Wenn's ums Schimpfen geht, wird's offenbar interessant, denn da kennt sicher jeder aus – oder doch nicht? Kaum bringt man Beispiele, in denen es um Jörg Haider ("Trottel") oder Schwarz-Blau ("Dreckskerle") ging, wird der Autor der politischen Parteinahme verdächtigt, wobei dann gleich übersehen wird, dass er die Sache mit den "Dreckskerlen" durchaus kritisch gesehen hat. Das hält er aus, der Autor, und er würde auch "Trottel" und "Dreckskerl" aushalten, findet es aber auch richtig, dass sich Politiker nicht alles gefallen lassen. Der Job, mag man dessen Ergebnisse auch nicht immer billigen, ist hart genug, und im Bestellungsdekret eines Politikers steht nichts davon, dass man sich auch vor die Tür kacken lassen müsse – weder in natura, wie vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich geschehen, noch metaphorisch. Aber abgesehen von der Erörterung juristischer Fragen sind manche dieser Geschichten mittlerweile auch zeithistorisch interessant, wie die gleich folgende, und zeigen uns außerdem, wie Rechtsfortbildung funktioniert – auf europäischer Ebene (mit Rückkopplung an die Mitgliedsstaaten des Europarats) mit tatkräftiger Unterstützung des EGMR in Straßburg.

"Mafiamethoden"

Simon Wiesenthal, der als "Nazijäger" bekannte Chef des jüdischen Dokumentationszentrums, hatte Dokumente gefunden, die nachwiesen, dass der damalige Chef der FPÖ, Friedrich Peter, Mitglied einer SS-Einheit gewesen war, die hinter der Ostfront Massaker an Zivilisten begangen hatte. Um Peter als Vizekanzler zu verhindern, legte Wiesenthal diese Informationen dem Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger vor, der diese an Bruno Kreisky und Peter weiterleitete. Kreisky brauchte die FPÖ zwar dann doch nicht als kleinen Koalitionspartner (1975), nahm aber Peter in Schutz. In Interviews bezeichnete er Wiesenthals Organisation als Mafia, warf ihm "Mafiamethoden" vor und unterstellte ihm, ein Gestapo-Spitzel und Nazi-Kollaborateur gewesen zu sein.

Peter Michael Lingens kommentierte dies als Chefredakteur des "Profil": "Bei einem anderen würde man es wahrscheinlich übelsten Opportunismus nennen. In Wahrheit kann man das, was Kreisky tut, auf rationale Weise nicht widerlegen. Nur irrational: Es ist unmoralisch. Würdelos." Kreisky klagte wegen übler Nachrede. Lingens wurde in zwei Instanzen verurteilt – die Gerichte verlangten einen Wahrheitsbeweis, da sie die Äußerungen als üble Nachrede qualifizierten. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hielt die Verurteilung für eine unzulässige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit, ging es doch um Werturteile, die in der scharfen Auseinandersetzung zulässig waren. Bei Werturteilen ist ein Wahrheitsbeweis unmöglich. Stimmt – eine üble Nachrede muss zumindest einen "Tatsachenkern" aufweisen, eine bloße Wertung aber nicht. Die Frage kann dann nur sein, ob die Wertung exzessiv ist – und das war sie hier nicht, das Verbot dieser Wertung "was not necessary in a democratic society for the protection of the reputation of others; it was disproportionate to the legitimate aim pursued."

And now for something completely different: ACAB

Diese Abkürzung steht für "All Cops are Bastards" und stand auf einem Transparent mit einer Größe von mehreren Quadratmetern, das im Wiener Hanappi-Stadion von einem Fußballfan geschwenkt wurde. Die Folge: Geldstrafe von 350 Euro wegen Verstoßes gegen den öffentlichen Anstand gemäß § 1 des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes, vom Verwaltungsgericht auf 150 Euro herabgesetzt, das aber immerhin meinte: "Einen anderen Menschen als 'bastard' zu bezeichnen ist bereits für sich allein genommen als anstößig oder unschicklich anzusehen, sodass dies jedenfalls jene Formen des äußeren Verhaltens verletzt, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittliche Person beim Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprächen".

"ACAB" verstieß für das Verwaltungsgericht gegen den öffentlichen Anstand.
Foto: EPA/ETIENNE LAURENT

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) sah das entspannter. Er verstand "ACAB" als Kundgabe der kritischen Haltung gegenüber der Polizei und des Bedürfnisses nach Abgrenzung von der staatlichen Ordnungsmacht. "ACAB" bringe, so der Gerichtshof, in einem bestimmten Milieu eine die Polizei ablehnende Haltung zum Ausdruck und soll die Distanz zur Polizei aufzeigen, was auch der Polizei und (zumindest der Mehrheit) der im Stadion anwesenden Öffentlichkeit bekannt war. Daher freie Meinungsäußerung und keine strafbare Verletzung des öffentlichen Anstands.

Und um kein Missverständnis entstehen zu lassen: Die individuelle Ansprache eines Polizisten als "Bastard" wäre zweifellos eine Beleidigung, selbst wenn sie "das Bedürfnis nach Abgrenzung von der staatlichen Ordnungsmacht" zum Ausdruck bringen sollte.

Und damit genug, fürs Erste jedenfalls, mit Trotteln, Dreckskerlen, Mafia und Bastarden. Wie zu zeigen sein wird, hat das Medienrecht noch mehr zu bieten. Wer sich mit der Frage, was man sagen darf, weiter beschäftigen will, findet auf meiner Website mehr. (Thomas Höhne, 3.12.2020)