Vor zehn Jahren begann auf der Bundesebene die Institutionalisierung der Integrationspolitik: Der Nationale Aktionsplan für Integration (NAP.I), die Einrichtung eines Expertenrats, eines Integrationsbeirats und des Staatssekretariats für Integration zählen zu den ersten maßgeblichen Schritten. Staatssekretär Sebastian Kurz beschwor im ersten Integrationsbericht der Bundesregierung (2011) eine neue Perspektivierung: "Migrantinnen und Migranten gehören in die Mitte unserer Gesellschaft. Dabei gilt es auch, Vorurteile abzubauen: Wer sich einsetzt und aktiv am sozialen Leben Österreichs teilnimmt, ist integriert und akzeptiert. Nicht Herkunft, sondern Leistung ist maßgeblich, um in Österreich erfolgreich zu sein."

Seither haben sich bekanntlich die politischen wie sozio-demografischen Parameter verändert: Die Flüchtlingsbewegungen seit 2015, der Führungswechsel der ÖVP, das Ende der großen Koalition und die Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ veränderten die Ausrichtung. Integration von Zugewanderten wird weiterhin lautstark eingefordert, die konkreten Maßnahmen stellen das Ziel, Integrationsprozesse zu fördern, aber mehr als infrage. Eine Zäsur der Maßnahmen betrifft insbesondere jene Gruppe, die Integrationspolitik am meisten brauchen würde: die Asylwerberinnen und Asylwerber sowie die Asylberechtigten. Ihnen gegenüber dominierten Rücknahmen von Unterstützungen und das Anliegen, deren Integration zu verzögern.

Wozu Integrationspolitik?

Bevor wir den integrationspolitischen Rückbau der letzten Jahre skizzieren, wollen wir ein paar Worte über analytisch-normative Implikationen verlieren. Integrationspolitik basiert auf dem politischen Willen zur Gestaltung migrationsbedingter Diversität. Sie schafft die Rahmenbedingungen für Integrationsprozesse sowohl von Einzelnen als auch für eine integrierte, das heißt zusammenhaltende Gesellschaft. Konkrete Maßnahmen setzen sowohl am Ziel, die soziostrukturelle Teilhabe von Zugewanderten zu ermöglichen, als auch an der soziokulturellen Dimension des Zusammenlebens an. Während soziokulturelle Integrationspolitik den Fokus auf den Umgang mit ethnokultureller, nationaler oder religiöser Vielfalt legt, gleicht chancenfördernde Integrationspolitik Nachteile, zum Beispiel bei der Teilnahme an Bildungseinrichtungen und am Arbeitsmarkt, aus. Der konkrete Bedarf an Angeboten variiert freilich stark zwischen Zuwanderungsgruppen: EU-Binnenmigranten und -migrantinnen weisen aufgrund ihres soziostrukturellen Profils, ihrer Ressourcen sowie der Rechte als EU-Bürgerinnen und EU-Bürger geringeren Bedarf auf als Drittstaatsangehörige, besonders Geflüchtete.

Unter Türkis-Blau gab es einen wahrnehmbaren Shift in der Ausrichtung der österreichischen Integrationspolitik.
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Restriktivere Leitverständnisse und Maßnahmen

Eine Untersuchung von Gesetzesbeschlüssen und Leitverständnissen zur Integrationspolitik der Bundesregierung zwischen 2013 und 2019, also im Zeitraum, in dem sich der Wechsel von einer SPÖ-ÖVP-Koalition zu einer ÖVP-FPÖ-Koalition vollzog, macht Prioritätsverschiebungen sehr deutlich: Die Erzählungen ändern sich. Die Vorworte der Integrationsministerinnen und -minister in den jährlichen Integrationsberichten zeigen eine Entwicklung von Vielfalt zu Homogenität, einen Pfadwechsel von ökonomisch-pragmatischen Antworten auf die Herausforderungen ethnisch-kultureller Vielfalt hin zur Problematisierung fehlender individueller Integrationsbereitschaft und zu Antworten, die auf Verpflichtungen und Sanktionen im Kontext kultureller Anpassung setzen.

Die Maßnahmen und Instrumente ändern sich. So baute die türkis-blaue Regierung Fördermittel für soziostrukturelle Integration zurück, etwa die Mittel für das Integrationsjahr zur Arbeitsmarktintegration Geflüchteter oder die jährlichen Integrationstöpfe für schulische Integrationsmaßnahmen. Ausgebaut wurden hingegen regulative Vorschriften, allen voran prohibitive Maßnahmen im soziokulturellen Bereich wie Kopftuchverbote für Kindergartenkinder und Volksschülerinnen, aber auch Deutsch als Schulreifekriterium und die getrennte Beschulung in Deutschförderklassen. In Bezug auf die für Demokratie, Identifikation und Zugehörigkeit wesentliche Teilnahme an politischen Prozessen leistete die Integrations- und Staatsbürgerschaftspolitik der Desintegration aktiv Vorschub. So wurde die Frist für die Beantragung der Staatsbürgerschaft durch Asylberechtigte (und damit das Wahlrecht) von sechs auf zehn Jahre erhöht, die Einbürgerungsgebühren generell angehoben und während türkischstämmige Österreicherinnen und Österreich der illegitimen Doppelstaatsbürgerschaft bezichtigt wurden, sollten deutschsprachige Italienerinnen und Italiener in Südtirol aktiv eine Doppelstaatsbürgerschaftsoption erhalten.

Mit Integration polarisieren

Die konkrete Integrationspolitik darf also nicht nur als Antwort auf Teilhabe- und Zugehörigkeitsprobleme gelesen werden, sondern sie dient ebenso taktischen Polarisierungsinteressen. Für politische Parteien, die den Wettbewerb um Stimmen mit der Migrations- und Integrationsagenda bestreiten, ist der Rückbau struktureller Integrationsmaßnahmen geradezu mobilisierungskonform. Er verschärft die sozialen Schieflagen, die in der Folge als ethnische und kulturelle Probleme kommuniziert werden. Nicht überraschend, dass sich die Maßnahmen symbolpolitisch in erster Linie an die wählende Mehrheitsgesellschaft richten. Dieser wird mit Rückbau sowie mit Hilfe von Ge- und Verboten Handlungsfähigkeit demonstriert, ohne dass diese Instrumente (wie das Kopftuchverbot) nachweislich mit Integrationsfortschritten für Zugewanderte einhergehen würden. Die disziplinierenden Eingriffe erfolgen in immer kürzeren Intervallen und nehmen die Konfrontation mit den Höchstgerichten vorsätzlich in Kauf (siehe Sozialhilfereform oder Indexierung der Familienbeihilfe).

Tatsächlich sind die Veränderungen nicht nur den Herausforderungen der Fluchtzuwanderung zwischen 2014 und 2016 geschuldet, sie sind vielmehr auf die nach rechts gerückte Regierung zurückzuführen und widerspiegeln die inhaltlich-ideologischen Veränderungen der ÖVP auf ihrem Weg von Schwarz zu Türkis. Diese ist seit zwanzig Jahren für das für Integrationspolitik hauptverantwortliche Ressort zuständig, sie hat 2008 den Ruf zur Sachlichkeit (NAP.I) mitformuliert, und sie hat danach den Kurs von sachlich zu rechts-populistisch bestimmt. Was dies für die weitere Integrationspolitik bedeutet, wird die Bewertung des Kurses der türkis-grünen Koalition weisen – diese steht noch aus beziehungsweise an. (Oliver Gruber, Sieglinde Rosenberger, 9.12.2020)