Foto: Mythic Island Press

Fleißig Meisterin Nagata ist! Nach ihren ersten Romanen in den 90er Jahren und einem Päuschen im darauffolgenden Jahrzehnt hat sie in den 2010ern wieder Vollgas gegeben. Seit diesem zweiten Aktivitätsschub veröffentlicht die US-amerikanische Autorin pro Jahr ein bis zwei Titel, und die halten stets ein hohes Niveau. Dabei pendelt Linda Nagata zwischen posthumanen Space Operas wie zuletzt der atemberaubenden "Silver"-Duologie und Military SF, die sie in einer ungemütlich nahen Zukunft ansiedelt. Beispiele für Letzteres waren etwa der Roman "The Last Good Man" und die fantastische "The Red"-Trilogie. Und auch ihr aktuelles Werk fällt in diese Kategorie.

Aloha!

Für "Pacific Storm" wollte Nagata einmal in besonders vertrauten Gefilden bleiben, nämlich in ihrem heimatlichen Bundesstaat Hawaii. Und das schlägt sich in der organischen Form, in der hier Lokalkolorit, Namen und Ausdrücke in die Handlung einfließen, auch nieder. Unter anderem weiß ich jetzt, dass mauka landeinwärts bedeutet, während makai Richtung Meer bedeutet. Knapp und praktisch – also durchaus verwandt mit dem No-Nonsense-Stil, den Nagata vor allem in ihren Nahzukunftsromanen pflegt.

Es ist aber nicht mehr ganz das Hawaii unserer Tage. Vor einigen Jahren hat ein Hurrikan den Archipel verwüstet, und dessen wirtschaftliche und soziale Folgen sind vor allem mauka immer noch deutlich zu spüren. Um den Tourismus wiederanzukurbeln, wurden zwar die Strände von Waikiki restauriert und liegen nun geschützt hinter einem riesigen begrünten Schutzwall. Nur ein kleines Stück hinter dem künstlichen Paradies beginnen aber schon, abgetrennt durch einen Zaun, die aufgegebenen "Geisterblocks", die Hauptfigur Ava Arnett wie ein tropisches Pendant des evakuierten Tschernobyl vorkommen. Dort lauert unter anderem der Angel Dust, die tödlichen Sporen eines Pilzes, der mit derselben Gentechnik gezüchtet wurde, die die Touristen makai mit bunt leuchtenden Seeschlangen erfreut.

Finanziert wurde der teilweise Wiederaufbau mit chinesischem Geld. Und weil die verschuldeten USA davon noch mehr brauchen, hat sich Washington dazu entschlossen, Hawaii für 99 Jahre an China zu verpachten. Verständlicherweise sind die Bewohner der Inseln, die "Hilfe" aus Peking skeptisch betrachten, auf das amerikanische Homeland nicht mehr gut zu sprechen; separationistische Strömungen kommen auf. Doch auch innerhalb der US-Regierung sind nicht alle mit dem Plan einverstanden. Der im Titel genannte Sturm, der sich hier zusammenbraut, bezieht sich also nicht allein auf den nächsten Hurrikan, der auf Hawaii zukommt.

Wer wird das Ganze wieder richten?

Als Hauptfiguren wählt Nagata in der Regel Personen mit militärischen Hintergrund aus, die sich aber nicht freiwillig als Problemlöser engagieren lassen, sondern eher zufällig ins Geschehen verstrickt werden. Wie hier Ava Arnett, eine Armee-Veteranin, die seit einiger Zeit für die lokale Sicherheitsbehörde arbeitet. Zuständig ist diese für das rechtzeitige Entdecken von radioaktivem Treibgut aus dem Meer ebenso wie für das Überführen von Verbrechern.

Da wir uns ein kleines bisschen in der Zukunft befinden, steht dafür nicht nur eine annähernd lückenlose Überwachung in Netz wie Realraum zur Verfügung. Man bedient sich auch eines Systems, das auf halbem Weg zwischen heute schon praktiziertem Predictive Policing und dem liegt, was Tom Cruise in "Minority Report" tat. Die Künstliche Intelligenz HADAFA (Human Algorithmic Decryption And Forward Analysis) erstellt laufend Prognosen der Wahrscheinlichkeit, dass ein Bürger straffällig wird. Ob man als Expected Perpetrator eingestuft wird, errechnet HADAFA aus einer Vielzahl an Daten: von Medienkonsum und Online-Verhalten über medizinische Akten bis hin zur Bewertung im Sozialpunktesystem, das China auf Hawaii eingeschleppt hat. Anonymität war einmal.

Männer, Frau'n, niemand sollst du trau'n

Avas jüngster Fall scheint zunächst "nur" ein gerade noch verhindertes Sexualverbrechen zu sein. Rasch ergeben sich aber Aspekte, die ihr höchst verdächtig vorkommen: Da scheint jemand dazu in der Lage zu sein, sich nicht nur in Mobilfunkgeräte, sondern auch in streng geheime Polizeiakten zu hacken. Und es werden Ava wichtige Informationen vorenthalten, weil ihr Sicherheitslevel zu niedrig sei – sogar Infos zu einem Anschlag, der auf sie selbst verübt wird. A game was being played around her on a level she couldn't see.

Wem kann Ava noch vertrauen? Dem Marine-Offizier Kaden, mit dem sie eine Affäre hat? Oder dem mutmaßlichen Spion Matthew, der schwer verletzt an der Küste angespült wird, und dessen vollkommen undurchsichtiger Handlerin Lyric Jones? Ihren Vorgesetzten? HADAFA? Wie schon in "The Red" ergänzt auch hier eine gesunde Dosis Paranoia die Action. Und wie immer findet das Ganze vor dem Hintergrund einer Welt statt, die sich noch ein paar Grad mehr hin zum Schlechten gedreht hat.

Gesamtbewertung: "Pacific Storm" ist sicher nicht Nagatas visionärster Roman, verglichen mit "The Red" oder "Silver". Aber – wieder einmal – unverkennbar das Werk eines Profis.