Bundeskanzler Sebastian Kurz und Fragegastgeber Armin Wolf beim Disput in der "ZiB 2".

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Es zehrt unsere seltsame Zeit, in der ehemalige Kanzler froh sind, keine mehr zu sein, an den kollektiven Nerven. Jedes Politinterview wird folglich ein bisschen zum aufreibenden Disput über Narrative und Deutungshoheiten. In der "ZiB 2" neigt Kanzler Sebastian Kurz – zugespitzt zusammengefasst – eher zur Geschichte von der Naturkatastrophe, die situationselastisch mit Ausdauer, Verzicht und Maßnahmen zu bewältigen wäre, wenn nur jede(r) den tadellosen Anweisungen der Verantwortlichen folgen würde. Fragegastgeber Armin Wolf hingegen will erforschen, ob die Zahlen der Neuinfektionen, die Österreich phasenweise zum Negativweltmeister erhoben haben, nicht doch auch Folge eines politischen Versagens sein könnten. Zwischendurch erinnert Wolf ja an die Prognose von Gesundheitsminister Rudolf Anschober, wonach es keinen zweiten Lockdown geben werde. Was waren das doch vergleichsweise für erträgliche Zeiten!

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Nun, Kurz und Wolf hätten sich nicht geeinigt, selbst wenn das Interview zwei Stunden gedauert hätte. Da es aber vergleichsweise Überlänge aufwies, war es ein schönes Dokument der doppeldeutigen Gegenwart. Kurz’ Ansatz, abermals zugespitzt formuliert: Man könne nicht zugleich die hohen Infektionszahlen und die Gegenmaßnahmen kritisieren. Wolf ist nicht wirklich überzeugt, er bohrt natürlich weiter, etwa bezüglich der Maskenpflicht: "Haben Sie schon mal den ganzen Tag eine Maske getragen, Herr Kanzler?" Jedenfalls versteht Kurz, dass es eine Belastung für Schulkinder ist. Aber es müsse sein. Und: Je weniger Infizierte unterm Weihnachtsbaum säßen, desto besser für die Zukunft, so Kurz. Hier wollte Wolf nicht widersprechen, später dann aber schon. Sehenswert. (Ljubiša Tošić, 3.12.2020)