Im September übergab ein Marchand-Amateur diese vermeintlich antike Vase zur Versteigerung. Tatsächlich gehört sie zu einem Tafelaufsatz im Kunsthistorischen Museum.

Foto: KHM Museumsverband / Christian Mendez

So üblich der Vorgang für ein Auktionshaus sonst sein mag, diesmal war er es nicht. Im September brachte ein Stammkunde bei "im Kinsky" ein Objekt vorbei, um es demnächst versteigern zu lassen: eine vermeintlich antike Vase, montiert auf einem Marmorsockel, den drei vergoldete Delfin-Darstellungen zierten.

An der Unterseite des Sockels hatte ein Vorbesitzer Pappendeckel aufgeklebt und handschriftlich wie folgt vermerkt: "Rotfiguriertes attisches Salbengefäß aus dem V. vorchristlichen Jahrhundert. Fundort (Mykäne (sic!)? Argolis?). Anachronistisch montiert auf attischem Marmor mit 3 Gold-Delphinen". Eine Fehlinformation, wie sich herausstellen sollte. Ebenso die Angaben zur Herkunft: "Geschenk Georg I., König der Hellenen 1888 an Fürst Alexander von Bulgarien, dessen Gattin Gräfin Joh. Hartenau 1945 an V. Esertic".

Eine Irreführung, für die teils Namen und Lebensdaten historischer Persönlichkeiten verwendet wurden, um eine bis Ende des Zweiten Weltkrieges durchgehende Provenienz und einen Kontext zu Österreich zu konstruieren.

An der Unterseite des Sockels hatte ein Vorbesitzer auf einem aufgeklebten Karton kunsthistorisch falsche Angaben und eine erfundene Provenienz notiert.
Foto: KHM

Erfundene Herkunft

Ein Blick in die Vita Prinz Alexanders von Battenberg belegt, dass 1888 für ihn immerhin eine Bedeutung hatte, nicht nur, weil sein Vater verstarb. Zwei Jahre zuvor hatte der 1879 zum Fürsten von Bulgarien Gewählte auf den Thron verzichten müssen. Seit 1883 war er mit einer deutschen Prinzessin verlobt, eine Verbindung, die Kaiser Wilhelm I. und Fürst Bismarck aus politischem Kalkül strikt ablehnten.

1888 wurde das Verlöbnis aus Gründen der Staatsräson schließlich gelöst. "Sonnenfinsternis am Liebeshimmel", witzelte das Wiener humoristische Blatt Kikeriki mit einer Karikatur, in der Bismarcks Profil den schicksalhaften Schatten warf. Der Fürst tröstete sich schnell, Anfang 1889 heiratete er die aus Pressburg gebürtige Tochter eines oberösterreichischen Kapellmeisters: Johanna Loisinger, eine am Hoftheater in Darmstadt tätige Sopranistin.

Als Graf und Gräfin von Hartenau lebten sie fortan in Graz. Nach Alexanders Tod 1893 zog seine Witwe mit den gemeinsamen Kindern nach Wien. Vom bulgarischen Staat bekam die Familie eine jährliche Pension zugebilligt, die der Gräfin auch die Förderung des Wiener Musiklebens ermöglichte.

Aus dem Leben des einstigen Fürsten von Bulgarien, Prinz Alexander von Battenberg: Im April 1888 thematisierte das humoristische Volksblatt "Kikeriki" (Wien) die von Fürst Bismarck angeordnete Auflösung seiner Verlobung mit der deutschen Prinzessin Viktoria von Preußen.
Foto: Anno/Kikeriki, XXVII Jg., Nr 33

Brisante Abstammung

Die Vase, die ein heimischer Marchand-Amateur dem Auktionshaus übergab, war jedoch nie in ihrem Besitz gewesen. Die Herkunftsangaben entpuppten sich als Fabel, deren Autor wohl unbekannt bleiben wird. Recherchen der Kinsky-Experten, die das Objekt vorerst auf 15.000 bis 20.000 Euro taxierten, förderten eine gänzlich andere und durchaus brisante Abstammung zutage.

Der Tipp eines Kundigen lieferte den entscheidenden Hinweis: auf einen Die Ruinen von Paestum bezeichneten Tafelaufsatz im Bestand des Kunsthistorischen Museums (KHM). Den Besuchern der Kunstkammer ist das im Raum XIX in einer 5,4 Meter langen, 1,3 Meter breiten und 2,5 Meter hohen Vitrine verwahrte Ensemble wohl bekannt.

Auf sieben insgesamt fast fünf Meter langen, hellblau mosaizierten Bodenplatten sind drei Monumente von Paestum angeordnet, konkret die damals so genannte Basilika sowie der Poseidon- und Cerestempel. An den Eckpunkten der Tempel stehen elf kleine antikisierende Vasen. Weiters gehören dazu vier kleine porphyrene Sarkophage und zwei von Greifen gestützte Schalen.

"Die Tempel von Paestum" nennt sich dieses Ensemble in der KHM-Kunstkammer: Es wurde 1805 im Auftrag von Maria Karolina, Königin von Neapel-Sizilien, gefertigt und als Geburtstagsgeschenk für Kaiser Franz II. (I.) nach Wien gesandt.
Foto: KHM

Tafelaufsatz einer Königin

"In den Zwischenabständen der Tempel sind zwei bronzene Elefanten platziert, auf deren Rücken jeweils drei Sirenen – als Verweise auf den antiken Entstehungsmythos Neapels – insgesamt sieben Porträtmedaillons der neapolitanischen Herrscherfamilie hochhalten", beschreibt Çiĝdem Özel in einem soeben publiziertem Beitrag.

Die österreichische Kunsthistorikerin ist Stipendiatin der "Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte" (Rom), arbeitet an ihrer Dissertation zur Kunstpatronage der Königin von Neapel-Sizilien Maria Karolina und hat sich intensiv mit diesem Tafelaufsatz beschäftigt.

Denn die Tochter von Kaiser Franz I. und Maria Theresia war auch diejenige, die ihn in Auftrag gegeben hatte: bei den römischen Bildhauern Carlo (Vater) und Filippo (Sohn) Albacini sowie dem italienischen Architekten und Goldschmied Giuseppe Valadier.

Paestum, ruft Özel im Gespräch in Erinnerung, war auf der Grand Tour durch Italien bereits seit dem 18. Jahrhundert ein "place to be". Daran knüpfte Königin Maria Karolina mit ihrem Geschenk an Kaiser Franz II. (I.) anlässlich seines Geburtstages 1805 an. Zuerst gelangte es in die k. k. Schatzkammer, 1808 dann in das Münz- und Antikenkabinett. Zwischendurch wurde es in Schloss Ambras gezeigt, wenngleich nicht als Ensemble. Seit der Eröffnung des KHM 1891 war es – in unterschiedlichen Räumen – durchgehend ausgestellt.

Zwölfte Vase verschwand

Irgendwann, in den Jahren zwischen den Generalinventuren 1952 und 1976, war jedoch eine der Vasen abhandengekommen. Die Umstände sind unbekannt, auch im Archiv finden sich dazu keinerlei Hinweise, wie der STANDARD im KHM in Erfahrung brachte. Einzig ein autorisierter Verkauf kann für die Inventarnummer 2445 explizit ausgeschlossen werden.

Eine 1805 publizierte Beschreibung des Tafelaufsatzes zeigt auch das Motiv der aufgetauchten Vase. Die Darstellung der römischen Göttin Ceres, die den Fluss Sebeto als Zeichen der Fruchtbarkeit krönt.
Foto: KHM Museumsverband / Christian Mendez

Bereits 1805 hatte Domenico Venuti, Direktor der königlichen Porzellanmanufaktur in Capodimonte, eine Beschreibung des Tafelaufsatzes und auch der Darstellungen auf den zwölf Vasen veröffentlicht. Jene der vor Jahrzehnten in Verlust geratenen stimmt zweifelsfrei mit der nun aufgetauchten überein: Sie zeigt die römische Göttin Ceres, die den Fluss Sebeto, der einst durch Neapel floss, als Zeichen der Fruchtbarkeit des Landes krönt.

Bei "im Kinsky" stand man – auch aufgrund der Verschwiegenheitspflicht als Kommissionär – vor einem Dilemma. Eine Versteigerung des Objektes stand angesichts des Rechercheergebnisses nicht zur Debatte.

Würde man dem Einbringer die Vase, die er zuvor im Wiener Antiquitätenhandel (gutgläubig) erworben hatte, als "unverkäuflich" retournieren, könnte sie für immer verschwinden. Seitens des KHM hatte man keine Handhabe, da Delikte wie Veruntreuung oder Diebstahl längst verjährt waren. Ein Rückkauf des Objektes aus dem eigenen Bestand kam allerdings auch nicht infrage.

Geschenk an KHM

Die Lösung des komplex wirkenden Problems war am Ende denkbar einfach: "im Kinsky" bezahlte dem Marchand-Amateur einen "Finderlohn", der sehr deutlich unter dem ursprünglichen Schätzwert lag, und überließ dem KHM die Vase geschenkweise. Ernst Ploil, Rechtsanwalt sowie Co-Gesellschafter und Geschäftsführer des Auktionshauses, überbrachte die wertvolle Fracht persönlich.

Zur Freude von Generaldirektorin Sabine Haag: Denn alltäglich sei es ja nicht, dass ein über Jahrzehnte verschollenes Museumsobjekt überraschend auftaucht und mithilfe eines Kunstfreundes wieder in die ursprüngliche Sammlung zurückkehrt. (Olga Kronsteiner, 5.12.2020)