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Foto: Picturedesk

John Lennon lebte gern in New York. In einem TV-Interview sagte er, es sei sehr entspannt. Er könne mit seiner Frau Yoko Ono weitgehend unbehelligt das Leben leben. Ein paar Autogramme hier und da, aber das sei nichts im Vergleich zu früher. Früher, da herrschte die Beatlemania. Der Begriff beschreibt die Hysterie, die mit den Auftritten der Beatles einherging, deren Kopf Lennon war. Oft kreischten die Fans bei Konzerten so laut, dass die vier Briten aus Liverpool sich kaum selbst hörten. So aufzutreten sei wie posieren gewesen: bescheuert.

Der 8. Dezember 1980 begann als guter Tag. Annie Leibovitz kam für ein Foto-Shooting für den Rolling Stone vorbei. Später, als das Paar am Nachmittag das Haus verließ, gab John einem Fan ein Autogramm. Er signierte ihm das drei Wochen zuvor erschienene Ono-Lennon-Album Double Fantasy. Dann fuhren sie ins Studio und arbeiteten an Onos Single Walking On Thin Ice. David Geffen schaute vorbei und gratulierte. Der Chef von Geffen Records teilte ihnen mit, dass die Verkaufszahlen von Double Fantasy Gold-Status erreicht hätten.

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Gegen halb elf am Abend kehrten die beiden vom Studio zurück, vor dem Hauseingang wurde Lennon angesprochen, erneut von dem Mann, dem er ein paar Stunden zuvor ein Album signiert hatte. Doch dieses Mal hielt Mark David Chapman keinen Kuli, sondern eine Waffe in der Hand und erschoss John Lennon aus nächster Nähe. Vier Projektile trafen seinen Oberkörper, ein Polizeiauto fuhr ihn ins Spital – zu spät. Zwei Monate nach seinem 40. Geburtstag starb John Lennon, weltweit wurde getrauert – 40 Jahre ist das her.

Die erfolgreichste Band der Welt

Drei Jahre nach dem Tod von Elvis Presley mit 42 Jahren wurde mit John Lennon eine Art Thronfolger aus dem Leben gerissen. Die Beatles begannen als Rock-’n’-Roll-Band Anfang der 1960er, doch sie revolutionierten die Form, erkannten mithilfe prägender Figuren wie Bob Dylan, dass diese Musik kein geistfreies Alltagsaccessoire sein muss, und schufen so das Fundament für intelligente Popmusik – und wurden die erfolgreichste Band der Welt. Für Neugeborene und gerade erst gelandete Aliens: Neben Lennon waren die Beatles der gleichberechtigte Songwriter Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr.

Lennon war der Charismatiker des Vierers. Alle entstammten der Arbeiterklasse und verleugneten nie ihre Wurzeln. Sie veränderten den Soundtrack der Welt für immer – doch nach zehn verrückt intensiven Jahren gingen sie 1970 getrennte Wege.

Der Mann am Herd

Lennon nahm den nach Amerika, wo er nach einigen Zores mit der Einwanderungsbehörde bleiben durfte. Er veröffentlichte allein und mit Ono Alben, gemeinsam stellten sie ihre Popularität in den Dienst der Friedensbewegung. Die berühmteste Hervorbringung dieser Ambition war das 1971 entstandene und mit Phil Spector produzierte Lied Imagine – es gilt als eines der berühmtesten Lieder der Popgeschichte.

johnlennon

1975 brachte Ono Sean Lennon zur Welt; einen Sohn, Julian, hatte Lennon aus erster Ehe. Er beschloss, es besser zu machen als sein Vater, besser als bei Julian und widmete sich ganz der Familie. Er wurde Hausmann, Ono kümmerte sich ums Geschäftliche.

Mann am Herd

Lennon wurde einer von vielen berühmten New Yorkern. Ein Porträt, das ihn im ärmellosen Shirt mit dem Aufdruck "New York City" zeigt, wurde zu einem Synonym dieser Zeit.

Nach fünf Jahren am Herd kehrte er mit Double Fantasy wieder. Es war als Neuanfang gedacht, was das Eröffnungslied (Just Like) Starting Over unterstrich. Lennon wollte den 1980ern optimistisch begegnen. Die schöneren Songs darauf stammen von ihm, die interessanteren von Ono. Ihr Werk galt damals Bands und Künstlerinnen wie den B-52’s oder Lene Lovich als Vorbild, ihr zackiger New Wave traf den Zeitgeist. Doch die Kritiken waren schlecht. Songs wie Woman, das gefiedelte Dear Yoko oder Beautiful Boy wurden als tranig abgetan. Ein perfekter Song wie Starting Over kletterte dennoch die Charts hoch.

Romario Brasil

Nach Lennons Ermordung gingen die Verkaufszahlen durchs Dach, Kritiken wurden in der kollektiven Trauer relativiert, andere gar nicht mehr veröffentlicht.

Eine Kopie des Albums gilt als eine der teuersten Platten der Welt: jene, die Lennon seinem Mörder signiert hatte. Ein Passant hatte sie gefunden, der Polizei übergeben und zurückbekommen, als der Fall abgeschlossen worden war. 1999 verkaufte er sie, mittlerweile hat die Platte ein paar Mal um Unsummen die Besitzer gewechselt. Sein ursprünglicher Besitzer, Chapman, ist heute 65 und sitzt im Gefängnis: Elf Mal wurde eine Entlassung auf Bewährung bisher abgelehnt.

Wird zurzeit versteigert: Das Album, das John Lennon seinem späteren Mörder signiert hat.

Zurzeit bietet das Auktionshaus Goldin das Album um 400.000 Dollar an, bis Ende der Woche kann jeder online mitbieten. 1999 wurde es um 150.000, 2010 um 850.000 Dollar verkauft. Vielleicht ersteigert es Sean Lennon und zieht das makabre Artefakt aus dem Verkehr.

Der am selben Tag wie sein Vater geborene, heute 45-jährige Musiker scheint die Lennon-Verwertung von seiner 87-jährigen Mutter zu übernehmen. Die Beatles-Rechte liegen bei Sony Music. Paul McCartney hat 2017 dagegen Klage eingereicht, er fordert die Rechte zurück. All das berührt Anwälte mehr als die Fans. Wer immer daran verdient: Das von John Lennon hinterlassene Weltkulturerbe wird noch viele Generationen begeistern. (Karl Fluch, 7.12.2020)