"Der ORF muss als Leitbetrieb so arbeiten, dass auch andere Medien profitieren", sagt ORF-Rat Lockl.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Mehr als die Hälfte des österreichischen Werbegeldes könnte in drei Jahren an internationale Tech-Riesen wie Google, Facebook, Amazon und Co gehen, schätzt ORF-Chef Alexander Wrabetz. Schon heute kommen sie auf 40 Prozent, lässt sich aus Digitalsteuer und Werbeabgabe hochrechnen. Werbung ist eine der wichtigsten Finanzierungsquellen von Medien und Journalismus.

Die Aussicht lässt Lothar Lockl, Kommunikationsberater und Sprecher der drei Grünen im ORF-Stiftungsrat, mit Blick auf die Onlineriesen warnen: "Der Medienstandort Österreich und der unabhängige Journalismus sind massiv in Gefahr. Manche Medien stehen mit dem Rücken zur Wand."

Medien würden durch die Corona-Krise so intensiv genutzt wie nie, Vertrauen und Glaubwürdigkeit seien "massiv gestiegen". Sie aber beschäftigten sich mit Grabenkämpfen und "Eifersüchteleien".

"Bitte aufwachen!"

"Bitte aufwachen!", ruft Lockl den österreichischen Medien zu. Er sieht sie im "jahrzehntelangen Provinzstreit" um Marktanteile, "wer hier wen kannibalisiert und wer die größeren Einschränkungen brauchte – als wären wir ein abgeschottetes Dorf in einem Talkessel ohne Internetempfang. Sie agieren, als hätte die Zeitrechnung 1990 geendet." Setzten die Medien ihre Revierkämpfe fort, "gibt es in fünf bis zehn Jahren keinen Medienstandort Österreich mehr, sondern nur noch Fragmente". Aber: "Wir brauchen unabhängigen, kritischen Journalismus für unsere Demokratie."

Während heimische Medien gesetzlichen Beschränkungen unterliegen, könnten internationale Giganten Fakten schaffen. Sie träten wie Medien auf, wollten aber wegen der Beschränkungen keine sein.

Grafik: STANDARD

Enge Grenzen setzt das Gesetz derzeit vor allem dem öffentlich-rechtlichen und großteils gebührenfinanzierten ORF. Er will 2021 eine Streamingplattform starten, darf bisher aber nicht allein für das Web produzieren und seine Formate nur sieben Tage abrufbar halten.

Sind Lockls Warnungen also vor allem Begleitmusik für eine ORF-Digitalnovelle? "Der ORF ist in der österreichischen Medienbranche ein Leitbetrieb. Ein solcher Leitbetrieb hat Verantwortung für die gesamte Branche, er muss so arbeiten, dass auch andere Player in dieser Medienlandschaft profitieren können."

Wie sollen Privatsender oder Verlagshäuser davon profitieren, dass der ORF online mehr Bewegungsspielraum bekommt? "Da geht es um neue Geschäftsmodelle, um Plattformlösungen, um gemeinsame Log-in-Konzepte und auch um die gemeinsame Nutzung von Inhalten. Da braucht es einen riesengroßen Wurf", sagt der Kommunikationsberater im Gespräch mit dem STANDARD. "Man muss Kooperation neu denken." ORF und Private müssten aufeinander zugehen. Und dem Publikum müsse klar sein: "Es geht um das Überleben des kritischen, unabhängigen Journalismus. Das muss uns auch etwas wert sein." (Harald Fidler, 3.12.2020)