Mehrfachhängungen: "Abgaskopf" ist nur eines von Albert Oehlens vertretenen Werken.

Foto: Mischa Nawrata

Durchaus überrascht sei man gewesen, dass die Museen diese Woche wieder öffnen dürfen. Die neue Ausstellung in der Albertina Modern war quasi fertig, die letzten Details wurden in Windeseile fertiggestellt. Ab heute, Montag, kann das erst im Frühjahr eröffnete Haus wieder besucht werden. Dieses darf nun – so wurde es jetzt offiziell bestätigt – am neuen Standort im Künstlerhaus bestehen bleiben, der Vertrag wurde unbefristet verlängert.

Die zweite Schau The Essl Collection erinnert an den ursprünglichen Anlass der Albertina-Dependance am Wiener Karlsplatz: ein neues Zuhause für die Essl-Sammlung zu schaffen. Der Großteil der präsentierten Werke stammt aus der Schenkung an die Albertina, ein kleinerer Teil aus der Familiensammlung Hans Peter Haselsteiners, die dem Haus als Dauerleihgabe bis 2044 zur Verfügung steht.

Bei der Konzeption der Ausstellung ging es Direktor Klaus Albrecht Schröder darum, die inhaltliche und mediale Vielfalt der aus über 5000 Werken bestehenden Sammlung aufzuzeigen, die 50 Jahre lang von Agnes und Karlheinz Essl aufgebaut wurde. Nun werden etwa 130 daraus präsentiert. Anders als bei der ersten Schau wird hier kein Rahmen gesetzt: weder chronologisch noch thematisch noch geografisch. Mit der horizontalen Breite möchte man das Publikum überraschen.

Vielversprechender Beginn

Zeitlich werden drei Jahrzehnte ab den 1980er-Jahren umspannt, wobei aber frühere Ausreißer wie Arnulf Rainer oder Antoni Tàpies vertreten sind. Werke der beiden werden einander gegenübergestellt. Der Hintergrund: Essl sei erst durch den spanischen Maler auf Rainer gekommen. Durch solche "aneinanderprallenden Gegensätze" (Georg Baselitz und Neo Rauch) soll jeder Raum zum Erlebnis werden. Dies gelingt allerdings nur bedingt.

Wobei der Anfang vielversprechend ist: Auf der einen Seite geht es in ein dunkles Gruselkabinett, in dem eine Videoarbeit von Bill Viola pure Verzweiflung, eine Bronzeskulptur einen gefolterten Abu-Ghraib-Häftling zeigt und ein gigantischer Käfer von Gudrun Kampl kafkaesk über die Wand klettert.

Gespiegelt wird das mit ironisch-absurden Werken von Gelatin, Elke Krystufek oder Peter Land. In seiner Installation liegt ein Mann mit viel zu langen Gliedmaßen in einem zu kleinen Bett, klitzekleine Türen lassen ihm keinen Ausweg.

Phallus mit Harmonie

Eine Hauptattraktion der Schau sind die überlebensgroßen, fast nackten Päpste des Bildhauers Virgilius Moldovan. Umzingelt werden sie von hysterisch lachenden Männern des Malers Yue Minjun sowie einer roten wurstförmigen Sitzskulptur von Franz West. Dass sich das Ganze vor den "Riesenschwänzen" (Zitat Schröder) des Duos Gilbert und George abspielt, komplettiert das Gesamtbild brachial-blasphemischer (männlicher) Körpersprache.

Ab hier taucht der Phallus immer wieder auf: sei es bei Jonathan Meeses Propagandist, dem sogar Penisse aus Kopf und Rücken wachsen. Oder bei der Rauminstallation von Annette Messager (ein Highlight!), in der sich nicht nur Glieder zu erigierten Objekten aufplustern, sondern auch Brüste und innere Organe, um dann in sich zusammenzusacken. Dass die Arbeit von (farblich passender) abstrakter Malerei von Martha Jungwirth und Cecily Brown flankiert wird, funktioniert oberflächlich, ist aber eigentlich viel zu zahm. Wo bleibt die Überraschung?

Gegensätze

Die gewollten Gegensätze der zusammengestellten Werke sind in ihrer Kombination oft zu logisch, zu harmonisch: Abstraktion kommt zu Abstraktion, Assemblage zu Assemblage. Große Formate reihen sich zu Gemäldegalerien, in die sich vereinzelte Skulpturen problemlos einfügen.

Selbst die poppigen Szenen bei Alex Katz funktionieren mit Heimo Zobernigs reduzierten Objekten. Hungrig auf die fulminante Vielfalt der Sammlung wartet man auf die Provokation, die die Schau anfangs versprochen hat.

Ästhetisches Prinzip

Außerdem fragt man sich, warum Künstler mehrfach vertreten sind. Dass dies bei manchen erforderlich sei, um das ästhetische Prinzip zu verstehen, möchte man nicht ganz durchgehen lassen. Hätte man, anstatt drei Bilder von Daniel Richter oder Albert Oehlen zu zeigen, den Installationen von Nam June Paik nicht mehr Raum gestatten können?

Am meisten verwundert allerdings, dass die Fotografie – immerhin gibt es 1500 Objekte in der Sammlung – in das Untergeschoß verbannt wurde. Neben Aufnahmen von Nan Goldin oder Andreas Gursky kommen vor allem die Großformate von Thomas Struth in den niedrigen Räumen kaum zur Geltung. Sie mit den anderen Werken zu mischen hätte die Dichte der Sammlung auf den Punkt gebracht. Cindy Shermans Clown bei den halbnackten Päpsten? Das hätte wirklich überrascht. (Katharina Rustler, 7.12.2020)