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Wer im Musikjournalismus Rang und Namen haben will, muss vor allem gut lästern können: Beanie Feldstein (rechts) als Johanna Morrigan.

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Als Rockjournalistin in den 1990ern gehörte sie zur konfrontativen Sorte. Besonders stolz ist Caitlin Moran beispielsweise auf ihre Interviewfrage an Courtney Love, wie es sich angefühlt habe, als sie das erste Mal mit Kurt Cobain geschlafen hat (sie hat ein anderes Wort benützt). Von Keith Richards wollte sie wissen, ob er eine Perücke trägt – er hat sie dann an seinen Haaren ziehen lassen, Beweis ist Beweis.

Die britische Autorin ist als ältestes von acht Kindern in einer auf Sozialhilfe angewiesenen Arbeiterklassenfamilie in Wolverhampton am Rande von Birmingham aufgewachsen. Eine solidere Abhärtung ist schwer vorstellbar. Moran wusste sie sich zunutze zu machen: Nach einer rasanten Karriere von der Musikkritikerin zur Kolumnistin wurde Moran zur Bestsellerautorin. In einem ungeniert schnoddrigen Tonfall votierte sie in How to Be a Woman gegen weibliche Selbstgeißelung, schon davor hat sie mit How to Build a Girl ein semiautobiografisches Buch über ihre Jugend geschrieben, das in England mittlerweile den Status eines Schlüsselromans für eine Generation hat.

Vom Out- zum Insider

Wie man nun auch in Coky Giedroycs charmanter Verfilmung sehen kann, ist die 16-jährige Johanna Morrigan anfangs zu einem Leben verurteilt, das sie komplett unterfordert. Alle Bücher der Stadtbibliothek hat sie durch, ihre (immer wieder kurzzeitig animierten) Heldinnen und Helden, von Frida Kahlo und Sylvia Plath über Marx und Liz Taylor bis Maria von Trapp aus Sound of Music, blicken von der Zimmerwand ein wenig mitleidig auf sie herab.

Johanna ist übergewichtig, uncool (zumindest im landläufigen Sinn) und mit ihren literarischen Vorlieben im Ziegelbautenghetto zum Außenseitertum verdammt. Doch das ist in How to Build a Girl noch lange kein Grund für Depressionen.

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Wirbelwindgleich verkörpert von der US-Schauspielerin Beanie Feldstein, der Schwester von US-Star Jonah Hill, die schon in Booksmart ordentlich Gas gab und demnächst als "bad girl" Monica Lewinsky zu sehen sein wird, giert diese lebenshungrige Figur nach Bestätigung ihres Talents. Der britische Spülbeckenrealismus erhält hier insgesamt eine fröhlichere Note. Johannas Vater (Paddy Considine), selbst "verhinderter" Musiker, mag ein Loser sein, als sympathische Stütze erweisen kann er sich trotzdem.

Die Gelegenheit zur Neuerfindung kommt mit dem Talentwettbewerb eines Londoner Musikmagazins, in dem Johanna zwar nie für voll genommen wird, doch unter dem Pseudonym Dolly Wilde – mit rot gefärbten Haaren und Zylinder auf dem Kopf – immerhin bald Kritiken über Rockbands wie die Manic Street Preachers schreiben kann. Die Perspektive auf die Rituale des Musikjournalismus, eine Bande von blasierten Snobs "too cool for school", ist (nicht nur für Kritiker) besonders witzig.

Mit Häme zum Erfolg

Giedroyc trifft das Milieu, ohne es vollkommen parodieren zu müssen. Und Johanna schreibt die Jungs alle an die Wand, sobald sie einmal erkannt hat, dass nicht Empathie, sondern nur ätzende Attitüde zu Anerkennung führt. Eine Kostprobe: Tori Amos habe "nicht nur die Haare, sondern auch die Zukunft eines Mammuts". House of Pain klingen, "als würden Hoden Musik machen". Bei so viel Häme lässt der Erfolg nicht lange auf sich warten.

How to Build a Girl – der deutsche Titel lautet Johanna – Eine (un)typische Heldin – ist im Kern eine Coming-of-Age-Geschichte, deshalb ist mit dem Status der bösen Rockkritikerin noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Öfters im Film bekommt Johanna zu hören, wie jung sie sei. Was im Klartext bedeutet: Es stehen ihr noch ein paar Lektionen bevor.

Eine davon lautet – das ist deutlich Caitlin Morans Stimme –, dass man seine proletarische Herkunft nicht verraten darf, sondern an einem genuinen Ausdruck seiner Persönlichkeit arbeiten soll. Dolly Wilde war in dieser Hinsicht ein zu kalkuliertes Modell der Selbstpromotion. Dass es letztlich in den Händen eines sensiblen irischen Sängers (Alfie Allen) liegt, Johanna ihren Irrtum gewahr werden zu lassen, ist dann aber eine Spur zu altbacken romantisch gedacht. Zumal für einen Film, der sich weibliches Enactment so groß aufs Panier geschrieben hat. (Dominik Kamalzadeh, 9.12.2020)