Sensationssieger Sergio Perez fasste sich an den Kopf, taumelte ungläubig durch die gleißend helle Nacht von Bahrain und versuchte, dieses Rennen zu begreifen. Zeitgleich rauchten auch bei Mercedes die Köpfe, die Analyse lief auf Hochtouren – denn der Branchenführer hatte mit denkwürdigen Fehlern einen sicheren Sieg von George Russell weggeworfen. Lewis Hamiltons Ersatzmann wurde trotz einer großartigen Leistung am Ende nur Neunter.

Bild nicht mehr verfügbar.

Winner.
Foto: Reuters/ BOZOGLU

Der 22-jährige Russell schien lange auf dem Weg zum Sensationssieg, nachdem er am Start gleich Pole-Mann Bottas die Führung abgenommen und die meiste Zeit des über 87 Runden führenden Rennens in Führung gelegen war. Doch dann verpatzte Mercedes kurz vor Schluss während einer Safety Car Phase einen lediglich als Sicherheitsstopp gedachten Reifenwechsel völlig, vertauschte die Pneus bei Russell und Bottas. Russell startet zwar eine Aufholjagd bis auf Platz zwei, ein "Plattfuß" beendete dann aber endgültig seine Siegeshoffnungen.

Drama

Eine Woche nach dem Feuerinferno beim Unfall von Romain Grosjean in Bahrain ergab sich ebendort beim Rennen auf dem diesmal kurzen "Outer Circuit" erneut ein verrückter und dramatischer Grand Prix – diesmal aber mit am Ende drei Außenseitern auf dem Podest. Während der 30-jährige Perez im 190. Rennen – noch nie brauchte ein Fahrer in der Königsklasse so lange – den ersten GP-Sieg feierte, gelang Renault-Pilot Esteban Ocon erstmals der Sprung auf das Podest. Dritter wurde Perez' Teamkollege Lance Stroll, was dank gleich zwei Autos auf den Podiumsplätzen speziell Andreas Weißenbacher vom österreichischen Hauptsponsor BWT freute.

Der für den Covid-erkrankten Weltmeister Lewis Hamilton aufgebotene Russell setzte zunächst unter Flutlicht seine schon im Qualifying gezeigte Sensationsleistung mit einem blitzsauberen Start fort, schnappte sich gleich in Kurve eins die Führung vor Pole-Mann Bottas. Drei Kurven später gab es wieder Funken und Feuer, als sich der Ferrari von Charles Leclerc und das Auto von Perez berührten. Max Verstappen krachte beim Versuch auszuweichen mit seinem Red Bull in die Mauer und fiel aus. Leclerc ist für seinen Unfall nach dem Rennen bestraft worden. Der Monegasse muss beim Saisonfinale in Abu Dhabi in einer Woche drei Plätze weiter hinter starten.

Träume

Perez konnte nach einem Boxenstopp die Kurzstrecken-Hatz über 87 Runde hingegen fortsetzen. Der Mexikaner kämpfte sich vom 18. und letzten Platz aus sukzessive nach vorne und war am Ende dann der ganz große Profiteur. "Ich glaube, ich träume", war der zweite mexikanische Grand-Prix-Sieger seit Pedro Rodriguez 1967 und der 110. der Formel-1-Geschichte zunächst fassungslos. Dieser Überraschungscoup könnte für den 2021 noch ohne Team dastehenden Mexikaner doch noch ein Cockpit ergeben. Eine Möglichkeit wäre Red Bull.

Russell absolvierte nach der frühen Gelbphase auch den Restart im Stile eines Weltmeisters und hatte danach wenig Mühe, im Auto des Siebenfach-Champions Hamilton Bottas abzuhängen. Der Finne hatte seinerzeit bald bequemen Vorsprung auf Carlos Sainz. Und das, obwohl beide Mercedes mit den langsameren gelben Medium-Reifen unterwegs waren. Dadurch konnten Russell und Bottas aber auch länger auf der Strecke bleiben und dehnten den ersten Stint bis auf die 46. Runde und kamen zum vermeintlich einzigen Mal an die Box.

Schrecken

Foto: imago images/Motorsport Images

Danach wurde Russell von einer Sensor-Fehlermeldung über einen angeblichen Leistungsverlust kurz geschreckt. Am Ende war es aber menschliches Versagen, das den jungen Piloten um den ersten GP-Sieg brachte. Denn bei einer erneuten Safety Car Phase holte man bei klarer Mercedes-Führung doch nochmals beide Autos an die Box und verpatzte dabei alles, weil man die Reifen der beiden Fahrer verwechselte und falsch montierte. Russell musste nochmals an die Box, um seinen "gemischten" Reifensatz zu bereinigen.

Zwar schnappte sich der Brite dann der Reihe nach Bottas, Stroll und Ocon und kam dank schnellster Rennrunde auf bis unter drei Sekunden an Perez heran. Ein Happy End blieb ihm wegen des Reifenschadens im Finish links hinten letztlich aber doch versagt. Die Punkte für Platz neun und die schnellste Rennrunde behielt er, eine Disqualifikation blieb ihm erspart. Weil man den Reifen-Fauxpas durch weitere Boxenstopps beider Fahrer umgehend wieder korrigierte, beließ man es bei einer Geldstrafe von 20.000 Euro für das Team.

Unter normalen Umständen hätte Russell eine Strafe bis zur Disqualifikation gedroht. Es sei aber das erste Mal, dass ein Regelbruch in dieser Form aufgetreten sei, hieß es in der Urteilsbegründung der Renn-Stewarts. Mercedes-Teamchef Toto Wolff nahm sich nach dem "Reifengate" von Sakhir dennoch kein Blatt vor den Mund. "Das war einer der kolossalsten Fuck-ups, die wir je hatten", ärgert sich der Österreicher auf Sky.

Erklärung

Wolff lieferte auch eine Erklärung. "Die rechte Seite hat den Funkspruch nicht gehört. Und so war der falsche Reifen draußen für das falsche Auto. Das darf nicht passieren, aber passiert auch unserem Team. Und das zeigt, dass Menschen an der Arbeit sind." Warum man diesen zusätzlichen Stopp überhaupt durchgeführt hatte, erklärte Wolff damit, dass man noch nicht genügend Vorsprung gehabt hätte.

Die Mercedes-Crew hatte etwa 20 Runden vor Schluss irrtümlich für Bottas gedacht gewesene Vorderreifen am Auto des führenden Briten montiert. Auslöser war, dass die Mannschaft von Russell die Information, dass ihr Fahrer demnächst vor Bottas an die Box kommen würde, über Funk nicht verstehen konnte, weil der Fahrer selbst gerade am Funk sprach.

Aufgrund des weiteren Vorgehens bei Mercedes sehe man ausreichend mildernde Gründe, begründeten die Stewarts ihr Urteil. "Ein kleiner Irrtum hat heute alles geändert", sagte der um den Sieg gebrachte Russell. Der 22-jährige Williams-Pilot war anstelle des an Covid-19 erkrankten Weltmeisters Lewis Hamilton ins Team gekommen und hätte ohne das Pech wohl auf Anhieb gewonnen.

Das Vogerl

Bei Sergio Perez kam hingegen das ganze Glück zurück. Vor einer Woche war er in Bahrain als Dritter kurz vor Schluss ausgefallen. Diesmal landete er seine ersten Sieg, obwohl er nach der Kollision in der Startrunde ans Ende des Feldes zurückgefallen war. (APA, sid, red, 6.12.2020)

Endstand des Formel-1-Grand-Prix von Sakhir am Sonntag in Bahrain (87 Runden) sowie die WM-Wertungen:

1. Sergio Perez (MEX) Racing Point 1:31:15,114 (Schnitt: 203,074 km/h)
2. Esteban Ocon (FRA) Renault +10,518
3. Lance Stroll (CAN) Racing Point +11,869
4. Carlos Sainz jr. (ESP) McLaren +12,580
5. Daniel Ricciardo (AUS) Renault +13,330
6. Alexander Albon (THA) Red Bull +13,842
7. Daniil Kwjat (RUS) AlphaTauri +14,534
8. Valtteri Bottas (FIN) Mercedes +15,389
9. George Russell (GBR) Mercedes +18,556
10. Lando Norris (GBR) McLaren +19,541
11. Pierre Gasly (FRA) AlphaTauri +20,527
12. Sebastian Vettel (GER) Ferrari +22,611
13. Antonio Giovinazzi (ITA) Alfa Romeo +24,111
14. Kimi Räikkönen (FIN) Alfa Romeo +26,153
15. Kevin Magnussen (DEN) Haas +32,370
16. Jack Aitken (GBR) Williams +33,674
17. Pietro Fittipaldi (BRA) Haas +36,858

Ausgeschieden: Nicholas Latifi (CAN) Williams, Charles Leclerc (MON) Ferrari, Max Verstappen (NED) Red Bull

Schnellste Runde: George Russell (GBR) Williams in der 80. Runde in 55,404 (Schnitt: 230,210 km/h)

WM-Stand (nach 16 von 17 Rennen):

1. Lewis Hamilton (GBR) Mercedes 332
2. Valtteri Bottas (FIN) Mercedes 205
3. Max Verstappen (NED) Red Bull 189
4. Sergio Perez (MEX) Racing Point 125
5. Daniel Ricciardo (AUS) Renault 112
6. Charles Leclerc (MON) Ferrari 98
7. Carlos Sainz jr. (ESP) McLaren 97
8. Alexander Albon (THA) Red Bull 93
9. Lando Norris (GBR) McLaren 87
10. Lance Stroll (CAN) Racing Point 74
11. Pierre Gasly (FRA) AlphaTauri 71
12. Esteban Ocon (FRA) Renault 60
13. Sebastian Vettel (GER) Ferrari 33
14. Daniil Kwjat (RUS) AlphaTauri 32
15. Nico Hülkenberg (GER) Racing Point 10
16. Kimi Räikkönen (FIN) Alfa Romeo 4
17. Antonio Giovinazzi (ITA) Alfa Romeo 4
18. George Russell (GBR) Williams 3
19. Romain Grosjean (FRA) Haas 2
20. Kevin Magnussen (DEN) Haas 1

Stand Konstrukteurs-WM (nach 16 von 17 Rennen):

1. Mercedes 537
2. Red Bull 282
3. Racing Point 194
4. McLaren 184
5. Renault 172
6. Ferrari 131
7. AlphaTauri 103
8. Alfa Romeo 8
9. Haas 3
10. Williams 3

Nächstes Rennen: Grand Prix von Vereinigte Arabische Emirate VAE am 13. Dezember in Yas Marina Circuit

Anm.: Racing Point wurden wegen eines Regelverstoßes in der Konstrukteurswertung 15 Punkte abgezogen.