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Ein Polizeieinsatz in der EU-Hauptstadt beendete József Szájers Karriere.

Foto: REUTERS/Bernadett Szabo

Die Nachwendezeit in den ehemaligen kommunistischen Diktaturen Osteuropas hat viele Irrlichter hervorgebracht – Senkrechtstarter, die sich in den unübersichtlichen Verhältnissen als Hoffnungsträger präsentierten, politisches Kleingeld oft in bare Münze für sich selbst verwandelten und rasch wieder in der Versenkung verschwanden.

Sie hat aber auch Politiker mit langem Atem hervorgebracht, die dreißigjährige Karrieren wie aus einem Guss hinlegten. Der Ungar József Szájer, dessen Laufbahn nun nach einer gegen Corona-Regeln verstoßenden Party in Brüssel endet, gehört zur zweiten Kategorie.

Szájer, 1961 hart an der österreichischen Grenze in Sopron geboren, schloss sich bereits 1988 dem Kreis der Fidesz-Gründer an – also jener Partei, die als liberale Gruppierung junger Intellektueller die kommunistische Macht herausforderte und heute mit ihrer nationalkonservativen Alleinregierung unter dem rechtspopulistischen Premier Viktor Orbán schaltet und waltet.

Speerspitze Orbáns

Von 1990 an war Szájer Abgeordneter in der ungarischen Nationalversammlung, ab dem EU-Beitritt im Jahr 2004 dann im Europäischen Parlament. Dort galt der Jurist als wichtige Speerspitze Orbáns, der mit der EU wegen der Kritik an mangelnder Rechtsstaatlichkeit in Ungarn bekanntlich im Dauerclinch liegt. Dabei trat Szájer nicht als bissiger Kettenhund auf, sondern als exzellenter Rhetoriker, der vor allem die Partner von Fidesz in der Europäischen Volkspartei immer wieder davon überzeugen konnte, dass sein Land eine lupenreine Demokratie sei.

Die Party, an der Szájer vorigen Freitag teilnahm, war Corona-bedingt illegal. Dass sie über einem Brüsseler Schwulenclub stattfand und eine "Sexparty" gewesen sein soll, macht es für den mit einer ungarischen Verfassungsrichterin verheirateten Vater einer Tochter nicht gerade einfacher. Dass man Drogen bei ihm gefunden hat, schon gar nicht. Er bestreitet jedoch, dass sie ihm gehören.

Vielfältige Lebensrealitäten

Es gilt die Unschuldsvermutung. Und es gilt, dass Szájers Sexualleben seine Privatsache ist – auch wenn er sich damit rühmt, die Passage, die die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau definiert, höchstpersönlich in die Verfassung geschrieben zu haben. Man darf dieser Meinung sein, unabhängig von der eigenen sexuellen Orientierung.

Aus Szájers politischem Vermächtnis wird dennoch eine Botschaft hervorstechen: dass die Lebensrealität von Menschen vielfältiger ist, als Ideologen es gerne vorgeben. Zu vielfältig für Ungarns Premier Viktor Orbán. Er verkündete am Mittwoch Szájers Parteiaustritt. "Die Handlungen unseres Stellvertreters, József Szájer, sind mit den Werten unserer politischen Familie unvereinbar", erklärte Orbán. Szájers Verhalten sei "inakzeptabel". (Gerald Schubert, 2.12.2020)