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Keine Zeit mehr für sich: Verena war rund um die Uhr nur für ihre Mutter und online auch noch für ihre Studierenden da.

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Die gelernte Kranken- und Intensivpflegerin Verena beschäftigte das Thema Pflege während des Lockdowns beruflich und privat. Denn sie war nicht nur Professorin für Pflegewissenschaft an einer Fachhochschule in Deutschland, sondern musste während des Lockdowns auch ihre eigene Mutter in Vorarlberg pflegen.

Wäre sie während des ersten Lockdowns nach Deutschland zurückgefahren, wo sie ihren eigentlichen Lebensmittelpunkt hatte, wäre niemand für ihre 92-jährige Mama da gewesen. Und das in einer Situation, von der damals niemand wusste, wie lange sie andauern würde. Zuvor hatte die 62-jährige Verena ihre Mutter noch gemeinsam mit ihren sechs Geschwistern versorgt. In Österreich ist das immer noch so üblich, rund 85 Prozent aller Pflegeleistungen werden innerfamiliär erbracht.

Fast eine Million Menschen sind auf irgendeine Art und Weise in die Pflege und Betreuung von Angehörigen involviert, darunter auch schätzungsweise 43.000 pflegende Kinder und Jugendliche, die ihre Eltern versorgen. Knapp drei Viertel aller Pflegeleistungen werden dabei von Frauen übernommen.

Pflege der Mutter

Verena und ihre Geschwister stehen noch mitten im Berufsleben. Um weiterhin ihrer Erwerbsarbeit nachgehen zu können, mussten sie sich die Pflegearbeit innerhalb der Familie gut aufteilen. Aber mit der Corona-Krise war von einem Tag auf den anderen alles anders geworden, erzählte Verena: "Unser mühsam erstelltes Betreuungssystem ist völlig in sich zusammengebrochen. Meine Mutter darf nicht mehr unter Menschen. Doch zwei meiner Geschwister sind selbst in häuslicher Quarantäne. Die dritte ist in Deutschland und kann nicht einreisen, und die vierte wohnt über 50 Kilometer entfernt und muss ihre Kinder versorgen."

Nach ihrer Ankunft musste sie erst zwei volle Tage das Haus ihrer Mutter von Grund auf reinigen. Es hatte sich bereits einiges angesammelt, das dringend erledigt werden musste, die Vorräte waren aufgebraucht, und Rezepte mussten neu verschrieben werden. Sie musste Einkäufe erledigen, kochen, die Wäsche waschen und ihre Mutter zu den Arztbesuchen begleiten. Auch die Hauskrankenpflege, die ihrer Mutter einmal pro Woche beim Duschen, Füßewaschen und anderen Notwendigkeiten der Körperhygiene geholfen hat, kam seit einer Woche nicht mehr.

Homeoffice und Care-Arbeit

Über eine Stunde unseres Telefonats verstrich, während sie mir aufzählte, was sie alles zu tun hatte. Sie war neben ihrem Vollzeitjob im Homeoffice auch sieben Tage pro Woche rund fünf Stunden pro Tag mit der Versorgung ihrer Mutter beschäftigt. Insgesamt arbeitete sie nun rund 75 Stunden pro Woche. Sie machte nichts anderes mehr, sie hatte keine sozialen Kontakte, las nichts mehr und kam auch nicht mehr dazu, sich zu bewegen. Sie war rund um die Uhr nur für ihre Mutter und online auch noch für ihre Studierenden da. Und sie hatte große Angst.

Davor, dass ihre Mutter in den nächsten Jahren auch intellektuell immer stärker eingeschränkt sein könnte, denn dann müsste weitere professionelle Unterstützung in Anspruch genommen werden. Doch genau diese brach im Lockdown komplett weg.

Sie erklärte mir, warum es nicht anders ging: "Diese Pandemie zeigt die Versäumnisse Österreichs sehr deutlich auf: Es gibt keine funktionierenden ambulanten Pflegesysteme. In unserem jetzigen System, in dem alle Kinder noch berufstätig sind und eine eigene Familie haben: Wie sollen da die Kinder noch ihre Eltern und Schwiegereltern pflegen? Das ist nicht zu schaffen. Alles wird auf die Frauen abgewälzt, und die bekommen dafür nichts, am Ende erhalten sie dafür nicht einmal eine Pension, von der sie auch leben können. Es ist eine Schande." (Veronika Bohrn Mena, 7.12.2020)