Von wegen, eine Olympiade dauert vier Jahre. Wenn am 23. Juli 2021 in Tokio die Olympischen Sommerspiele beginnen, dann wird die XXXI. Olympiade erst nach fünf Jahren zu Ende gegangen sein. Die XXXII. Olympiade wird mit einem Jahr Verspätung eingeläutet, das ist ebenso Corona geschuldet wie die Vermutung, dass es sehr spezielle Spiele werden.

Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass es schon im Vorfeld, wenn es um Qualifikationen geht, zu heftigen Diskussionen kommen wird. Das Hinkommen wird anders, das Dabeisein wird anders. Teilnehmer und Teilnehmerinnen, Betreuer und Betreuerinnen, Freiwillige und ein etwaiges Publikum werden mit strengen Auflagen umgehen müssen. Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), schloss einen Impfzwang für Sportler und Sportlerinnen zuletzt aus – wie viele seiner Worte sollte man auch dieses nicht auf die Goldwaage legen.

Bernadette Graf, die Fünfte von Rio de Janeiro 2016, schnupperte heuer nur auf dem Bergisel in Innsbruck olympisches Flair.
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"Wenn ich mich impfen lassen muss, um nach Tokio zu kommen, würde ich es tun", sagt Ivona Dadic dem STANDARD. Die 26-jährige Oberösterreicherin, die derzeit ein Trainingslager auf Teneriffa bestreitet, strebt ihre dritte Olympia-Teilnahme an – 2012 in London landete sie an der 25., 2016 in Rio de Janeiro an der 21. Stelle. Tokio soll sie weiter vorn sehen, viel weiter vorn. Dadic ist längst in die absolute Weltspitze vorgestoßen, hat bei Hallen-WM, Hallen-EM und Freiluft-EM jeweils Silber gewonnen.

Die Basis für olympische Meriten wird in den Jahren davor gelegt, das letzte Jahr vor den Spielen ist besonders wichtig. So gesehen könnten Dadics Hoffnungen berechtigt sein. 2020 schließt sie als "Österreichs Sportlerin des Jahres" und als weltweit Saisonbeste ab, zudem erzielte sie in einem eigens aufgezogenen Event in Amstetten einen inoffiziellen Weltrekord im Stunden-Siebenkampf.

"Das Beste daraus machen"

Man kann und soll ergänzen, dass nicht wenige Spitzenathletinnen heuer kein einziges Mal antraten – und dass der Stunden-Siebenkampf eine Weltpremiere war. Doch beeindruckend waren die Leistungen von Dadic allemal. Umso mehr, als sie das Jahr lädiert begonnen hatte. Eine bei der WM 2019 in Doha erlittene Oberschenkelverletzung machte ihr lange zu schaffen. "Danach ist der erste Lockdown gekommen", sagt sie. "Ich hab mir gedacht, ich mach das Beste daraus. Ich hab mich voll reing’haut, hab wirklich stark trainiert." Sie habe sich selbst "eingeredet, dass der Lockdown meine Chance ist".

Als feststand, dass die Olympischen Spiele um ein Jahr verschoben werden, war Ivona Dadic "ziemlich erleichtert. Da habe ich endlich wieder gut schlafen können". Zu dem Zeitpunkt wusste sie, es würde ihr genug Zeit bleiben, sich ordentlich vorzubereiten. Mittlerweile weiß sie: "Es wäre sich auch heuer gut ausgegangen."

Bernadette Graf (28), weil Judoka, war von Corona und speziell vom ersten Lockdown mehr betroffen als die Leichtathletin Dadic. Training in Kontaktsportarten war lange untersagt. Als sich die Lage im Frühjahr verschärft hatte, schaute die Innsbruckerin noch schnell im Judo-Zentrum vorbei und nahm sich einige Trainingsgeräte mit nach Hause, darunter auch eine Wurfpuppe. Mit der ließen sich durchaus einige Techniken üben, Wurfpuppen haben freilich den Nachteil, dass sie sich fast alles gefallen lassen und selten Konter setzen.

Ivona Dadic zielt auf ihre dritte Olympia-Teilnahme ab.
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Dichtgedrängter Kalender

Bei den Spielen 2016 in Rio hatte Graf als Fünfte knapp eine Olympiamedaille verpasst, mittlerweile ist sie von der 70- in die 78-kg-Klasse gewechselt. Im Gegensatz zu Dadic, die ihr Olympiaticket fix in der Tasche hat, darf sich Graf "in der Qualifikation nicht sicher fühlen. Ich stehe zwar gut da, sollte aber noch anschreiben." Vor Tokio sollte es mehrere Gelegenheiten geben, dem Masters im Jänner in Doha folgen eine EM im Mai in Lissabon und eine WM im Juni in Budapest.

Im heimischen Judoverband (ÖJV) hat sich viel getan. Martin Poiger, der im Oktober 2019 den Langzeitpräsidenten Hans Paul Kutschera abgelöst hatte, gab vor kurzem die Verpflichtung von Yvonne Bönisch bekannt. Die Deutsche, die 2004 Olympiasiegerin war, wird Chefcoach in Österreich und will "zählbare Erfolge – sprich Olympia- und WM-Medaillen" erreichen. Graf spricht von "positiven Veränderungen", die sich hoffentlich bald bezahlt machen würden.

Nicht zuletzt dem Einsatz von Poiger verdanken es Graf und ihre Kollegen und Kolleginnen, dass sie derzeit für europäische Verhältnisse glänzende Bedingungen vorfinden. Das Trainingscamp in St. Johann im Pongau findet mit ausländischer Beteiligung statt, es sind Judoka aus Slowenien, dem Kosovo, aus der Slowakei, Irland und Ungarn angereist. "Wir haben da fast einen Luxus", sagt Graf, "das ist brutal wertvoll." Sie findet auf der Matte quasi viel Abwechslung, hat nicht nur etliche Trainingspartnerinnen, sondern auch Trainingspartner, "leichte junge Burschen".

Wie Dadic hat sich auch Graf im Herbst das Coronavirus eingefangen, anders als Dadic hatte sie keinen symptomfreien Verlauf. "Ich war richtig krank", sagt sie, die deshalb auch auf ein Antreten bei der EM in Prag verzichtete. Dadic wiederum hätte ihre Infektion "gar nicht mitbekommen", wäre nicht vor der geplanten Reise zum Diamond-League-Meeting in Brüssel der Test positiv ausgefallen. Die Judo- wie die Siebenkämpferin könnten sich nun quasi auf der sicheren Seite fühlen, aufs Maskentragen verzichten sie aber nicht. Dadic: "Es sieht ja komisch aus, wenn jemand keine Maske trägt."

Es kommt, wie es kommt. Graf ist "überzeugt, dass die Spiele stattfinden", und Dadic glaubt, "dass es sehr sichere Spiele werden". Beide könnten, so sie müssten, mit Geisterspielen ohne Publikum leben – zum Start der XXXII. Olympiade, die wohl nicht vier, sondern nur drei Jahre lang dauern wird. (Fritz Neumann, 7.12.2020)