Deutsche Polizistinnen und Polizisten suchen nach dem dritten Anschlag am 31. Oktober 2018 die Bahnstrecke bei Allersberg in Bayern nach Hinweisen ab. In Wien sitzt nun der 44-jährige Attentäter vor Gericht.

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Wien – Qaeser A. und seine Ehefrau Sherhrazad sind die ersten Menschen seit dem Terroranschlag von Wien, denen im Straflandesgericht der Bundeshauptstadt ein Terrorprozess gemacht wird. Das Medieninteresse wäre aber wohl auch ohne diesen zeitlichen Zusammenhang groß – denn dem 44-jährigen Erstangeklagten wird von Staatsanwalt B. vorgeworfen, im Jahr 2018 vier Anschläge auf Bahnstrecken in Deutschland verübt zu haben, um jeweils einen Schnellzug entgleisen zu lassen.

Der Iraker bekennt sich nur im Fall der Sachbeschädigung schuldig, den versuchten Mord an den Fahrgästen bestreitet er ebenso wie die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, dem "Islamischen Staat". In anderen Worten und kürzer könnte man die Haltung A.s zum IS so zusammenfassen: Es war nicht alles schlecht unter dem IS, aber das mit den getöteten Zivilisten war ein Fehler. Der Bau hochrangiger Straßenverbindungen kommt vor dem Geschworenengericht nicht zur Sprache, dafür die Tatsache, dass der Arbeiter an den Tatorten Bekennerbotschaften mit klaren Bezügen zum IS hinterlassen hat.

"Dem Iran das Rückgrat gebrochen"

Nach seiner Festnahme sagte er den Ermittlern noch: "Ich bin dem IS dankbar dafür, dass sie die Sunniten im Irak beschützt und dem Iran das Rückgrat gebrochen haben." Vor Gericht behauptet er nun, über eineinhalb Jahre später: "Ich war nie ein Sympathisant oder Unterstützer des IS, aber ich bin ein Opfer des verräterischem Regimes im Irak." Oder an anderer Stelle: "Der Tod an sich ist eine Straftat, egal ob er mit einem Messer begangen wird oder einer Bombe einer F16, die auf ein Haus mit drei Generationen fällt."

Laut eigenen Angaben vor Gericht habe er in seiner Heimat maturiert und im Jahr 2004 seine damals 16-jährige Frau geheiratet. Zwei Kinder bekam das Paar im Irak, zwei weitere hier in Österreich. "Warum sind Sie geflohen?", will der Vorsitzende von A. wissen. "Eine Zeit lang mussten wir alle vier Monate umziehen. Mein jüngster Bruder wurde 2004 ermordet, 2009 wurde mein mittlerer Bruder entführt", behauptet der Erstangeklagte.

Angeblich Mordanschläge in der Heimat

Auf sein Haus sei 2007 ein Bombenanschlag verübt worden, im Jahr 2009 wurde er bei der Detonation einer Autobombe verletzt. "Wissen Sie, wer diesen Anschlag durchgeführt hat?", fragt der Vorsitzende. "Es waren unbekannte Täter. Aber ich vermute, schiitische Milizen oder der staatliche Sicherheitsapparat." – "Und warum sollen genau Sie Ziel dieses Anschlags geworden sein?" – "Ich war politisch tätig und habe auch für den Roten Halbmond gearbeitet."

Im Asylverfahren sagte er, er sei im Dezember 2011 mit dem Bus in die Türkei gefahren und habe sich mit Schleppern nach Österreich durchgeschlagen. "Das stimmt aber nicht", gibt er nun zu. Zunächst flüchtete er mit seiner Familie Ende 2010 nach Syrien. Mitte 2011 gelangte er über die Türkei nach Griechenland, wo im Jänner 2012 seine Familie zu ihm stieß. Bis Juli blieb er in Athen, dann besorgte er sich gefälschte Papiere, flog nach Mailand, von dort kam er mit dem Zug nach Österreich, wo er einen Asylantrag stellte. Im Jänner 2013 wurde er als Flüchtling anerkannt, im November durften seine Gattin und die beiden Kinder nachkommen.

Zwei Jobs gleichzeitig

"Was haben Sie dann beruflich gemacht?", will der Vorsitzende Weiteres über die Lebensgeschichte des Angeklagten wissen. "Ich habe in einer Bäckerei gearbeitet, als Security, Ende 2018 habe ich sogar zwei 30-Stunden-Jobs gleichzeitig gemacht, als Security und in einem Lager", betont A. seinen Willen, die Familie selbst zu erhalten.

Der Vorsitzende dämpft ihn allerdings aus: "Es sind auch Ihre Konten geöffnet worden, demnach haben Sie zwischen Jänner 2013 und November 2018 insgesamt 13.800 Euro verdient. 84.281,08 Euro sind Beiträge der öffentlichen Hand, vom Sozialamt, Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld", rechnet er dem Angeklagten vor. "Ja, ich bin Österreich sehr dankbar", sagt der.

Laut Staatsanwalt machten die beiden Angeklagten auf ihr Umfeld den Eindruck eines "ganz normalen Ehepaars, nicht weiter auffällig". Doch das sei nur Fassade gewesen: Tatsächlich hätten sich beide durch Propaganda im Internet immer mehr radikalisiert, bis A. den Entschluss gefasst habe, ihre Überzeugungen selbst aktiv nach außen zu tragen. "Sie wollten Anschläge im Namen des IS begehen."

An Demonstrationen teilgenommen

Erstangeklagter A. sagt dagegen, es habe 2016/17 sehr viele Anschläge im Irak gegeben, das habe seine Erinnerungen geweckt. Und er wollte, dass die europäische Politik die irakische Regierung nicht mehr unterstützt, versucht er zu erklären. "Das, was ich gemacht habe, diente ausschließlich der Aufmerksamkeit. Es war einzig und allein für PR-Zwecke gedacht", lässt der Unbescholtene übersetzen. "Selbst wenn Sie, wie Sie ja zugeben, nur Sachbeschädigungen verüben wollten, wäre das trotzdem ein Strafdelikt!", hält der Vorsitzende A. vor. "Ich habe auch in Wien an friedlichen Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen. Aber leider wurde unsere Stimme nicht gehört", rechtfertigt sich der Angeklagte.

Daher entschloss er sich Ende 2017, die Anschläge auf die deutschen Bahnstrecken zu begehen. Mit im Baumarkt gekauften und daheim verfeinerten Utensilien reiste er im Jänner 2018 in die Gegend von Nürnberg und fixierte Hindernisse auf den Geleisen. Der darüber brausende ICE zerfetzte sie. Im August kam A. wieder – und verwendete die doppelte Anzahl an Hindernissen. Mit demselben Ergebnis. Im Oktober versuchte er eine andere Methode und spannte ein Stahlseil über die Stecke – diesmal wurde ein ICE beschädigt, entgleiste aber nicht. Am 15. Dezember versuchte es der Erstangeklagte noch einmal, diesmal bei Berlin: Die Frontscheibe des Zuges wurde dabei ruiniert, zu Schaden kam glücklicherweise niemand.

Verteidiger von untauglichem Versuch überzeugt

Aus Sicht von Verteidiger Wolfgang Langeder zeigt genau dieses Scheitern, dass sein Mandant nie jemanden habe verletzen wollen. Es sei technisch gar nicht möglich gewesen, mit diesen Mitteln eine Zuggarnitur zum Entgleisen zu bringen, argumentiert er in seinem Eröffnungsplädoyer. Es handle sich also um einen untauglichen Versuch.

Und überhaupt fehle die innere Tatseite, bringt er den Laienrichtern ein anschauliches Beispiel: "Wenn ich jemanden erschießen will, ihm eine Pistole an den Schädel halte und abdrücke, und es stellt sich heraus, dass ich vergessen habe, sie zu laden, ist das ein Mordversuch. Wenn ich aber jemanden nur erschrecken will und das mache, wenn ich weiß, dass die Waffe nicht geladen ist, dann nicht, denn dann hatte ich nie die innere Tatseite, jemanden zu ermorden."

Der Staatsanwalt sieht das anders und führt als Belege zum Beispiel eine Konversation des Erstangeklagten mit einem Unbekannten über soziale Medien an: "Es ist leider wieder fehlgeschlagen", schrieb A. damals. "Beim nächsten Mal wird es besser", kam als Antwort. Worauf A. darüber spekulierte, sich eine Drohne zu beschaffen, um den Anschlag aus der Luft filmen zu können. Tatsächlich haben die Ermittler auf seinen Laptops Hinweise gefunden, dass A. sich so ein Fluggerät beschaffen wollte.

Vergessener Pass und Kreislaufprobleme

Eiskalter Top-Terrorist dürfte A. aber nicht gewesen sein: Nach dem Anschlag in Berlin reiste er überstürzt ab und vergaß Reisepass und Bargeld im Hotel. Bei einer anderen Gelegenheit erlitt er einen Kreislaufkollaps und musste in Deutschland im Spital behandelt werden – wo seine E-Card nicht galt, weswegen er seine mitangeklagte Gattin anrief.

Fast skurril mutet an, wie ihm die Ermittler auf die Spur kamen: Beim Vervielfältigen eines Bekennerschreibens vergaß er das Original im Kopierer eines Copyshops beim Westbahnhof. Eine aufmerksame Kundin übergab das der Polizei. Fast zeitgleich fanden die deutschen Polizisten heraus, wo die Kopien der gefundenen Blätter hergestellt worden waren – da auf dem Wiener Original A.s Fingerabdrücke waren, war er enttarnt.

Apropos Gattin: Deren Verteidigerin Astrid Wagner ist von deren Unschuld völlig überzeugt. Die Staatsanwaltschaft wirft der 33-Jährigen konkrete Beitragstäterschaft bei der Herstellung der Tatwaffen vor, da ihre DNA darauf gefunden wurde. Außerdem habe sie ihren Ehemann "psychisch unterstützt".

Vergleich mit Amstetten

Wagner schildert die Situation ganz anders: Angeblich seien auch die DNA-Spuren der Kinder gefunden worden, was in der kleinen Gemeindewohnung in Wien-Simmering kein Wunder wäre. Und außerdem habe ihre Mandantin ihren Mann als "Spinner" und "Familientyrann" beschrieben, der "sicher kein Mann, der sich von einer Frau was sagen lässt", sei. Auch im Fall der Amstettner Familie F. habe die Ehefrau des Täters ja nichts mitbekommen, daher sei die Verantwortung ihrer Mandantin durchaus glaubwürdig, zieht Wagner einen interessanten Vergleich.

"Sie hat schon vorher in einem Gefängnis gelebt", ist sich die Verteidigerin sicher. Die vergangenen eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft hätten die Frau im Gegenteil befreit, sie wolle sich nun scheiden lassen und habe in Haft gelernt, "dass eine Frau auch stark sein kann". Deshalb sei sei A. vor Gericht auch ohne Kopftuch und geschminkt erschienen.

Auch hier ist der Ankläger entschieden anderer Meinung: Die Frau habe bei neun Vernehmungen neun verschiedene Versionen erzählt und immer nur das zugegeben, was die Beamten ihr zum jeweiligen Zeitpunkt nachweisen konnten. Darüber hinaus widersprechen ihre Angaben teilweise denen ihres Mannes.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. (Michael Möseneder, 1.12.2020)