Die Corona-Massentest sind in Österreich gestartet. In den kommenden Tagen und Wochen will man die Bevölkerung mittels Antigentests möglichst flächendeckend testen. Wie hoch die Bereitschaft zur Teilnahme ist, wird sich zeigen. Eine nicht repräsentative Umfrage unter der STANDARD-Community hat gezeigt, dass knapp 60 Prozent nicht teilnehmen werden. Bei der Userdiskussion "Gehen Sie zur Corona-Massentestung?" tauschten sich Posterinnen und Poster über die Sinnhaftigkeit der Massentests, die mögliche Ansteckungsgefahr bei den Teststraßen und den wissenschaftlichen Nutzen der Aktion aus. Thomas Czypionka, Stefan Thurner und Michael Wagner vom Corona-Fachrat gehen auf die Bedenken und Meinungen der Community ein.

Österreich soll getestet werden. Wie stehen Sie dazu?
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Frage: Was ist das Ziel der Testung?

Czypionka: Grundsätzlich dienen die Massentests dem Finden von Personen, die keine Symptome aufweisen. Diese sind bei Covid-19 vergleichsweise häufig. Sie zu finden soll die Weitergabe des Virus blockieren. Idealerweise würde der Test aber innerhalb von ein paar Tagen wiederholt. Denn in den ersten Tagen der Infektion ist er noch negativ, so können Personen übersehen werden.

Thurner: Es geht darum, Fallzahlen in kurzer Zeit stark zu reduzieren. Massentests sind ein Instrument, genau das zu tun, und jetzt seit einigen Wochen möglich. Es geht darum, infektiöse Personen zu finden und zu isolieren, damit sie andere nicht anstecken. Bisher findet man infektiöse Leute wie? Im Großen und Ganzen, indem sie sich selbst melden (zum Beispiel über 1450), und dann, indem man deren Kontaktpersonen nachgeht und diese prüft. Die, die sich selbst melden, haben meist Symptome, das heißt die Nichtsymptomatischen findet man so eher schwer, diese stecken aber ebenso andere an. Dass das mit der Kontaktnachverfolgung in Österreich nicht funktioniert, hat damit zu tun, wie es aufgesetzt ist. Nachzutelefonieren, wie man das jetzt macht, sprengt die Kapazitäten – man könnte das natürlich sehr viel effizienter und cleverer machen, indem man seine Kontakte zum Beispiel in eine Webmaske einträgt, die, wenn man positiv getestet wird, an die Behörde geht – sonst nicht. Dann hätten sie mit dem Test sofort die K1-Personen. Beim Testen und Contact-Tracing geht es ausschließlich um Zeit – das wurde viel zu wenig beachtet.

Um diese Schwachstelle der Kontaktnachverfolgung zu beheben, helfen jetzt eben auch die Massentests. Wenn ich alle Leute messen würde, brauche ich niemanden nachverfolgen, ich hab dann ja alle gemessen. Das heißt nicht, dass ich alle Infizierten gefunden habe. Einige Personen, die erst seit kurzem angesteckt sind, können in den Tests noch nicht nachgewiesen werden, sie schlüpfen also beim Massentest "unten durch". Sie könnten bei nochmaligem Testen ein paar Tage später aber gefunden werden. Und wenn alle diejenigen, die beim Massentest positiv sind, eigenverantwortlich ihre Kontaktpersonen verständigen würden, und diese sich dann nachträglich testen lassen (falls sie nicht zum Massentest hingegangen sind), wäre das sehr effektiv. Das sollte man klar kommunizieren.

Zentral ist, dass die gefundenen Personen sich dann isolieren, sodass sie niemand anderen mehr anstecken. Massentests funktionieren nur dann, wenn sich Positive entsprechend isolieren. Hier ist Eigenverantwortung wichtig.

Es geht nicht um eine Prävalenzstudie, also zu lernen, wie viele Menschen es haben. Dass man aber eventuell besondere Hotspots finden kann, ist ein positiver Nebeneffekt, aber nicht das Ziel der Massentests in der Form, wie sie geplant sind.

Wagner: Das Ziel von Massentests ist es, die Ausbreitung von Sars-CoV-2 deutlich zu verlangsamen. Modellierungen zeigen, dass Massentests dann besonders hilfreiche Werkzeuge der Pandemiebekämpfung sind, wenn sie in engem zeitlichem Abstand mehrmals wiederholt werden, die Ergebnisse schnell übermittelt werden und bei positiven Fällen auch die Kontaktpersonen in Quarantäne gehen. Werden diese Voraussetzungen erfüllt, dann ist es für den Erfolg der Maßnahme nicht entscheidend, ob der eingesetzte Test hochempfindlich ist, und es können selbst bei einer Teilnahme von nur 50 Prozent der Bevölkerung noch große Effekte erzielt werden.

Frage: Viele Poster*innen im Forum zur Userdiskussion über Massentests befürchten eine Ansteckung bei den Teststationen. Kann man diese Befürchtung entkräften? Gibt es Fälle, die sich bei der Testung angesteckt haben?

Czypionka: Das lässt sich mit guter Organisation vermeiden. Die Gefahr wird in der Literatur aber diskutiert, insbesondere wenn viele Personen zu eng beisammen warten.

Thurner: Bei Massentests ist die Wahrscheinlichkeit sich anzustecken nicht höher als bei jedem anderen Menschen, den man trifft. Weil ja ein Großteil der Leute hingehen sollte, und nicht nur Infizierte. Also Maske, Abstand, keine Ansammlungen und so weiter – dann ist es etwa gleich wahrscheinlich wie im Supermarkt oder in den Öffis.

Wagner: Heimtests wären ideal – leider sind die Antigentests aber für die Selbstanwendung (noch) nicht zugelassen, und der kürzlich in den USA auf den Markt gekommene RT-LAMP-Heimtest ist noch zu teuer. Ich empfehle, mit einer FFP2-Maske ohne Ausatemventil zu den Teststationen zu gehen, dort auf Abstand zu achten und die Maske nur bei der eigentlichen Testung kurz abzunehmen.

Frage: Falsch positive, falsch negative Ergebnisse: Auch diese Befürchtungen werden im Forum häufig geteilt. Wie schaut das statistisch aus? Und was bringen Einmaltests überhaupt?

Czypionka: Die positiven Ergebnisse werden ja mit PCR überprüft. Daher werden falsch positive Ergebnisse letztlich erkannt. Je niedriger die Zahl der Infizierten, desto höher die Zahl falsch positiver Personen. Mit ein Grund, warum der Zeitpunkt derzeit nicht so günstig ist. Aber eine ungerechtfertigte Quarantäne muss man daher nicht fürchten.
Falsch negative können durch wiederholtes Testen innerhalb weniger Tage vermieden werden. Das geschieht aber leider nicht. Es müsste daher kommuniziert werden, dass ein negativer Test kein Freibrief ist.

Wagner: Der Anteil falsch positiver Ergebnisse hängt bei den Antigentests auch vom verwendeten Produkt ab, liegt aber bei vielen Tests unter einem Prozent. Dieser Wert ist jedoch immer noch wesentlicher höher als bei PCR-Tests, da hier mehrere unabhängige Tests einfach miteinander kombiniert werden können und somit falsch positive Tests keine Rolle spielen. Darum ist es sinnvoll, wie vorgesehen, positive Antigentests mittels PCR zu überprüfen. Damit ist dann dieses Thema vom Tisch.

Antigentests sind wesentlich weniger empfindlich als PCR-Tests und führen vor allem bei Personen mit einer vergleichsweise niedrigen Virenlast im Rachen häufig zu falsch negativen Ergebnissen. Darum wird mit Antigentest basierten Massentests die Häufigkeit von Sars-CoV-2 Infektionen in der Bevölkerung deutlich unterschätzt werden. Eine große Herausforderung in der Kommunikation besteht darin, dass Antigentests gerade bei relativ frischinfizierten Personen manchmal auch falsch negative Ergebnisse trotz hoher Virenlast im Rachen liefern. Man kann also trotz eines negativen Antigentests infiziert und hochansteckend sein (oder in den nächsten Tagen werden) und muss sich weiterhin rücksichtsvoll und vorsichtig verhalten. Die Massentestungen liefern keinen Freifahrtschein, sondern wirken, indem ein erheblicher Anteil (aber eben nicht alle) der zum Zeitpunkt der Testung hochansteckenden Personen gefunden wird.

Frage: Sollte der Test nur bei Personen mit begründetem Verdacht und/oder Symptomen einer Sars-CoV-2-Infektion durchgeführt werden? Was, wenn kein begründeter Verdacht vorliegt?

Czypionka: Beim Massentest ist das Ziel nicht die (Differential-)Diagnose, sondern es handelt sich um eine Maßnahme der Pandemiebekämpfung. Die Tests werden bei symptomatischen Patientinnen und Patienten validiert, aber symptomatische und asymptomatische unterscheiden sich nicht wesentlich in der Viruslast, sodass das kein Ausschlusskriterium ist.

Thurner: Nein, beim Massentest sollten ALLE hingehen, egal wie gesund man sich fühlt. Es sollen ja besonders auch die Asymptomatischen gefunden werden.

Wagner: Massentests sind Public-Health-Tests, die dazu dienen die Virusausbreitung zu verlangsamen. Da dieses Ziel nur erreicht werden kann, wenn viele Personen möglichst mehrfach zu einem möglichst günstigen Preis getestet werden, sind zurzeit die Antigentests die einzige sinnvolle Option für diese Anwendung, da man über den Sommer leider die Ausrollung noch deutlich besserer alternativer Schnelltestverfahren wie RT-LAMP nicht entsprechend angeschoben hat. Massentests machen nur Sinn, wenn daran möglichst viele Personen auch ohne begründetem Verdacht auf eine Covid-19-Erkrankung teilnehmen. Auch prä- und asymptomatische Personen können eine hohe Virenlast im Rachen tragen und ansteckend sein.

Frage: Diesen beiden User*nnen geht es um den Dienst an der Wissenschaft: Was bringen aus wissenschaftlicher Sicht die Massentests und deren Ergebnisse? Welches Ziel – abgesehen vom Auffinden Infizierter – kann man wissenschaftlich noch damit verfolgen?

Czypionka: Es werden sicher einige Erkenntnisse gewonnen, zum einen Erfahrung mit dem Instrument der Massentestung, aber auch zur Performance der Tests unter realen Bedingungen, da die Positiven ja mit PCR überprüft werden.

Thurner: Dienst an der Wissenschaft ist super – aber es geht darum, um Infektionsgeschehen zu reduzieren. Warum? Damit man andere harte Maßnahmen möglichst bald reduzieren oder aufheben kann.

Wissenschaftlich bekommt man – wenn die Daten richtig und vollständig erfasst und auch weitergeleitet werden, erstens ein besseres Bild zum aktuellen Geschehen, und vor allem auch regional aufgelöst. Man kann zweitens hoffen, dass man nach einigen Massentests lernen wird, wie gut sie funktionieren, und wie und wann sie ideal und effizient eingesetzt werden können – im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen und Strategien. Das Lernen hat schon begonnen mit den Tests in Südtirol und der Slowakei.

Wagner: Die Ergebnisse der Massentests liefern, gerade wenn sie mehrfach durchgeführt werden, interessante Daten für die Modellierer, die damit ihre Vorhersagen bezüglich der Wirksamkeit dieser Maßnahme überprüfen und ihre Modelle verbessern können. Dies kann auch sehr hilfreiches Wissen für die Bekämpfung zukünftiger Pandemien sein. Zudem wird man durch die Nachtestung aller positiver Ergebnisse mittels PCR den Prozentsatz an falsch positiven Antigentestergebnissen genau bestimmen können.

Frage: Viele Argumente sprechen bei diesem User gegen die Teilnahme. Welche kann man entkräften? Welche sind nachvollziehbar? Und warum?

Czypionka: Es ist tatsächlich bedauerlich, dass die Aktion nicht mit einem Kommunikationskonzept begleitet ist. Diese Fragen sind berechtigt, und sie müssten proaktiv angesprochen werden, insbesondere wie man diesen begegnet. Es reicht nicht, einfach nur irgendwo ein FAQ auf eine Website zu stellen.

Thurner: Zum ersten Punkt: Die Ansteckungsgefahr ist etwa so hoch, wie wenn man in der Nähe von anderen Menschen ist.
Zum zweiten: Es geht nicht um eine Momentaufnahme. Infektiöse zu isolieren ist das Ziel, dass die möglichst wenige anstecken.
Zum dritten: Kann ich nachvollziehen – sollte klar kommuniziert werden.
Zum vierten: Haushaltsangehörige sollten auch zum Massentest.
Zum fünften: Wenn ein Großteil mitmacht, kann das ressourcenschonend sein. Ein Tag harter Lockdown kostet mehr als mehrere Massentestungen. Siehe IHS-Schätzungen, was eine Woche kostet.
Zum sechsten: Bei Massentests geht es nicht ums Contact-Tracing. Wenn positiv Getestete aber ihr Umfeld dazu bewegen können, sich zeitnah zu testen, dann wäre das fantastisch und würde die Wirksamkeit des Massentests verbessern. Und seine wirtschaftliche Rentabilität.
Zum siebten: Es ist wohl damit zu rechnen, dass es mehrere Tests geben wird. Es werden sicher Fehler passieren, und man muss dieses neue "Instrument Massentest" erst spielen lernen. Das jetzt zu tun, und eventuell vor Weihnachten noch einmal – und dann besser –, wäre sicher sinnvoll.

Wagner: Eine Validierung positiver Antigentests durch PCR macht Sinn und ist meines Wissens nach vorgesehen. Gut durchgeführte und mehrfach wiederholte Massentests sind keine Ressourcenverschwendung, sondern ein sehr effizientes Mittel um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Die Kosten einer dritten Welle sind ungleich höher – allerdings habe ich Zweifel, ob ohne mehrfache Wiederholung der Massentests ein langfristiger Effekt erzielt werden wird.
Ohne effizientes Contact-Tracing funktioniert Pandemiebekämpfung nicht, da die Unterbrechung von Infektionsketten und das Aufspüren von Infektionsclustern entscheidend sind. Es kann aber kein Argument sein zu sagen, man möchte nicht so viele Infizierte detektieren, da sonst dass Contact-Tracing überlastet wird, sondern man hätte diesen Bereich massiv ausbauen und digital (mittels einer breitverwendeten und voll funktionsfähigen Corona-App) unterstützen müssen. Zumindest aber sollte jede beim Massentest positiv getestete Person alle Kontaktpersonen selbst informieren und diese sollten sich in Quarantäne begeben.
Modellierungen zeigen, dass bei wiederholten Massentestungen bereits bei der Teilnahme von 50 Prozent der Bevölkerung ein großer Effekt erzielt werden kann.

Frage: Wie sinnvoll ist es, teilzunehmen, wenn man bereits zu den Genesenen zählt?

Czypionka: Reinfektionen sind selten, kommen vereinzelt vor. Bereits Erkrankte sind also statistisch nicht die primäre Zielgruppe.

Wagner: Da Reinfektionen nur selten vorkommen, wird der Erfolg der Massentestungen nicht davon abhängen, dass bereits von Covid-19 Genesene an der Aktion teilnehmen. (Judith Wohlgemuth, 4.12.2020)