Bald neigen sich die Brexit-Verhandlungen dem Ende zu.

Foto: AFP / TOLGA AKMEN

Mit einem persönlichen Treffen wollen der britische Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Brexit-Handelspakt doch noch über die Ziellinie bringen. Johnson werde in den nächsten Tagen nach Brüssel reisen, teilte die Kommission am Montagabend mit. Damit geht die schier endlose Zitterpartie um das Abkommen in die vorerst letzte Runde.

Drei heikle Punkte

Mehr als eine Stunde telefonierten von der Leyen und Johnson. "Die Bedingungen für eine Einigung sind wegen Differenzen bei entscheidenden Punkten noch nicht gegeben", hieß es. "Wir haben unsere Chefunterhändler gebeten, eine Übersicht über die bleibenden Differenzen vorzubereiten, damit diese persönlich besprochen werden können."

Die Unterhändler streiten seit Monaten über immer dieselben Punkte: Fischerei, faire Wettbewerbsbedingungen und Regeln zur Ahndung von Verstößen gegen das Abkommen.

Zuvor schon hatten EU-Unterhändler Michel Barnier, Diplomaten und Abgeordnete die Aussichten für eine Einigung düster bewertet. Dennoch signalisierten beide Seiten schon vor dem Telefonat Johnsons und von der Leyens, dass sie zu weiteren Gesprächen bereit seien.

Hoher Zeitdruck

Keine vier Wochen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase ist der Zeitdruck enorm. Ohne Handelsabkommen drohen zum Jahreswechsel Zölle und andere Handelshürden zwischen beiden Seiten, die bisher im gemeinsamen Binnenmarkt engstens verflochten sind und Waren im Wert von mehreren Hundert Milliarden Euro pro Jahr hin und her liefern. Scheitern die Verhandlungen, würden viele britische Waren in der EU teurer. Verzögerungen an der Grenze könnten zu Engpässen führen und Lieferketten unterbrechen. Zehntausende Jobs wären in Gefahr. In Großbritannien sorgt man sich vor allem um Knappheiten bei Benzin und bestimmten Lebensmitteln.

Bei den Knackpunkten sei man auch in der jüngsten Verhandlungsrunde seit Sonntag kaum vorangekommen, berichtete Barnier den EU-Botschaftern und den Brexit-Spezialisten im Europaparlament. Doch keine Seite will offenbar als erste aufgeben – und die Misere eines No-Deal-Brexits verantworten. "Die EU ist bereit, letzte Anstrengungen aufzubringen, um einen fairen, nachhaltigen und ausgewogenen Deal für die Bürger in der EU und dem Vereinigten Königreich zu erzielen", sagte ein EU-Diplomat. "Es ist jetzt an Großbritannien, zwischen einem solchen positiven Ergebnis und einem No-Deal zu wählen."

Streitfall Wettbewerb

Großbritannien möchte sich von der EU möglichst wenige Vorgaben machen lassen – "Souveränität" und "Kontrolle" über die eigenen Regeln ist aus Londoner Sicht ja der Hauptzweck des Brexits. Die EU will hingegen keine Öffnung ihres Markts für Unternehmen, die geringere Standards einhalten müssen und deshalb billiger produzieren können. Der Schutz des EU-Binnenmarkts sei für alle 27 Staaten oberste Priorität, heißt es in Brüssel.

Das zweite Streitthema Fischerei ist vor allem für Küstenstaaten wichtig, allen voran Frankreich. Die Unterhändler feilschen um die Mengen, die EU-Fischer in britischen Gewässern fangen dürfen. Im Gespräch sind Quoten und eine Klausel zur Überprüfung der Regelung nach einer bestimmten Frist – eine sogenannte Revisionsklausel. Einen angeblichen Durchbruch beim Fisch dementierten beide Seiten.

Der dritte Punkt "Durchsetzung des Vertrags" ist der EU auch wegen eines Manövers der Johnson-Regierung wichtig, das in Brüssel auf helle Empörung traf: britische Gesetzesklauseln, die das bereits gültige EU-Austrittsabkommen vom Jahresbeginn zum Teil aushebeln würden. Dabei geht es um Passagen, die eine harte Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland und ein Wiederaufflammen des Konflikts dort verhindern sollen.

Die Regierung Johnson befürchtet, die im Vertrag vereinbarten Sonderregeln für Nordirland könnten den Landesteil vom Binnenmarkt des Vereinigten Königreichs abkoppeln und ein Einfallstor für EU-Vorgaben bei staatliche Beihilfen werden.

Doch deutete die britische Regierung am Montag Bereitschaft zum Einlenken an. Sie sei bereit, umstrittene Klauseln des Gesetzentwurfs zu entfernen oder zu entschärfen. (APA, red, 7.12.2020)