Wer wenig Geld hat, bekommt in Wien vergünstigte Monatskarten für die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Tickets sind personengebunden, was einen 33-Jährigen wegen des Verdachts des schweren Betrugs vor Gericht gebracht hat.

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Wien – Das Tarifsystem und das Regelwerk des öffentlichen Personennahverkehrs ist schon für Menschen mit deutscher Muttersprache mitunter nicht auf den ersten Blick verständlich. Abdulkader A., vor vier Jahren aus Syrien nach Wien gekommen, hat damit sicher größere Probleme, was ihn nun mit einer Anklage wegen schweren Betrugs an den Wiener Linien vor Richterin Nicole Rumpl gebracht hat.

Interessanterweise hat die Polizei bei ihrer Vernehmung im Protokoll vermerkt, dass A. keinen Dolmetscher benötigt. Die Richterin muss dagegen feststellen, dass die Kommunikation auf Deutsch zwar möglich, aber mühsam ist. Nach mehrmaligem Nachfragen kristallisiert sich folgende Geschichte heraus: Der unbescholtene 33-Jährige war am 9. Juli auf dem Weg zum Zahnarzt, als die Fahrausweise kontrolliert wurden. Er hatte seine Monatskarte daheim vergessen, sagt er, daher bekam er eine Strafe.

Monatskarte am Schalter eingezogen

Als er die am nächsten Tag bei der Bank einzahlen wollte, erklärte man ihm, er solle ins Kundencenter der Wiener Linien nach Wien-Erdberg fahren und die Sachlage nochmals darlegen. Dort verlief das Gespräch deutlich anders als erhofft: Die Mitarbeiterin zog nämlich die mitgebrachte Monatskarte ein und rief die Polizei. Der Vorwurf: Er habe den Namen auf der Karte verändert.

Dazu muss man wissen, dass A. und seine Gattin als Sozialhilfeempfänger Anspruch auf einen "Mobilpass" der Stadt Wien haben, der wiederum eine vergünstigte Monatskarte ermöglicht. Die ist aber an den Pass-Inhaber gekoppelt, daher müssen die Kunden ihren Namen eintragen.

Wie schon bei der Polizei beteuert A. auch vor Richterin Rumpl, dass die Sache auf einem Schreibfehler beruhe. Am 2. Juli hätten er und seine Ehefrau die Tickets gekauft. Die Namen von Mutter und Vater habe das älteste der sechs Kinder damals auf der Monatskarte eingetragen – allerdings irrtümlich zweimal den Namen der Mutter. Er habe den Vornamen der Gattin daher ausradiert, und sein Sohn habe den Namen des Angeklagten eingesetzt. "Warum müssen das Ihre Kinder machen?", will die Staatsanwältin wissen. "Weil sie die Schrift besser können", hört sie.

Original mit entscheidendem Hinweis

Rumpl ruft die Schaltermitarbeiterin der Wiener Linien auf und eröffnet die Befragung mit: "Es geht um eine ausradierte Monatskarte." Die junge Frau kann sich an A. erinnern – und hat zur Freude der Richterin sogar sein Originalticket mitgebracht. "Wie heißt Ihre Frau denn mit Vornamen?", fragt Rumpl den Angeklagten. Der verrät ihn, die Richterin begutachtet die Monatskarte. Und kommt wie die Staatsanwältin zum Schluss, dass man diesen Vornamen tatsächlich noch undeutlich erkennen kann. "Haben Sie auch noch die Monatskarte Ihrer Frau?", will die Richterin von A. wissen. "Nein, die haben wir schon weggeschmissen, das war ja im Juli", bedauert der.

An die Zeugin hat Rumpl ebenfalls noch Fragen: "Also verändert wurde nur etwas in dem Teil, in dem der Kunde sowieso schreibt?" – "Ja." – "Und wie tut man da normalerweise? Es kann ja jedem passieren, dass er einen Fehler macht?" – "Dann muss man in ein Infocenter und die Karte umtauschen", erfährt die Richterin. Als sie die Zeitbestätigung der Zeugin unterschreibt, fragt Rumpl routinemäßig auch nach dem Bedarf an Fahrtkostenersatz. "Ich fahr gratis mit den Wiener Linien", hat die junge Frau keinen Bedarf an zwei Öffi-Einzelfahrscheinen.

Weder Betrug noch Urkunden- oder Beweismittelfälschung

A. wird schließlich nicht rechtskräftig freigesprochen. Die Richterin kann keinen Betrugsvorsatz feststellen, der Angeklagte habe von Anfang an von dem Schreibfehler seines Kindes erzählt. Auch eine Urkundenfälschung liege nicht vor, da dafür zum Beispiel die Gültigkeitsdauer verändert werden müsste und nicht Dinge, die man ohnehin persönlich eintragen muss. Und auch die Fälschung eines Beweismittels falle weg, begründet Rumpl, da A. die Monatskarte weder in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren noch in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung oder im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates gebraucht hat. (Michael Möseneder, 8.12.2020)