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Hoffnungsloser Optimist: Curtis Mayfield, Ausnahmekünstler, Ausnahmemensch.

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Es sind nur drei Wörter. Doch ihre Botschaft ist stärker, als ein Tausendseiter sie transportieren könnte: "Move On Up."

Das war das "Yes We Can" von 1970 – und es verströmt heute noch einen unerschütterlichen Optimismus. Move On Up ist ein Lied von Curtis Mayfield aus seinem vor 50 Jahren veröffentlichten Solodebüt. Das lapidar Curtis betitelte Werk markierte einen Karriereschritt, der ihn zu einem der bedeutendsten schwarzen Künstler des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus werden ließ.

Bereits davor war der 1942 in Chicago Geborene ein Star. Mit den 1958 gegründeten Impressions begleitete er in den 1960ern die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung wie kaum eine andere Gruppe. Politisiert vom rassistischen Alltag und der brutalen Ermordung des 14-jährigen Emmet Till aus Chicago durch einen weißen Lynchmob in Mississippi, verwendete er die Musik der Impressions als politische Botschaft. Die Besonderheit dabei: Niemand war so optimistisch und positiv wie Mayfield.

Honigsüßes Falsett

Das Prinzip Hoffnung war der DNA der Bürgerrechtsbewegung eingeschrieben, doch Mayfield vermochte mit vergleichsloser Sanftmut die brennendsten Themen der Zeit zu benennen und sie mit honigsüßem Falsett darzubieten und für We the People Who Are Darker Than Blue das Wort zu ergreifen.

Lieder des Aufbruchs wie Keep On Pushing oder People Get Ready kletterten die Charts hoch, sein We’re a Winner wurde 1968 ein Nummer-eins-Hit und eine Hymne der Bewegung. Wenn junge Bürgerrechtler unter Einsatz ihres Lebens im Süden unterwegs waren, um Schwarze in die Wählerregister eintragen zu lassen, sangen sie We’re a Winner, um sich Mut zu machen.

Voodoo und Klo am Gang

Mayfield war ein zärtlicher Revolutionär. Ein Mann von kleiner Statur, stark kurzsichtig und mit – wie er fand – zu großen Zähnen. Er wuchs im Slum von Chicago auf: ein Klo für zehn Wohnungen, zu siebt in einem Zimmer. Der Vater empfahl sich, als Curtis fünf war. Die Mutter war überfordert, zur wesentlichen Bezugsperson wurde seine Großmutter. Eine resolute Dame mit Wurzeln in Louisiana, die die Familie als Seherin mit Voodoo-Schabernack über Wasser hielt. Viel zu früh musste Mayfield denn Mann im Haus geben, dabei war er selbst noch ein Kind.

Move On Up – geistig sollte man die eingeblendete Übersetzung im Video besser ausblenden.
Matt Longobardi

Erlösung fand er in der Musik, und darin offenbarte sich bald etwas, was viele Chronisten ein Genie nannten. Im Alter von sieben Jahren soll er die Gitarre anhand der schwarzen Tasten eines Klaviers gestimmt haben. Seine Schule war das Leben, das ihm nur wenig Kindheit zugestand. Seinen 16. Geburtstag feierte er bereits auf der Bühne des Apollo in New York, seinen ersten Plattenvertrag musste noch seine Mutter unterschreiben, weil er noch nicht volljährig war.

Power to the People

Früh wollte er nicht bloß gängige Boy-meets-girl-Storys vertonen, sondern die Verhältnisse beeinflussen. Nicht die Unterschiedlichkeit, die Gleichberechtigung war sein Anliegen. Mit den Impressions war er erfolgreich, solo wurde er ein Superstar, der die Impressions nebenbei am Laufen hielt. Ein begnadeter Musiker, dem die Gitarre eine Art Körperfortsatz, immer in seiner Nähe war, und der sich innovativ entwickelte und die Geschichte von Soul, Funk und Disco wesentlich mitschrieb.

Seine Botschaft aber blieb unverändert: Sie lautete Keep On Keeping On. Oder Power to the People. Er produzierte den Soundtrack zu dem Blaxploitation-Klassiker Super Fly (1972) ebenso wie das sozialkritische Meisterwerk There’s No Place Like America Today (1975). Selbst wenn er vermeintlich banal über die Liebe sang, ließ sich die Botschaft zwischenmenschlich wie universell interpretieren.

TheRAREGROOVEMAN

Privat galt er als schwierig. Die Prägung durch Armut und sein Aufwachsen ohne Vater und weitgehend ohne Mutter machten ihn misstrauisch. Erfolg und Kontrolle über seine Kunst, die Rechte und die Masterbänder, waren dem harten Geschäftsmann wichtig. Doch nicht wegen des Luxus, sondern als Garantie für die Absicherung seiner Familie – Mayfield hatte zehn Kinder von drei Frauen. Sie alle wollte er vor der Armut bewahren, die er hat erleben müssen. Das ging sich mit eigenem Label Curtom und seinem weltweitem Erfolg locker aus.

Ein Freak Accident

Das Ende begann im August 1990. Bei einem Auftritt in New York während eines Sturmes fiel ein Beleuchtungskörper auf ihn, als er gerade dabei war, auf die Bühne zu kommen. Mayfield brach zusammen, mehrere Wirbeln waren zerstört, von einer Sekunde auf die andere war der 48-Jährige vom Hals ab gelähmt: ein Freak Accident. Es hätte jeden treffen können, sagte er.

Den Rest seines Lebens befand er sich im Ausnahmezustand, aller Selbstständigkeit beraubt. Trotz Lähmung litt er unter chronischen Schmerzen, bald an Diabetes, infolgedessen wurde ihm ein Bein amputiert. Gejammert, schreibt sein Sohn Todd in der 2019 erschienenen Biografie Traveling Soul, habe er dennoch nie. Acht Jahre war die durchschnittliche Lebensdauer nach vergleichbaren Unfällen, Mayfield erduldete und schaffte neun.

Curtis Mayfield - Topic

Unter unglaublichen Anstrengungen nahm er 1996 ein letztes Album auf: New World Order. Er sang die Lieder dafür im Liegen ein, um seiner schwachen Stimme etwas Volumen zu geben. Oft schaffte er nur eine Zeile, dann musst er pausieren, dann die nächste – doch er gab nicht auf. Aretha Franklin, eine alte Freundin, war mit dabei. Das Album wurde ein finaler Triumph und für drei Grammys nominiert. Keep On Keeping On – das hat er nicht nur anderen mitgegeben, er lebte selbst danach.

Das Kapitel, in dem Todd Mayfield diese Jahre bis zum Tod seines Vaters am 26. Dezember 1999 im Alter von 57 Jahren beschreibt, trägt den Titel eines Lieds aus dem Jahr 1977. Der offenbart das unbeugsame Wesen dieses Mannes: Never Say You Can’t Survive. (Karl Fluch, 9.12.2020)