Foto: Elke Lackner

STANDARD: Liebe Familie Lackner, wie geht es in Zeiten von Corona?

Mia Lackner: Eigentlich gut, aber natürlich ist das alles sehr ungewöhnlich. Es ist schwierig, nicht in eine depressive Stimmung zu verfallen und nur das Negative an dem allen zu sehen.

Elke Lackner: Aber uns geht es gut, weil wir privilegiert sind. Wir haben eine funktionierende Familie, Freunde und ein Haus, in dem wir uns bewegen können. Mein Mann und ich haben einen Job, sprich keine finanziellen Sorgen oder Existenzängste. Ich kann jeden Tag in die Arbeit fahren, da ich ein eigenes Büro habe und somit niemanden gefährde. Wenn jemand im Homeoffice ist und dabei noch kleine Kinder im Homeschooling zu betreuen hat und das alles auf 60 Quadratmetern und vielleicht Angst um den Job haben muss, dann sieht das alles schon anders aus. So gesehen dürfen wir uns nicht beschweren.

Christine Lackner: Mir als Pensionistin geht es so gesehen überhaupt gut. Außerdem habe ich die Jugend nebenan und meine Mutter noch im Haus bei mir. Weil derzeit die Pflegerinnen ausfallen, habe ich natürlich schon viel mehr zu tun, aber durch den Lockdown kann man ohnehin nicht so viel unternehmen. Vom Fadsein ist bei mir keine Rede.

STANDARD: Als eine Familie, in der noch vier Generationen mit- oder nebeneinander leben, sind Sie alle auch eine Virengemeinschaft?

Mia: Grundsätzlich schon. Wenn ich aber die Mitzi-Oma, die Mama von der Oma, besuche, dann trage ich eine Maske, um sie nicht zu gefährden. Auch weil mein Vater im Krankenhaus arbeitet und wir dadurch einem Risiko ausgesetzt sind.

STANDARD: Für wen von euch drei hat sich das Leben am meisten verändert?

Mia: Ich denke, das bin wahrscheinlich ich. Ich habe 2020 die Corona-Matura mitgemacht. Schon im Frühjahr wurde der ganze Unterricht auf Homeschooling umgestellt und wir konnten enorm selbstständig sein. Seit August studiere ich Medizin in Salzburg. Am Sommerende konnten wir uns noch ein bisschen kennenlernen, aber es ist alles wieder schnell weggefallen. In diesen digitalen Lerngruppen, in die wir aufgeteilt sind, ist es schwierig, soziale Kontakte zu knüpfen. Ich war vorher immer in Sportvereinen aktiv und habe gejobbt, aber das alles ist auf einmal weggefallen. Das ist schon eine riesige Umstellung, nur zu Hause zu sein und nichts mehr machen zu können.

STANDARD: Ist das nicht auch ein Idealzustand, um im Studium oder in der Arbeit viel weiterzubringen?

Mia: In der Zeit der Matura habe ich das genossen. Ich hatte einen Auftrag, eine Deadline und konnte mir alles einteilen. Jetzt empfinde ich das anders. Medizin ist sehr intensiv, ich hätte die Vorlesungen gern vor Ort. Ich habe fast den ganzen Tag Vorlesungen. Das alles immer online vor dem Computer, das ist sehr anstrengend. Wenn es einen rausschmeißt und man sich neu einloggen muss, wird nichts wiederholt. Pech.

Elke: Ich kann mich noch gut an mein Studium unter normalen Umständen erinnern. Wenn ich das heute bei Mia manchmal mitverfolge, ist das so lähmend: Manche Lehrende sind mit den digitalen Medien noch kaum vertraut, nutzen das Medium schlecht, bewegen sich zum Beispiel kaum.

STANDARD: Frau Lackner senior, Sie und Ihr Mann sind sehr aktive Pensionisten. Worauf müssen Sie verzichten?

Christine: Zurzeit treffen wir natürlich keine anderen Leute. Das ist ein Verzicht. Wir sind sonst in unterschiedlichen Gruppen engagiert: zwei Radgruppen, eine Tennisgruppe, eine Wandergruppe. Da hat man sich regelmäßig getroffen, das fehlt uns schon enorm. Aber schon im ersten Lockdown bin ich durch die Pflege meiner Mutter um sechs Uhr früh auf, damit ich das alles schaffe. Ich hatte so einen sehr strukturierten Tag, dass mir das alles gar nicht so schwergefallen ist. Das war fast ein Vorteil. Nach diesen ersten zwei Monaten kam wieder eine Pflegerin, und ich bin ein bisschen lax geworden. Aber was wir hier nicht vergessen dürfen: Wir konnten immer mit dem Rad fahren, raus in den Garten oder eine Runde spazieren gehen.

STANDARD: Eine Frage an die mittlere Generation: Wer muss auf mehr verzichten? Die Jungen oder die Alten?

Elke: Das ist keine Alters-, sondern eine Charakterfrage, ob jemand besser oder schlechter mit einem Lockdown umgehen kann. Ich möchte das jetzt gar nicht beurteilen, wem es besser oder schlechter geht. Was ich sehe, ist, dass ich vieles hatte, was die Mia jetzt nicht hatte: Eine Maturafeier, eine Maturareise, einen unbeschwerten Studienbeginn. Das sind alles unwiederbringliche Dinge. In meiner Generation ging es beim Studieren auch ums Ausgehen und Feiern, das hat meine Tochter jetzt alles nicht. Sicher kann man mit Freunden digital in Kontakt bleiben, aber ständig jemanden nicht die Hand geben zu können, in öffentlichen Verkehrsmitteln Masken zu tragen, um uns vor Ansteckungen zu schützen, oder andere Menschen nicht umarmen zu können, das alles wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Kindergartenkinder bekommen via Schautafeln erklärt, was richtig und was falsch ist, zum Beispiel, sich zu umarmen.

STANDARD: Kleine Kinder können manches schwer verstehen. Die ganz Alten vielleicht auch. Wie geht es der über Neunzigjährigen in der Familie?

Christine: Meine Mutter ist nicht dement, aber sie blendet Dinge aus, die ihr nicht passen. Sie kann es zum Beispiel nicht verstehen, warum sie nicht mehr mit uns einkaufen gehen kann. Das akzeptiert sie schwer. Sie sagt, ich will unter Leute! Wenn ich dann sage, da könntest du krank werden, sagt sie: Das macht mir nichts. Sie würde sich das alles so zurechtrücken, wie es ihr passt.

STANDARD: Wie gehen die Männer in der Familie mit all dem um. Rücken die sich auch Dinge zurecht?

Elke: Das ist eine komische Frage für mich. Ich und mein Mann haben ein komplett vertauschtes Rollenbild. Er ist Krankenpfleger und ich bin Techniker. Er arbeitet in einem klassischen Frauenberuf, ich in einer klassischen Männerdomäne. Als Mia noch klein war, kam sie zu mir, wenn sie etwas repariert haben wollte, und zu ihm, wenn sie sich wehgetan hat. Das ist bis heute so. Mein Partner sieht vieles aus sehr professioneller Sicht, er hat auch schon die schwierigen Umstände dieser zweiten Welle vorausgesagt. Er ist sehr strikt, was das Einhalten der Maßnahmen betrifft.

Christine: Das ist auch Charaktersache. Mein Mann verarbeitet das alles so, dass er sich unentwegt Beschäftigung sucht. Dinge, die gestrichen werden müssen et cetera. Da wird immer etwas getan.

STANDARD: Oft kommt es vor, dass innerhalb einer Familie die Älteren manches weniger streng sehen, obwohl sie Risikogruppe sind. Wer hat da mehr Bedenken oder sogar Angst?

Christine: Ich bin vorsichtig, Angst habe ich keine.

Elke: Angst habe ich auch nicht. Wir tragen einfach viel Verantwortung, mein Mann für den Pflegebereich einer Covid-Abteilung eines Krankenhauses. Da ist es einfach wichtig, dass er gesund bleibt. Und ich habe nicht nur die Verantwortung für meine Familie, sondern für meine dreißig Mitarbeiter auch. Da hängen überall Familien dran. Ich lege sehr viel Wert auf Aufklärung, und es ist selbstverständlich, dass wir bei Arbeitstreffen alle auch Masken tragen.

STANDARD: Was geht einem als junger Medizinstudentin durch den Kopf. Wäre die Virologie ein Gebiet, in das man sich dann vertiefen will?

Mia: Ja, durchaus, meine VWA habe ich über Masern und die Einstellung der Österreicher zum Impfen geschrieben. Und bei meiner Präsentation war klar, dass da auch Fragen zum Coronavirus kommen. Was ich jetzt in meinem Studium bemerke, ist, dass Professoren, die sich mit Forschung befassen, untereinander oft unterschiedliche Ansichten haben. Es ist nicht einfach, sich aus der Vielzahl an Informationen und Meinungen die seriösen rauszupicken.

STANDARD: Was ist 2020 nicht passiert und will 2021 nachgeholt werden?

Elke: Ich möchte lieber sagen, was wir gewonnen haben. Ich habe es durch die Corona-Situation geschafft, mein Berufsleben umzustrukturieren – und habe wieder mehr Zeit für mich selbst. Wir haben schon im ersten Lockdown jeden Tag eine Stunde Sport gemeinsam gemacht. Wir haben wie viele in Österreich auch begonnen, Brot zu backen, wieder zu stricken und mehr zu lesen. Das verflüchtigt sich vielleicht wieder. Aber der tägliche Sport ist geblieben, das ist extrem positiv.

Christine: Ich finde auch, dass die Einschränkungen etwas Positives bewirkt haben, nämlich dass weniger auch mehr sein kann. Wenn wir rausgehen in die Natur, dann genießen wir das heute intensiver als früher, weil im Moment vieles nicht selbstverständlich ist.

STANDARD: Wie wird dieses Jahr Weihnachten gefeiert?

Mia: Wir werden wahrscheinlich allein feiern: ein gemütliches Weihnachten im Pyjama mit Keksen und der Sisi-Trilogie, auch für den Papa, der über die Feiertage arbeiten muss. Wir dürfen uns nicht runterziehen lassen durch die Dinge, die jetzt nicht stattfinden. Irgendwann werden sie wieder stattfinden. Es kann nicht in den nächsten hundert Jahren einen Lockdown geben aus Angst vor dem Coronavirus.

Christine: Wir lassen das auf uns zukommen. Wenn die Fallzahlen weiter hoch sind, dann wird das nichts mit einem Weihnachtsfest mit der ganzen Familie. Ich habe schon mit Freundinnen gesprochen, die lachend gesagt haben: Das werden heuer sehr gemütliche Weihnachten, es können nicht mehr alle kommen. (Mia Eidlhuber, 5.12.2020)