite des ideologischen Spektrums ist die PSD zu verorten. Die Sozialdemokraten ziehen in Rumänien seit einigen Jahren vermehrt die nationalistische Karte. So fordern sie etwa – analog zur rechtskonservativen PiS in Polen – ein höheres Geburtengeld. Zurzeit setzen sie auch auf stärkere Investitionen in den Gesundheitssektor. Tatsächlich ist das Gesundheitssystem auch durch die liberale Sparpolitik der letzten Jahrzehnte auf einem sehr dürftigen Niveau. Gerade in der Pandemie wird das für viele sichtbar, wenn etwa Patienten auf Korridoren ausharren müssen.

Die PSD könnte kommenden Sonntag auf etwa 25 Prozent der Stimmen kommen. Eine Regierungsbeteiligung ist aber mehr als unwahrscheinlich, denn Präsident Klaus Johannis, der der konservativen Regierungspartei PNL nahesteht, wünscht sich eine Koalition mit der liberalen USR. Wenn sich das zahlenmäßig nicht ausgeht, wird wohl noch die Ungarnpartei UDMR dazugeholt. Der bisherige Regierungschef Orban dürfte Premier bleiben, die bestimmende Figur in der Partei bleibt aber wohl Johannis, der auch in den Umfragen höher liegt als der etwas blasse Orban.

Keine eindeutig populistischen Parteien

Seine PNL vertritt traditionelle Werte, setzt etwa auf das Thema Familie, wirtschaftspolitisch ist aber auch die PNL liberal. Der Politologe Pârvulescu sieht sein Land deshalb politisch vergleichsweise als "Paradies" an, weil "wir keine ganz eindeutig populistischen Parteien haben", sagt er zum STANDARD. Im Unterschied zu Ungarn oder Polen wirke Rumänien wie eine "Insel des Liberalismus", so Pârvulescu. In Bukarest legt man tatsächlich noch Wert auf die Meinung, die Brüssel hat – man inszeniert die EU nicht als Feindbild wie in Ungarn. Dennoch darf man nicht unterschätzen, dass die Gesellschaft im Vergleich zu Westeuropa konservativ ist.

So spielt auch die Pfingstkirche in Rumänien, die offiziell 300.000 Mitglieder zählt, in die Politik hinein. Auch Vertreter der Pfingstkirche haben sich nicht an die Covid-19-Hygienemaßnahmen gehalten. Im Sommer wurden 146 Personen bestraft, die an einer Taufe teilgenommen hatten. Auch die Kommunion wird in Rumänien in Kirchen noch immer oft mit ein und demselben Löffel verteilt. Die Evangelikalen haben starke Verbindungen zu neokonservativen Gruppen in den USA, etwa zu Noch-Vizepräsident Mike Pence. Andererseits ist auch der künftige US-Präsident Joe Biden ein guter Kenner Rumäniens. Er besuchte das Land dreimal. (Adelheid Wölfl, 2.12.2020)