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In der Liebe auf Distanz schaffen Videocalls Nähe.

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Zusammen, aber allein – das ist für Menschen in einer Fernbeziehung der normale Alltag. Die Corona-Pandemie machte bei den meisten daraus aber noch viel mehr allein als gemeinsam: geschlossene Grenzen, Ausgangsbeschränkungen, schwammige Verordnungen, Reisebeschränkungen für unverheiratete Paare, negative Corona-Tests, die vorgewiesen werden mussten – und eine große Ungewissheit.

Die Pandemie verunmöglichte die Antwort auf die so wichtige Frage in Fernbeziehungen: "Wann sehen wir uns wieder?" Denn die Distanz ist aushaltbar, wenn ein Ende in Sicht ist, wenn es ein Datum gibt, das man im Kalender rot einringelt. Können Paare nicht planen und Tage abzählen, fällt es vielen schwer, nicht die Hoffnung zu verlieren. "Viele Paare sind momentan in einem Schwebezustand", sagt Marion Stelter. Sie ist studierte Psychologin und arbeitet als Paartherapeutin. Stelter hat vier Jahre in einer Fernbeziehung gelebt, vor 15 Jahren ist sie von Salzburg nach Stuttgart zu ihrem Mann gezogen.

Es sei wichtig, derzeit dennoch zuversichtlich zu bleiben und nicht in negative Denkspiralen zu verfallen, die auf die Psyche drücken, sagt Stelter. Dabei helfe, Ziele zu vereinbaren, auf die man sich freuen kann – am besten verbunden mit Aktivitäten. Zum Beispiel ein Onlinedate am Wochenende, wo per Skype gemeinsam dasselbe gekocht und gegessen wird. "Das stiftet ein Gefühl von Zweisamkeit und schweißt zusammen", weiß Stelter.

Rituale und Routinen

Auch gemeinsame Rituale und Routinen seien wichtig, gerade in der Weihnachtszeit: Kekse backen, füreinander Adventkalender basteln und verschicken, sich vielleicht ein Festmenü für das digitale Weihnachtsfest überlegen, wenn man sich nicht besuchen kann. Oder auch das morgendliche Workout zusammen machen, beim abendlichen Lockdown-Spaziergang telefonieren oder sich virtuell in der Badewanne treffen.

Ansonsten gilt, was in Fernbeziehungen immer gilt: Alle Kanäle nutzen, die Nähe trotz Distanz herstellen können. Einander aus dem Alltag Nachrichten und Fotos schicken, viel telefonieren und Videocalls führen. "Das sind gute Alternativen", sagt die Paartherapeutin. Und: "Überraschungen oder analoge Liebesbriefe funktionieren meistens auch recht gut."

Letztlich spielt die Hoffnung abseits des nächsten gemeinsamen Wochenendes in den meisten Fernbeziehungen eine Rolle: nämlich die, dass man eines Tages einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt hat.

Wenn beide im Homeoffice sind, tut Zeit für sich allein auch mal gut, weiß Christian Pausch seit er im zweiten Lockdown vorübergehend mit seinem Partner zusammenwohnt. (Symbolbild)
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"Wir lernen uns jetzt quasi neu kennen"

"Er: Wir haben die Distanz nie als Fluch gesehen. Wir mögen es, dass ich in Wien wohne, mein Freund in Berlin und wir alle zwei, drei Wochen in der jeweils anderen Stadt leben. Aber als wir im Frühjahr gezwungen waren, zweieinhalb Monate getrennt zu sein, da wurde es schon zach.

Den Partner zu sehen war schwammig geregelt. Um über die Grenze nach Österreich zu kommen, habe ich Carsons Zweitwohnsitz in Wien gemeldet, aber den Beleg haben wir nie gebraucht. Das waren leere Warnungen und Millionen Sorgen. Im Sommer gab es dann kleine Konflikte, wann wer wen besucht: Nur ich habe einen Führerschein, die Zugfahrt fühlte sich mit FFP-Maske lang an, Flüge wurden gecancelt. Trotzdem sind wir zuversichtlich geblieben, haben uns erinnert, wie privilegiert wir sind. Gemeinsame Rituale, die wir davor nicht hatten, wurden plötzlich wichtig. Wir haben jeden Tag einen Film geschaut und gleichzeitig auf Play gedrückt.

Seit Ende Oktober ist Carson vorübergehend bei mir. Zum ersten Mal verbringen wir so viel Zeit miteinander – wir gleichen quasi den ersten Lockdown aus. Wir lernen unseren Alltag und unsere Macken kennen und wissen, dass ein Spaziergang allein guttut, wenn beide im Homeoffice sind. Wir merken, dass wir auch ohne Fernbeziehung super funktionieren. Wir machen sogar unser Workout zusammen."

Christian Pausch (32) und Carson Zhang (26) sind seit eineinhalb Jahren ein Paar – immer in einer Fernbeziehung.

Verena Küchler kam an der Schweizer Grenze nach Österreich nicht durch
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"Ich bin auf gut Glück zur Grenze gefahren"

Sie: Der Lockdown war schrecklich. Normalerweise sehen wir uns alle zwei Wochen. Christoph wohnt in Wien, weil er da seinen Lebensmittelpunkt mit Kindern aus erster Ehe hat, ich in St. Gallen, wo ich als Ärztin im Kantonsspital arbeite. An Ostern wollte ich ihn unbedingt besuchen, wir hatten uns seit einem Monat nicht gesehen.

Er: Das war für uns unerwartet. Sonst setzen wir uns ins Flugzeug und sind eine Stunde später da. Aber es ist ja kein Flugzeug geflogen.

Sie: Ich bin auf gut Glück an die Grenze, aber der Polizist hat mich nicht durchgelassen. Ich habe viele Mails geschrieben, um mich zu erkundigen. Jeder hat was anderes gesagt. Sogar Kanzler Kurz habe ich gebeten, dass wir uns sehen können. Das war eine Verzweiflungstat, Antwort habe ich eh keine erwartet. Da sind Wochen vergangen, wo ich gekämpft habe. Mitte Mai konnte ich endlich mit negativem Corona-Test nach Wien.

Er: Du hast auch eine Mappe gemacht mit Unterlagen, um unsere Beziehung zu belegen. Wir haben sie aber nie gebraucht. Seit Corona kann man nichts planen. Selbst wenn wir was vereinbaren, können die Umstände bald ganz anders sein. Jetzt glauben wir erst, dass wir uns sehen, wenn wir jeweils am anderen Ort sind.

Sie: Diese Unsicherheit ist schrecklich. Wenn bislang was war, jemand von uns krank wurde, haben wir uns gleich besucht. Derzeit liegt Christoph im Spital. Ich möchte natürlich sofort zu ihm, aber das geht nicht wegen der Quarantäne.

Er: Prinzipiell bin ich jetzt aber viel gelassener als im Frühjahr. Wir wissen, wie die Verordnungen zu verstehen sind und, dass wir uns sehen können. Ich habe auch mehr Flexibilität, kann mich ins Auto oder den Zug setzen und bin optimistisch, dass ich über die Grenze komme. Ich werde selten kontrolliert.

Sie: Ja, aber im Lockdown hätte ich die Hoffnung fast aufgegeben.

Er: Da hilft, dass der Gesprächsfaden nie abreißt. Wir telefonieren jeden Tag in der Früh, wenn meine Frau zur Arbeit geht und am Abend mit Video. Die Gesprächsebene ist, als ob wir zusammenleben würden. Das liegt auch in der DNA unserer Beziehung: Am Anfang haben wir schon mal auf Distanz gelebt – da haben wir noch Briefe geschrieben.

Sie: Die erst eine Woche später angekommen sind. Dennoch: Eine Umarmung, die Nähe, fehlt uns schon."

Verena Küchler (64) und Christoph Bruckner (65) sind seit 35 Jahren zusammen. Seit acht Jahren führt das verheiratete Paar – nicht zum ersten Mal – eine Fernbeziehung.

Anna I. und ihr Freund fühlen einander durch gleichzeitiges Serienschauen näher. (Symbolbild)
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"Corona macht uns fernbeziehungsmüde"

"Sie: Corona hat uns fernbeziehungsmüde gemacht. Seit dem ersten Lockdown, als mein Freund und ich uns von Ende Februar bis Anfang Juni nicht sehen konnten, ist uns klar: Wir wollen so bald wie möglich wieder an einem gemeinsamen Ort leben. Nun suchen wir nach einer Lösung. Seit zwei Jahren leben wir zwei Autostunden voneinander entfernt. Ich in Dornbirn und er im deutschen Tübingen, wo er seine Facharztausbildung macht. Normalerweise verbringen wir drei Wochenenden im Monat gemeinsam. Im Frühjahr habe ich andere Paare beneidet, die in der Zeit zusammen waren.

Ich hatte immer die Hoffnung, dass bald eine Regelung für unverheiratete Paare kommt. Im Sommer durfte er endlich zu mir, ich hätte in Deutschland in Quarantäne gemusst. Mittlerweile können wir uns problemlos sehen. Trotzdem ist man ständig in Alarmbereitschaft und schaut, ob die Grenzen offen bleiben oder neue Quarantäneregeln kommen. Aber ich mache mir weniger Sorgen als noch vor einem halben Jahr.

Klar gibt es Tage, an denen es mir damit schlechter geht. Aber es hilft zu wissen, dass es nicht nur uns so geht – andere haben weitere Distanzen. Am Abend videotelefonieren wir, oft essen wir so gemeinsam. Gleichzeitig Serien zu schauen gibt uns das Gefühl, etwas zusammen zu machen, näher beisammen zu sein. Trotzdem ist es nicht dasselbe."

Anna I. (27) ist seit fünfeinhalb Jahren mit ihrem Freund zusammen.

(Selina Thaler, 5.12.2020)