Pestizide bleiben in der EU ein Reizthema. Frankreich als große Agrarnation spricht sich für weniger Chemie auf den Feldern aus.

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Wien – Österreichs Bauern bemühen sich, Konsumenten regionale Lebensmittel schmackhafter zu machen. Ziel ist es, mehr Wertschöpfung im Land zu belassen und die Abwärtsspirale bei den Erzeugerpreisen zu stoppen. Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) wird nicht müde, Österreich in Europa als Vorbild für biologischen und nachhaltigen Landbau zu preisen. Hinter den Kulissen lobbyiert ihr Ministerium für einen konträren Kurs und geht dabei in Konfrontation zu Brüssel. Die Fahrtrichtung heißt: kein Verzicht auf Pestizide.

Schutz der Bienen

Im Mai legte die EU-Kommission ihre Strategien für eine nachhaltige Landwirtschaft und den Erhalt der Biodiversität vor. Sie will, dass Düngemittel in EU-Ländern bis 2030 um ein Fünftel reduziert werden. Zugleich soll die Menge der eingesetzten chemischen Pflanzenschutzmittel um die Hälfte sinken. Das soll die Abhängigkeit der Landwirte von der Chemieindustrie mindern und Pollenträger wie Bienen schützen.

Österreichs Umweltministerium signalisierte Brüssel Unterstützung für das Vorhaben. In den kommenden Monaten will die EU dafür die Rechtsakte auf den Weg bringen.

Ratsdokumente, in die die Umweltorganisation Global 2000 Einblick erhielt, belegen nun aber, dass das Landwirtschaftsministerium parallel dazu gegen die Pestizidreduktion mobilisiert. Österreich ist damit derzeit allein. Kein anderes Land sprach sich im Rat der Landwirtschaftsminister offen und dezidiert gegen die Komissionspläne aus. Frankreich als weit größere Agrarnation begrüßte die Brüsseler Vorschläge. Was Österreich veranlasste, auch dazu eine klare Gegenposition einzunehmen, wie Global 2000 dokumentiert.

Indirekte Kritik übten Irland und Litauen. Die übrigen Mitgliedsstaaten äußerten sich zu der Causa noch nicht oder verhielten sich neutral, geht aus Analysen des europäischen Pestizidnetzwerks Pan hervor.

Wirkung vor Quantität?

Die Argumente der Österreicher: Die Menge an Pestiziden sage per se nichts über deren Wirkung aus. Biolandwirtschaft erfordere teils größere Mengen an Pflanzenschutz als konventioneller Landbau. Brüssel müsse die Reduktionsziele präzisieren.

Auf Anfrage des STANDARD heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium, dass man sich seit jeher für nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmittel einsetze. In den vergangen zehn Jahren seien die chemisch, synthetischen Pestizide hierzulande um 14 Prozent reduziert worden. Österreich spreche sich auch nicht gegen ehrgeizige Bienenschutz-Maßnahmen aus.

Folgenabschätzung gefordert

Rein quantitative Reduktionsziele sehe man aber kritisch. Diese müssten einer umfassenden Folgenabschätzung standhalten. Im Vordergrund stehe Risikominimierung.

Für Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker bei Global 2000, suggeriert Österreich fälschlicherweise, dass Biolandbau von der EU zurückgedrängt werde. Ihr Ansinnen sei es aber vielmehr, Chemie einzudämmen.

Zwischen 2011 und 2018 stieg die Menge der verkauften Pestizide in Österreich um 53 Prozent. Es war nach Zypern der höchste Anstieg in der EU. Die SPÖ kritisiert erhebliche Intransparenz rund um deren Verwendung. Das Landwirtschaftsministerium berief sich auf Datenschutz und Amtsgeheimnis. Der Bauernbund, der im Übrigen auch gegen ein Verbot des weltweit umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat kämpft, sprach von "unseriöser Panikmache". Der Einsatz von Chemie sei schließlich im Sinken, der Anteil an biologischen Mitteln nehme zu.

Dass das Landwirtschaftsministerium hinter verschlossenen Türen gegen das Pestizidreduktionsziel der EU arbeite und in Brüssel als Speerspitze der internationalen Pestizidlobby agiere, sei intolerabel und beschämend, sagt Burtscher. "Köstinger untergräbt die bisher verlautbarte Position des Umweltministeriums und bedient rückwärtsgewandt die Interessen ihrer Klientel." (Verena Kainrath, 3.12.2020)