In dieser gnadenreichen Zeit ist man offen für alles, was uns zeigt, dass man auch mit kleinen Gesten vielen Menschen Freude bringen kann. Niemandem ist das in den letzten Tagen so gut gelungen wie Ursula Stenzel mit ihrem Austritt aus der FPÖ. Die Freiheitlichen sind sie los, die Zunft der Journalist/inn/en kann ein auferstandenes Mitglied in ihren Reihen begrüßen, und Liebhaber der Bloggerei dürfen sich auf Perlen eines unabhängigen Journalismus freuen. Denn nicht aus ideologischen Gründen, nein, nur zur Wahrung ihrer journalistischen Unabhängigkeit ist sie dem Schoß blauer Kameradschaft entkrochen, nicht ohne damit beträchtliches Risiko zu nehmen. Verriet sie doch in "Österreich": "Solange mein Verstand es mir noch erlaubt, eine wissende und analytische Beobachterin des Tagesgeschehens zu sein, mache ich das gerne."

Das Parlamentsausweichquartier in der Wiener Hofburg.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Mit dieser Ungewissheit in ohnehin unsicherer Zeit müssen die Scharen ihrer Fans nun leben. Sie will aber nicht nur das Tagesgeschehen beobachten, sondern auch "über Grundrechte und Europa in der schwersten Krise seit Langem, über Ungarn, Polen, Amerika" sinnieren. So weit müsste sie gar nicht schweifen, gäbe es doch auch zu Hause einiges zu tun.

So ist neulich etwas passiert, was für ein Ereignis, das es so noch nicht gegeben hat, unverdient wenig öffentliche Aufmerksamkeit erregte. Der Bundespräsident musste dem Bundeskanzler schriftlich mitteilen, er könne das verfassungsmäßige Zustandekommen des Bundesfinanzrahmengesetzes nicht beurkunden, weil der Gesetzesbeschluss nicht nur fehlerhaft sei, sondern obendrein verfassungswidrig.

Fehler vermeiden

Nun ist man bei dieser Regierung Schlamperei bei Verordnungen gewohnt, aber was soll’s, deren Verfassungsmäßigkeit stellt sich mit ihrem Auslaufen quasi von selber her, wie der Bundeskanzler als oberster Staatsrechtler einmal deklarierte. Man muss Verordnungen nicht auf die Goldwaage unserer schönen Verfassung legen, und was ist schon ein Budget anderes als eine bessere Verordnung, bei der es keine Rolle spielt, wenn man ein paar Nullen vergisst?

Nach einem Fehler würde man umso mehr Bemühen erwarten, einen zweiten zu vermeiden. Das ist hier nicht zu erkennen, was den Verdacht gestattet, diesen "Schlampereien" liege beim Bundeskanzler und seinen Beratern eine prinzipielle Geringschätzung der Verfassung, des Parlaments und der Abgeordneten zugrunde. "Ich sehe die Gefahr der Gewöhnung an einen Politikstil, der die Parlamente beiseiteschiebt, weil sie ,zu langsam‘ agieren", schrieb erst vorgestern der Politologe Wolfgang Merkel in der "Wiener Zeitung". Dieser Gefahr ist zunächst einmal der Bundespräsident entgegengetreten, aber wird auch der Nationalratspräsident einschreiten, wenn der Finanzminister den Abgeordneten das nächste Mal in Socken zeigt, was er von ihnen hält?

Verachtung des Parlamentarismus hat in Österreich ungute Tradition. Man muss ja nicht gleich an Dollfuß denken, der sich immerhin ans Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz gehalten und im Plenarsaal stets die Schuhe anbehalten hat, ehe er ihn sperren ließ. Austrofaschismus mit Stil! Umso weniger besteht ein Bedarf an Dollfüßlern, die ihr Versagen zur Not Migranten in die Schuhe schieben, wenn ihnen die Message-Control entgleitet. (Günter Traxler, 4.12.2020)