Das Leistungsfähigkeitsprinzip, nach dem nur eine Nettogröße der Ertragsteuer zu unterwerfen ist, scheint der zentrale Grund für die Besteuerung im Ansässigkeitsland. Dieses Prinzip wurde in großen Konzernen oftmals genutzt, um die Steuerquote zu senken.

Illustration: Marie Jecel

Wenn wirtschaftliche Vorgänge Grenzen überschreiten, stellt sich die Frage, welches Land den Gewinn daraus besteuern darf, jenes, aus dem heraus eine Dienstleistung erbracht wird oder aus dem eine Ware geliefert wird, oder das Land, in dem die Dienstleistung oder die Ware konsumiert werden. Für die Umsatzsteuer wurde diese Frage vor langem entschieden; in den meisten Fällen hat das Land des Abnehmers das Besteuerungsrecht. Es gilt das Bestimmungslandprinzip.

Im Ertragsteuerrecht gilt grundsätzlich das Gegenteil: Das Land, in dem die Leistenden oder die Produzenten ansässig sind oder in dem sie über eine Niederlassung tätig werden, darf den dazugehörigen Gewinn besteuern.

Dieser Unterschied könnte sich konzeptionell erklären: Steuerliche Bemessungsgrundlage bei der Umsatzsteuer ist der Umsatz, bei der Ertragsteuer jedoch vereinfacht formuliert der Gewinn, eine Größe, die Abschreibungen für Produktionsmittel, konkret zuordenbare Ausgaben, Aufwand für Gemeinkosten, Steuerfreibeträge, Verluste aus anderen Jahren und mehr berücksichtigt.

Profitable Verschiebungen

Das Leistungsfähigkeitsprinzip, nach dem nur eine Nettogröße der Ertragsteuer zu unterwerfen ist, scheint der zentrale Grund für die Besteuerung im Ansässigkeitsland. Dieses Prinzip wurde in großen Konzernen oftmals genutzt, um die Steuerquote zu senken, indem Aufwände in Länder mit höheren und Erträge in Länder mit niedrigeren Körperschaftsteuersätzen verlagert wurden.

Insbesondere seit der Finanzkrise von 2008 bis 2010 hat dies zu Maßnahmen auf Ebene der G20 und der OECD geführt, um einerseits die Transparenz im internationalen Umfeld zu erhöhen und andererseits das Verschieben von Einkünften in Niedrigsteuerländer und das Ausdursten der Besteuerungsgrundlagen in Hochsteuerländern zu vermeiden. Die Maßnahmen für den zweiten Bereich sind unter Anti-Base Erosion and Profit Shifting bekannt (BEPS).

Als eines der Ergebnisse ihres Gipfeltreffens in Mexiko im Juni 2012 klopfte die G20 bei der OECD an und erbat die Ausarbeitung von Lösungen gegen das, wie sie es nannten, "künstliche" Verschieben von Steuersubstrat; es war die Geburtsstunde des BEPS-Projektes.

Mehr als acht Jahre später, im Herbst 2020, sind zwei handfeste Folgen des damals begonnenen Weges beachtenswert: Am 12. Oktober 2020 leitete die OECD eine öffentliche Konsultation zu ihren Berichten und Zwischenergebnissen ein, betreffend Pillar One und Pillar Two der 2019 vorgestellten neuen Konzepte der Besteuerung für das Zeitalter der digitalen Wirtschaft.

Und am 20. November 2020 brachten Nationalratsmitglieder der Regierungsparteien einen Initiativantrag ein zur Aufnahme der Zinsschranke ins österreichische Steuerrecht mit Wirkung ab 1. Jänner 2021.

Konsumorientierte Steuern

Grundgedanke bei Pillar One (erste Säule – auch: Unified Approach) ist, einen genau definierten Gewinnanteil bestimmter Geschäftsvorfälle den Markt- oder Nutzerstaaten zuzuweisen ohne körperliche Präsenz in diesen Staaten. Ein neu geschaffenes Anknüpfungsmerkmal soll die Besteuerung dieses Gewinnanteils ermöglichen.

Der Anwendungsbereich für diese neue Art der Besteuerung soll sich auf die digitale und die konsumorientierte Wirtschaft beschränken. Anknüpfungspunkte wie Betriebsstätten oder Ansässigkeit sollen für die Besteuerung in dieser Hinsicht wegfallen.

Pillar One fußt dafür auf drei Fundamenten: dem Amount A, der einen Teil des Residualgewinns aus genannten Geschäftsbereichen den Marktstaaten zur Besteuerung zuweist; dem Amount B, der eine fixe Rendite für gewisse elementare Marketing- und Vertriebsaktivitäten diesen Staaten zur Besteuerung überlässt; und wirksamen Streitvermeidungs- und Streitbeilegungsmechanismen, damit die Staaten nicht über viele Jahre uneinig sind über die Zuteilung der Besteuerungsrechte.

Ziel Mindestbesteuerung

Pillar Two weist in eine andere Richtung: Hier geht es darum, eine Mindestbesteuerung sicherzustellen, um das steuerlich motivierte Abwandern in Offshore- oder Niedrigsteuerländer zu unterbinden. Die Werkzeuge dafür tragen Abkürzungen wie in der Weltraumtechnik: IIR (für "income inclusion rule"), SOR ("switch-over-rule"), UTPR ("undertaxed payments rule") oder GloBE (Global Base Erosion). Im Ergebnis sollen niedrigbesteuerte Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten einem gewissen Mindeststeuersatz unterliegen. Ist dies nicht der Fall, soll die Besteuerung entsprechend hinaufgeschraubt werden.

Entscheidend für das BEPS-Projekt war es, mehr Staaten als nur OECD-Mitglieder dafür zu gewinnen. Dafür wurde 2016 der Inclusive Framework etabliert, eine Ansammlung von derzeit 125 Ländern, die gemeinsam an der Umsetzung der BEPS-Strategie mitwirken.

Diese Staatengruppe hat sich darauf geeinigt, die Arbeit an Pillar One und Pillar Two so voranzutreiben, dass bis Mitte 2021 eine politische Einigung erzielt und entsprechende Umsetzungsschritte auf internationaler und nationaler Ebene begonnen werden können. Die öffentliche Konsultation, die am 12. Oktober 2020 begonnen hat und bis 14. Dezember 2020 läuft, ist ein wesentlicher Meilenstein dafür. Für Jänner 2021 ist eine virtuelle Anhörung geplant.

Zinsschranke in Österreich

Doch zurück nach Österreich: Die Zinsschranke basiert auf Aktionspunkt 4 der 15 Punkte des BEPS-Reports 2015. Sie ist von den EU-Mitgliedsstaaten aufgrund der Anti-BEPS-Richtlinie vom Juni 2016 umzusetzen. Während Österreich aufgrund komplexer Umsetzungsregelungen davon ausging, die Zinsschranke erst 2024 einführen zu müssen, kam die EU-Kommission zum Ergebnis, sie hätte schon seit zwei Jahren gelten sollen.

Inhaltlich bewirkt die Zinsschranke die Nichtabzugsfähigkeit eines Zinsüberhangs, soweit dieser 30 Prozent des Ebitda (steuerpflichtiger Gewinn vor Zinsertrag, Zinsaufwand, Ertragsteuern und Abschreibungen) übersteigt. Zinsüberhang ist der positive Unterschied von gesamtem Zinsaufwand minus gesamtem Zinsertrag.

Entscheidend sind die vorgeschlagenen Ausnahmen vom Abzugsverbot der Zinsschranke: Bis zu einem Zinsüberhang von drei Millionen Euro greift die Schranke nicht, genauso wenig für den Fall, in dem die Eigenkapitalquote der jeweiligen Gesellschaft gleich hoch oder höher ist als jene des Konzerns, zu dem sie gehört. Außerdem gilt die neue Beschränkung nicht für Gesellschaften, die keinem Konzern angehören und keine verbundenen Unternehmen oder Betriebsstätten haben.

Das Ziel der Zinsschranke ist damit schön umrissen: Konzerne sollen die Fremdkapitalquote ihrer österreichischen Tochtergesellschaften nicht höher halten als weltweit. Tun sie es doch, soll der Steuervorteil davon nur bis zu 30 Prozent des Ebitda zustehen.

Die Anti-BEPS-Ergebnisse

So wie von der OECD dargestellt, lassen sich die Ergebnisse des BEPS-Projekts sehen: Als 2018 116 Länder den Inclusive Framework bildeten, stellte das 95 Prozent des weltweiten GDP dar; heute sind 125 Länder umfasst. 175 Steuermodelle wurden seit Beginn der BEPS-Maßnahmen durchleuchtet, 130 davon wurden geändert oder eingestampft; 17.000 verbindliche Auskünfte von Steuerbehörden (Tax-Rulings) wurden zwischenstaatlich ausgetauscht.

In 1400 Verträgen wurden durch das Multilateral Instrument (MLI) BEPS-Maßnahmen festgeschrieben. Über die Tax Inspectors Without Borders (TIWB) sind bis Juli 2018 414 Millionen Dollar zusätzlicher Steuereinnahmen hereingeflossen – mit einem Kostenaufwand von weniger als vier Millionen Dollar. (Christian Wimpissinger, 3.12.2020)