Die Bundesregierung ist wahrlich nicht um die Entscheidung zu beneiden, wie es mit dem "zweiten Lockdown" weitergehen soll. Was immer sie jetzt tut: Es wird falsch sein in dem Sinn, dass die Lage noch länger kritisch bleibt. Sie wird bei den diversen Interessengruppen, gegnerischen Parteien und auch in den Medien scharfe Kritik ernten.

Die Wiener Innenstadt während des 2. Lockdowns.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Für Bedauern oder gar Mitleid besteht nicht der geringste Anlass. Der Bundeskanzler, sein Vize und ihre Minister sind an der misslichen Situation selbst schuld. Sie tragen die Hauptverantwortung dafür, dass sich das ganze Land – eine einzige rote Risikozone – nur drei Wochen vor Weihnachten in Sachen Corona-Krise in einer quälenden Zwickmühle befindet.

Auf der einen Seite steht das Leid der Wirtschaftstreibenden, der Kulturschaffenden und aller Unternehmungen im Freizeit- und Dienstleistungsbereich. Die Milliardenschäden und die hohe Arbeitslosenzahl wiegen schwer. Das lässt sich wenigstens durch staatliche Hilfen, durch Schuldenaufnahme, kurzfristig lindern.

Viel schlimmer ist der psychologische und gesamtgesellschaftliche Effekt, wie man das auch an Schulen und Universitäten erkennt: Die Menschen verzweifeln langsam, weil ihnen positive Perspektiven in die Zukunft fehlen.

Spitzenwert

Auf der anderen Seite ist die Realität der Corona-Pandemie weiter bedrohlich. Manche sind erfreut, dass die Zahl der täglich Neuinfizierten vom Spitzenwert von 8000 inzwischen auf "nur" 3000 gesunken ist. Aber das ist ein Trugschluss. Die Zahlen sind viel zu hoch, wie der Blick auf Intensivpatienten in Spitälern und vor allem auf die Toten zeigt. Wenn innerhalb von vier Wochen mehr als 2000 Menschen an oder mit Corona sterben, dann ist das eine Katastrophe.

In einem Drittel der Bezirke quer durchs Land ist die Sieben-Tage-Inzidenz, der entscheidende Messwert auf EU-Ebene, weiter über 400 pro 100.000 Einwohner – zehnmal höher als der Wert, bei dem eine Öffnung des Landes zulässig wäre.

Die Gründe dafür sind recht klar, wenn man die Entwicklung mit anderen EU-Ländern seit dem Sommer vergleicht. Die Regierung hat im Oktober viel zu lange gezögert, die Maßnahmen im November waren zunächst zu zaghaft. Jetzt steckt sie in einem Dilemma: Hebt sie Beschränkungen zu früh auf, läuft Österreich Gefahr, dass es im Jänner oder Februar in einen dritten Lockdown geht. Das muss verhindert werden. (Thomas Mayer, 1.12.2020)