Das Cover der deutschsprachigen Ausgabe, die bei Cross Cult erschienen ist.
Foto: Cross Cult

[Anmerkung vorab: Nach dieser ursprünglich 2015 erschienenen Rezension wurden der Roman und seine beiden Sequels auch ins Deutsche übersetzt.]

US-Autorin Linda Nagata, die schon in ihrer "Nanotech Succession"-Reihe ein Faible für die technologischen Aspekte von Science Fiction bewiesen hat, lässt hier einmal mehr die Hard- und Software krachen. Was in diesem Fall in erster Linie heißt: Waffentechnologie. Nagatas "The Red"-Trilogie verknüpft all das, was Fans von Military SF lieben, mit einem klug ausgearbeiteten Nahzukunftsszenario und einem raffinierten Geheimnis. Für Letzteres sorgt etwas, das ein Geschwisterchen von Skynet mit eher ungewöhnlichen Prioritäten sein könnte.

"There needs to be a war going on somewhere, Sergeant Vasquez. It's a fact of life. Without a conflict of decent size, too many international defense contractors will find themselves out of business. So if no natural war is looming, you can count on the DCs to get together to invent one." Gleich die allerersten Sätze des Romans fassen zusammen, wie die neue Weltordnung aussieht. Private "Sicherheitsunternehmen" von molochartiger Größe mischen in der Weltpolitik mindestens so sehr mit wie die alten Staaten. Die dürfen zur Unterstützung der Konzerne aber immerhin noch SoldatInnen in die diversen Krisenherde entsenden.

Vernetzt in den Kampfeinsatz

US-Army-Lieutenant James Shelley, der Ich-Erzähler des Romans, ist einer von ihnen. Zu Beginn treffen wir ihn an seinem gerade aktuellen Stützpunkt an: einem Hightech-Fort irgendwo im Sahel, von dem aus er mit seiner kleinen Einheit regelmäßig auf Patrouille geht. Shelleys Grüppchen bildet eine sogenannte Linked Combat Squad. Sie tragen nicht nur Exoskelette aus Titan (makaber als Dead Sisters bezeichnet), die auch dann noch weitermarschieren, wenn der menschliche Körper in ihrem Inneren tot ist. Sie sind auch durch Kommunikationsimplantate sowohl untereinander als auch mit ihrer fernen Einsatzleitung sowie ihren Kampfdrohnen vernetzt.

Eine ganz besondere Komponente in diesem Netzwerk ist zudem die scullcap, die jeder Soldat trägt: Sie stimuliert die Gehirnchemie und regt beispielsweise nach einer Tötung die Produktion von Substanzen an, die es erleichtern, sich von der Tat zu distanzieren. Shelley hat sich so an sein Häubchen gewöhnt, dass er beim Duschen die Sekunden zählt, bis er es endlich wieder aufsetzen kann. Dass es ihn letztlich manipuliert, ist ihm und seinen Kameraden übrigens vollauf bewusst. Ebenso wie der Umstand, dass menschliche Soldaten einfach nur billiger sind als Kampfroboter, oder der geballte Zynismus der Weltpolitik, für die sie nichts anderes sind als Schachfiguren. Illusionen macht sich keiner von ihnen: "What are you talking about, 'freedom'? We're fighting for a paycheck, right?"

Man muss das Spiel spielen, aber nicht mögen, so lautet Shelleys Credo. Der abgebrühte Kämpfer, der ironischerweise beim Militär gelandet ist, weil er nach der Teilnahme an einer Friedensdemo verhaftet wurde, klingt viel älter, als es seine 23 Jahre vermuten lassen. Seine Sprache ist trocken, knapp und auf den Punkt gebracht. So etwa beschreibt er das Verhältnis zu seiner Ex-Freundin Lissa: We're friends now. Good friends. We trade e-mails all the time. She doesn't tell me about her boyfriends; I don't tell her when I kill people. Nagata erhebt die Nüchternheit zu einer Kunstform und beendet jedes Kapitel mit einem auffallend kurzen Satz, der wie ein Punkt hinter dem Gesagten wirkt. Es ist die absolut angemessene Sprache für eine Handlung wie diese.

Ungeahnte Entwicklungen

Im ersten Abschnitt lernen wir Aufbau und Wirkungsweise eines Linked Combat Squad vom Waffenarsenal bis zur Kampftaktik kennen und sind bei ersten Einsätzen live dabei. Das ist sehr gut beschrieben und hat Tempo – doch fragt man sich unwillkürlich: Kann das noch 400 Seiten so weitergehen? Aber dann endet der Abschnitt mit einigen einschneidenden Erlebnissen für Shelley. Unter anderem muss er erfahren, dass irgendjemand oder irgendetwas sich ins Netzwerk der Einheit gehackt und Shelleys Leben an der Front als Real-Life-Soap ins Internet gestellt hat. Deren Episoden spiegeln die Einteilung des Buchs wider.

Noch wichtiger aber ist, dass es sich dabei um dieselbe mysteriöse Instanz handeln dürfte, die Shelley schon mehrfach vor drohender Gefahr gewarnt hat. Für sich nannte er diesen geheimnisvollen Helfer "Gott". In der Folge, als sich sowohl Shelleys Vorgesetzte als auch einige skrupellose Drahtzieher der Weltpolitik für Shelleys Vorahnungen zu interessieren beginnen, bürgert sich aber die Bezeichnung "The Red" ein. Man vermutet, dass keine Person, sondern ein autonomes Programm dahintersteckt.

Dass möglicherweise eine Art KI das Drehbuch von Shelleys Leben (und nicht nur seinem ...) schreibt, ist ein ziemlich genialer Kniff Nagatas. Ein Blick auf die Meta-Ebene zum einen – denn letztlich ist sie als Autorin ja selbst "The Red" –, aber auch ein raffinierter Weg, um beispielsweise Deus-ex-Machina-Lösungen vollkommen plausibel unterzubringen. Allerdings führt das Ganze auch zu ziemlich ungemütlichen Gedanken: Shelley weiß, dass Drehbücher einen Hang zur Eskalation haben – vielleicht wurde er ja nur gerettet, um ihn noch größeren Gefahren auszusetzen? Und was das Stichwort Eskalation in weiterer Folge des Romans anbelangt: Naja, wie wär's denn mit ein paar Atomexplosionen auf US-Boden?

Empfehlung!

Kurz gesagt: Der Roman ist richtig gut! Nagata hatte ihn ursprünglich 2013 via Self-Publishing veröffentlicht, ehe ihn der Verlag Saga Press aufgegriffen hat, der nun auch die beiden Fortsetzungen herausgibt: "The Trials" ist bereits erschienen, der Abschlussband "Going Dark" wird Anfang November folgen.

Oft genug lese ich nur den Anfangsband einer Trilogie und denke mir dann: Ok, ich weiß, wie's funktioniert, reicht mir. Hier hingegen möchte ich unbedingt wissen, wie es mit Shelley weitergeht. Hoffentlich schaffe ich es, die beiden Folgebände bis Jänner zu lesen, wenn das Rundschau-Best-Of-2015 online geht, denn in dem wird "The Red: First Light" garantiert enthalten sein. [Anmerkung am Schluss: Und so war es dann auch.]