Dirndl und Tracht auf der Spur: Ethnologin Elsbeth Wallnöfer

Foto: Haymon Verlag

Geschniegelt sitzt er am Bauerntisch. Das Hemd makellos weiß, die Trachtenjoppe beinahe ungetragen. Die Bauersleut’ scheinen sich in ihrer schweren, abgetragenen Kleidung über den Fremden lustig zu machen. Salontiroler hat der Osttiroler Maler Franz Defregger sein berühmt gewordenes Bild genannt, das bei seiner Entstehung im Jahre 1885 eine bereits genau umrissene Figur in den Mittelpunkt stellte: den Touristen aus der fernen Großstadt, der sich mit Lederhose und Trachtenjanker als Tiroler verkleidete.

Der Spott der Einheimischen war ihm sicher. Sie selbst waren weitaus weniger dekorativ gekleidet. Als ein Freund Heinrich Heines, August Lewald, einige Jahrzehnte zuvor das Zillertal bereiste, staunte er nicht schlecht ob der "widerlichen" Mode, die er zu sehen bekam: Den Frauen im Zillertal "hängen die Brüste wie bei den Weibern von Mangermannskraal in Afrika tief herab", wusste er zu berichten: "Der lange, faltige Rock reicht bis unter die Brust hinauf, und eine dicke Wulst sucht zwischen dieser und den Hüften ein richtiges Verhältnisz herzustellen."

So etwas wie eine traditionelle, die Taille genauso wie die Schultern betonende Tracht samt bestickter Schürze und obligater Kopfbedeckung bekam er nicht zu Gesicht.

Erfindung späterer Jahre

Sie ist eine Erfindung späterer Jahre, wie die Ethnologin Elsbeth Wallnöfer in ihrem neuen Buch Tracht Macht Politik nicht müde wird zu betonen. Entgegen der landläufigen Annahme, Trachten seien Ausdruck einer regionalspezifischen, über die Jahrhunderte gewachsenen Tradition, beschreibt sie sie als mutwillige Konstrukte mit eindeutigen ideologischen Implikationen.

"Gesinnungskleidung" nennt Wallnöfer sie oder etwas freundlicher ausgedrückt: eine "Flunkerei der Kostümkunde". Während das Dirndl in der landläufigen Interpretation als eine Laune der Mode dargestellt werde, werde die Tracht mit einem bestimmten Kollektiv und strengen Regeln verknüpft. Zurückzuführen sei das auf eine seit der Zwischenkriegszeit forcierte Entwicklung, die eng mit dem Namen der Tiroler "Trachtenforscherin" Gertrud Pesendorfer verknüpft ist.

Sie ist die zentrale Figur der NS-Trachtengeschichte, deren Erbe bis in die heutige Zeit wirkt und oft selbst von aufgeklärten Geistern unbewusst übernommen wird. Pesendorfer führte so etwas wie eine weibliche Silhouette in die plumpe Tracht ein. Sie setzte in den 1930er-Jahren Materialien und Längen fest und schuf imaginäre "Trachtenregionen". Vieles von dem, was bis heute als geschichtlich gewachsen gilt, war nichts anderes als ihre Erfindung. Als Ausdruck "deutschen Wesens" fungierte die Tracht als ein ideologischer Baustein in einem auf Ausschluss aufgebauten Weltbild.

Pesendorfers Konzept der sogenannten "erneuerten Tracht" richtete sich gegen eine Entwicklung, die im Jahrzehnt zuvor an Fahrt aufgenommen hatte und zu einer Diversifizierung im Umgang mit alpinen Kleidungsvorlieben geführt hatte. Sommerfrischler griffen immer öfter auf die leichte, maschinell gefertigte Baumwollkleidung von Dirnen und Mägden zurück, variierten und bereicherten sie.

Feldzug gegen jüdische Dirndln

Eine lustvolle Dirndlmode entstand, oftmals getragen von jüdischen Städtern oder sozialreformerischen Kräften. Das führte zu einem "beinahe religiös betriebenen Feldzug gegen jüdische und städtische Dirndlträgerinnen", wie Wallnöfer in ihrem Buch schreibt.

Der Autorin gebührt das Verdienst, in die Geschichte eines ideologisch verbrämten Kleidungsstücks etwas mehr Licht gebracht zu haben. Das ist angesichts der Konjunktur von ländlichem Schick auch notwendig. Man möchte schließlich wissen, was man trägt. (Stephan Hilpold, 5.12.2020)