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Viele Eltern fragen sich gerade: Kann das stundenlange Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes meinem Kind schaden?

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Ab Montag herrscht für alle Kinder ab zehn Jahren Maskenpflicht in den Schulen. Das halten viele Eltern für problematisch. Sie befürchten, dass das stundenlange Tragen eines MNS physische und psychische Auswirkungen haben kann. Es wurden Petitionen gegen die Maskenpflicht gestartet, Elternproteste auf Social Media werden immer lauter. Doch sind die Sorgen der Eltern berechtigt? Kathrin Sevecke, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (ÖGKJP) bezieht dazu eine klare Stellung: "Es ist für die Kinder und Jugendlichen irrsinnig wichtig, dass sie wieder in den Präsenzunterricht zurückdürfen. Die Maske ist nicht das Problem!" Im Interview mit dem STANDARD erklärt sie, was Eltern und Lehrer tun können, um den Kindern die aktuell herrschenden Maßnahmen so einfach wie möglich zu machen.

STANDARD: Viele Eltern sind besorgt, dass die Maske sowohl physische wie auch psychische Auswirkungen auf die Kinder haben könnte. Wie sehen Sie das?

Sevecke: Die Kinderärzte sind sich einig, dass ein Mund-Nasen-Schutz für Kinder ab sechs Jahren unbedenklich ist. Wenn man erkältet oder verschnupft ist, fällt das Atmen vielleicht generell schwer, da kann es beim langen Tragen einer Maske zu Kopfschmerzen oder Schwindel kommen. Deshalb sollte das Kind alt genug sein, um solche Symptome zu erkennen und selbst zu handeln. In diesem Fall würde das bedeuten, dass es die Maske einfach abnimmt. Kinder schaffen das mit zehn Jahren ganz sicher, ab diesem Alter gilt die Maskenpflicht. Man könnte das damit vergleichen, dass sich Zehnjährige ja auch die Jacke ausziehen, wenn ihnen viel zu heiß wird. Was die psychischen Bedenken angeht, bin ich der Meinung, dass die Vorbildwirkung der Lehrer und Eltern sehr wesentlich ist. Wenn die Bezugspersonen ohne Probleme einen Mund-Nasen-Schutz tragen, fällt es auch den Kindern und Jugendlichen nicht schwer. Kinder fühlen sich wohl in der Gruppe. Wenn die Maske also die Norm ist, dann würde eher das Kind, das keine tragen will, negativ auffallen – und das wollen Kinder nicht. Die bevorstehende Maskenpflicht in den Schulen ist eine neue Regel, und Kinder gewöhnen sich schnell an Regeln. Sie haben ja auch gelernt, dass sie etwa die Hand heben, bevor sie sprechen – und nicht einfach herausrufen.

STANDARD: Was aber, wenn die Eltern gegen Masken sind und die Kinder sie in den Schulen dennoch tragen müssen?

Sevecke: Wenn Eltern selbst einen Widerstand zeigen, dann kann es natürlich sein, dass das Kind in einen Zwiespalt kommt. Die Schule gibt etwas vor, und die Eltern leben etwas ganz anderes. Nicht das Maskentragen kann psychische Probleme hervorrufen, sondern die unklare Botschaft der erwachsenen Bezugspersonen. Und es sind nicht nur die Eltern. Es gibt ja auch Lehrer, die sich immer wieder negativ über den Mund-Nasen-Schutz äußern.

STANDARD: Das gilt dann aber für alle Maßnahmen, oder?

Sevecke: Natürlich! Die ganze Covid-Sache führt grundsätzlich zu einer Verunsicherung bei Kindern und Jugendlichen. Wenn dann noch die Verunsicherung dazukommt, etwa Maske ja oder nein, tut man den Kindern jedenfalls keinen Gefallen. Kinder brauchen eine klare Entscheidung. Ich kann nur an Eltern und Lehrer appellieren, da mit einer unaufgeregten und klaren Haltung voranzugehen. Zusätzlich braucht es aber auch ein wenig Feingefühl von den Lehrern. Es gib schüchterne Schüler, die sich generell im Schulalltag zurückhalten und sich schwertun mit der physischen Mitarbeit. Die Maske könnte das verstärken. Auf solche Schüler sollten Lehrer nun aktiv zugehen, sie etwa ermuntern, dass sie lauter sprechen, um ihnen genug Raum zu geben.

STANDARD: Die Kinder müssen die Masken jetzt die ganze Unterrichtszeit über tragen. Das sind oft sogar acht Stunden. Spielt das hinsichtlich der Aufmerksamkeit und Teilnahme keine Rolle?

Sevecke: Studien gibt es dazu noch nicht, das muss man klar sagen. Was es aber gibt, ist ein menschlicher Hausverstand: Ärzte operieren mit wesentlich stärkeren Masken über Stunden und sind dabei hochkonzentriert. In anderen Kulturen tragen Menschen schon lange Masken, und es funktioniert. Ich meine also, das ist für die Unterrichtszeit akzeptabel.

STANDARD: Weil sich so viele beschweren, dass nun auch Schüler der Unterstufe die Masken im Unterricht tragen müssen: Tun sich denn jüngere Schüler mit der Regel schwerer als ältere?

Sevecke: Ich denke, dass jüngere Kinder das sogar einfacher akzeptieren, weil sie sich in ihrer aktuellen Entwicklungslage nicht gegen das Außen auflehnen müssen. Jugendliche haben oft das Gefühl, man bestimmt über sie. Sie könnten die Maskenpflicht nutzen, um Widerstand zu leisten. Dazu muss man aber sagen: Wenn es nicht die Maske ist, wäre es was anderes, etwa zu spät kommen, die Kappe ins Gesicht ziehen oder dazwischenreden. Die Maske ist da nur eine Möglichkeit, ihren Widerstand kundzutun.

STANDARD: In diversen Social-Media-Foren sprechen Eltern davon, dass das Social Distancing in den Klassenzimmern und den Pausen schon schlimm genug sei. Nun könnten Kinder nicht einmal mehr die Mimik ihrer Freunde erkennen. Welche Auswirkungen könnte das haben?

Sevecke: Es ist schon richtig, dass die Maske die Mundmimik bedeckt. Aber Augenmimik ist ja durchaus weiter zu sehen. Ich bemerke bei den Patienten in der Klinik, dass die Kinder und Jugendlichen ganz einfach genauer auf die Augen schauen. So dürfte es dann auch bei den Mitschülern sein. Die kennen sich ja meist alle schon gut.

STANDARD: Aber manche hatten einen Schulwechsel und müssen sich erst kennenlernen ...

Sevecke: Ich finde, da sind dann wieder die Pädagogen gefragt. Man muss ein wenig Gespür haben und Alternativen finden, damit sich die Schüler untereinander besser kennenlernen und eine gute Stimmung in der Klasse herrscht. Wesentlich schlimmer ist es, wenn die Schüler wieder ins Homeschooling geschickt werden und sich nur über den Bildschirm sehen, denn da herrscht wesentlich mehr Distanz.

STANDARD: Hat es denn eine Auswirkung auf die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer, wenn man das Gegenüber nie lächeln sieht?

Sevecke: Wie gesagt, die Augenmimik ist ja da. Bindung entsteht ja nicht nur basierend auf Nasen- und Mundmimik. Dazu gehört ja auch eine sanfte Stimmlage, freundliche Worte, ein Austausch. Bindung kann auch entstehen, indem der Lehrer sich etwa Zeit nimmt, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen oder sie zu fragen, wie es ihnen aktuell geht.

STANDARD: Gibt es denn Kinder, die etwa Beklemmungsängste unter der Maske bekommen können?

Sevecke: In der Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der ich arbeite, tragen alle Patienten seit vier Wochen einen Mund-Nasen-Schutz. Ich habe kein Kind und keinen Jugendlichen gesehen, der deswegen Beklemmungen bekommt. Sehr wohl ist es für die Kinder beklemmend, wenn Erwachsene hysterisch sind oder negative Aussagen kundtun. Wenn die Mutter sagt: "Du wirst Beklemmungsgefühle bekommen, wenn du die Maske acht Stunden trägst", dann wird das Kind das wahrscheinlich auch genauso empfinden.

STANDARD: Was können Eltern tun, um den Kindern die Akzeptanz der neuen Maßnahmen zu erleichtern?

Sevecke: Wie gesagt, Eltern müssen zuerst eine klare, überzeugende Haltung für sich gefunden haben, damit sie das auch den Kindern vermitteln können. Kinder haben sehr feine Antennen, sie bekommen Unstimmigkeiten schnell mit. Im zweiten Schritt braucht es vielleicht mehrere freundliche, verständnisvolle Gespräche zu dem Thema. Mittlerweile gibt es für jede Altersklasse Bücher und Videos über Corona. Eltern können ihren Kindern auch zeigen, dass der Mund-Nasen-Schutz ganz normal ist, indem sie sich gemeinsam Bilder im Netz anschauen. Andere Kulturen tragen, wie gesagt, schon lange Masken. Oder man näht oder bastelt gemeinsam mit den Kindern eine Maske – für die Kinder und für das Stofftier oder die Puppe. All diese Dinge können einen spielerischen und netten Zugang zu dem Thema erzeugen. Wenn Eltern oder Kinder verunsichert sind, was das lange Tragen der Maske angeht, so können sie das Wochenende jetzt nutzen und gemeinsam als Familie über mehrere Stunden eine tragen. Man kann mit den Kindern üben, wie man lauter und deutlicher spricht – und allgemein herausfinden, wie sich das anfühlt, und dann reflektieren.

Es gibt wirklich unzählige Ideen, wie man die Kinder dabei begleitet. Oft hilft es schon, dass das Kind ein Bild malt, wo die Maske drauf ist. Im Prinzip ist es immer das Gleiche bei Dingen, die man noch nicht kennt: Als Elternteil ist man gefordert, die Kinder zu begleiten und Ängste abzubauen. Das ist wie beim Fahrradfahren lernen oder wenn man das erste Mal vom Beckenrand springt. In solchen Situationen sprechen wir auch positiv und altersgerecht mit dem Kind und ermuntern es. (Nadja Kupsa, 5.12.2020)