Die Forscher fanden den Mechanismus bei Experimenten mit genmanipulierten Fadenwürmern der Spezies Caenorhabditis elegans.

Foto: Quadell

Basel – Wie das Gedächtnis funktioniert, wie also Wahrnehmungen im Gehirn dauerhaft verankert werden können, ist eine der großen Fragen in der Biologe, auf die es noch keine befriedigende Antwort gibt. Allenfalls einzelne Elemente und Wechselwirkungen, die an dem komplexen Vorgang beteiligt sind, konnten Wissenschafter bisher identifizieren. Nun haben Forscher der Universität Basel einen weiteren wichtigen Mechanismus entdeckt, der eine zentrale Rolle für ein intaktes Langzeitgedächtnis spielt – und offenbar auch am physiologischen Gedächtnisverlust im Alter beteiligt ist.

Wichtige Suche nach den Grundlagen

Verschiedene Lebewesen, vom Wurm bis zum Menschen, verfügen über differenzierte Gedächtnisfunktionen, so etwa über ein Kurz- und ein Langzeitgedächtnis. Interessanterweise sind auf Ebene der Zellen und Moleküle viele dieser Funktionen unter den Lebewesen nahezu identisch. Das Aufspüren der Moleküle, die an den Gedächtnisprozessen beteiligt sind, ist sowohl für die Grundlagen- als auch für die klinische Forschung von großer Bedeutung, weil sie den Weg zur Entwicklung von Medikamenten gegen Gedächtnisstörungen weisen können.

Ein Team um Attila Stetak, Andreas Papassotiropoulos und Dominique de Quervain untersuchte zunächst anhand sensorischer Reize die Lern- und Gedächtnisfähigkeit von genetisch veränderten Fadenwürmern der Spezies Caenorhabditis elegans, denen das Gen mps-2 fehlte. Dieses Gen enthält den Bauplan für einen Teil eines spannungsabhängigen Ionenkanals in der Nervenzellmembran und steht im Verdacht, eine Rolle bei Gedächtnisfunktionen zu spielen.

Ohne mps-2 kein Langzeitgedächtnis

Es zeigte sich, dass diese Würmer im Vergleich zu nicht manipulierten Exemplaren zwar gleich gutes Kurzzeitgedächtnis besaßen. Mit zunehmender Dauer des Experiments stellten die Forscher allerdings fest, dass die genetisch veränderten Würmer das Erlernte schlechter behalten konnten. Ohne mps-2 hatten die Tiere also ein reduziertes Langzeitgedächtnis.

Bei Fadenwürmern lässt sich ähnlich wie beim Menschen ein Verlust der Gedächtnisfähigkeit mit zunehmendem Alter beobachten. Die molekularen Grundlagen dieses Prozesses sind jedoch weitgehend unklar. In weiterführenden Experimenten konnten die Forscher nachweisen, dass natürliche Würmer, die über das mps-2-Gen verfügen, im Alter eine starke Reduktion an MPS-2-Protein aufweisen, dem Produkt des Gens. Dies hing mit einer reduzierten Gedächtnisleistung zusammen, wie sie im Fachjournal im Fachjournal "Current Biology" schreiben.

Chance auf Medikament gegen den Gedächtnisverlust

Dieser Mangel an MPS-2-Protein stellte sich dabei keineswegs als passiver, sondern als aktiv regulierter Prozess heraus. Als verantwortlichen Regulator dieses Mangels konnte das Forschungsteam ein anderes Protein, NHR-66, identifizieren, welches im Alter das Ablesen des mps-2-Gens und damit die Produktion des MPS-2-Proteins aktiv drosselt. Wurde älteren Würmern MPS-2-Eiweiß zugeführt oder NHR-66 ausgeschaltet, hatten sie ein ähnlich gutes Gedächtnis wie jüngere Würmer. Beide Moleküle, MPS-2 und NHR-66, bilden daher interessante Angriffspunkte für Medikamente, die altersabhängiges Vergessen abmildern könnten. In weiteren Studien wollen die Wissenschafter daher die therapeutischen Möglichkeiten auf Basis ihrer Entdeckung prüfen. (red, 11.12.2020)