"Wir sind immer hoffnungsvoll", sagt der britische Premier Boris Johnson zu den Post-Brexit-Verhandlungen.

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London – In den Post-Brexit-Verhandlungen sind die EU und Großbritannien nach den Worten des britischen Premierministers Boris Johnson noch immer "weit voneinander entfernt". Er sei "immer optimistisch", doch aktuell sei "die Lage sehr kniffelig", sagte Johnson am Dienstag. Angesichts der festgefahrenen Verhandlungen um einen Handelspakt nach dem Brexit hatte der britische Regierungschef am Montag angekündigt, persönlich nach Brüssel zu fahren und dort auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu treffen.

"Unsere Freunde müssen verstehen, dass das Vereinigte Königreich die EU verlassen hat, um demokratische Kontrolle ausüben zu können", sagte Johnson. Am Tag zuvor hatten der Premier und von der Leyen ihre Chefunterhändler gebeten, "einen Überblick über die verbleibenden Differenzen zu erstellen, die in den kommenden Tagen persönlich besprochen werden sollen".

Pattstellung

Großbritannien war Ende Jänner aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende bleibt es aber noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Diese Übergangsphase wollten beide Seiten eigentlich nutzen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln.

Die Gespräche kommen aber seit Monaten kaum voran. Inzwischen ist die Zeit für eine rechtzeitige Ratifizierung eines möglichen Abkommens bis zum 1. Jänner schon äußerst knapp. Seit Sonntag verhandeln die Chef-Unterhändler beider Seiten wieder in Brüssel.

Differenzen gibt es noch immer in drei zentralen Bereichen. Dabei geht es um faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle der Einhaltung eines künftigen Abkommens und die Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern. Einigen Ländern wie Frankreich ist das Thema Fischerei besonders wichtig. Paris hat deshalb mit einem Veto gegen ein mögliches Abkommen gedroht.

Die Zeit drängt

Keine vier Wochen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase ist der Zeitdruck enorm. Ohne Handelsabkommen drohen zum Jahreswechsel Zölle und andere Handelshürden zwischen EU und Großbritannien, die bisher im gemeinsamen Binnenmarkt engstens verflochten sind und Waren im Wert von mehreren Hundert Milliarden Euro pro Jahr hin und her liefern. Scheitern die Verhandlungen, würden viele britische Waren in der EU teurer. Verzögerungen an der Grenze könnten zu Engpässen führen und Lieferketten unterbrechen. Zehntausende Jobs wären in Gefahr. In Großbritannien sorgt man sich vor allem um Knappheiten bei Benzin und bestimmten Lebensmitteln.

Großbritannien möchte sich von der EU möglichst wenige Vorgaben machen lassen – "Souveränität" und "Kontrolle" über die eigenen Regeln ist aus Londoner Sicht ja der Hauptzweck des Brexits. Die EU will hingegen keine Öffnung ihres Markts für Unternehmen, die geringere Standards einhalten müssen und deshalb billiger produzieren können. Der Schutz des EU-Binnenmarkts sei für alle 27 Staaten oberste Priorität, heißt es in Brüssel. (APA, red, 8.12.2020)