Im Gastkommentar widmet sich Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger den jüngsten Wortmeldungen aus der FPÖ.

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz (re., mit Klubobmann Herbert Kickl) ist der Corona-Politik und der "Distanziererei" gegenüber Rechtsextremen überdrüssig.
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Die Geschichte lehrt: Nie agiert die FPÖ ihren rechtsextremen Wesenskern deutlicher aus als in der Phase frisch nach Befreiung von den Fesseln der Regierungsverantwortung und Staatsraison. So war es 1986 nach der Obmannwahl Jörg Haiders und der folgenden Aufkündigung der rot-blauen Koalition durch Franz Vranitzky; so war es 2005, als Haider die FPÖ von einem Tag auf den anderen zur Oppositionspartei machte und Heinz-Christian Strache kurz darauf die Masseverwaltung antrat. Und so ist es augenscheinlich auch heute, seit dem Ibiza-bedingten Ende von Schwarz-Blau III.

"Distanziererei" gegenüber Rechtsextremen

Die jüngste Absage des Generalsekretärs Michael Schnedlitz an die "Distanziererei" gegenüber außerparlamentarischen Rechtsextremen ist nur eines von vielen Indizien in diese Richtung. Ein anderes ist das wiederentdeckte Stakkato der kalkulierten Provokation. Im heurigen Mai rahmte der Wiener Landesparteiobmann Dominik Nepp Sars-CoV-2 als "Asylantenvirus". Im Juni ließ Parteichef Norbert Hofer wissen, der Koran sei "gefährlicher als Corona". Im Juli positionierte Schnedlitz seine Partei als "Unkrautbekämpfungsmittel, das das Problem bei der Wurzel – nämlich der ungezügelten Zuwanderung – packt".

Wie diese Beispiele illustrieren, tragen Schnedlitz’ jüngste Aussagen einer simplen Wahrheit Rechnung: Es mag für die FPÖ zu gewissen Zeiten taktisch opportun erscheinen, sich von postneonazistischen Rechtsextremen à la Identitäre zu distanzieren – inhaltliche Gründe dafür gibt es angesichts ihrer eigenen Verortung nicht. Versuchte man diesen Umstand in der Regierung noch eher zu verschleiern, scheint seither ostentatives Umarmen angesagt.

Identitäre Themen

Mit Remigration und Bevölkerungsaustausch sind inzwischen zwei langjährige Kernbegriffe der identitären Propaganda zum festen Bestandteil freiheitlicher Rhetorik geworden. Erst vor wenigen Tagen qualifizierte Nepp eine Gebührensenkung in Staatsbürgerschaftsverfahren als "Bonus für Bevölkerungsaustausch". Rund einen Monat zuvor hatten diverse Spitzenfreiheitliche auf Facebook einen Stopp jeglicher Zuwanderung aus "muslimischen" beziehungsweise "islamischen Ländern" gefordert, während die Wiener Nachwuchshoffnung Maximilian Krauss "Remigration" als "das Gebot der Stunde" propagierte. "Integration funktioniert nicht", verkündete indes die Wiener Parteijugend – ein Echo des Identitären-Slogans "Integration ist eine Lüge". Ein weiterer fixer Bestandteil des identitären Angstpolitik-Arsenals – wonach die jeweils anstehende Wahl die letzte sei, bei der die "echten Österreicher" noch in der Mehrheit seien – wurde zu einem der zentralen Talking-Points Nepps im Wiener Wahlkampf.

Treue bekunden

Die Absicht hinter all dem scheint darin zu bestehen, zum einen der während der Regierungszeit vergrämten extremen Rechten Treue zu bekunden und im Zuge dessen rechtsextreme Ideen und Begrifflichkeiten durch steten Gebrauch zu normalisieren, wie es ja auch in der Vergangenheit schon gelang (man schlage nach unter "Ausländerfrage", "Überfremdung" oder "Islamisierung"). Schwarz-Blau hatte das Verhältnis der Partei zum rechten Rand einer Belastungsprobe unterzogen, gipfelnd in den Distanzierungen nach dem Massaker von Christchurch. Auch zu dieser Zeit waren jene Brücken, die nun repariert werden sollen, freilich nicht ganz abgebrochen worden: Freiheitliche Inserate flossen auch während der Regierungsbeteiligung an rechtsextreme Medien, freiheitliche Spitzen standen diesen auch in dieser Zeit für Interviews zur Verfügung, und auf Ebene der Jugendorganisationen wurde eine enge Verflechtung mit dem außerparlamentarischen Rechtsextremismus zumindest toleriert.

Arbeitsteilung rechts außen

Angesichts des inhaltlichen Gleichklangs scheinen maßgebliche Teile der FPÖ nun akzeptiert zu haben, was rechtsextreme Medien (allen voran jenes, dem Schnedlitz sein jüngstes Interview gab) der Partei schon seit längerem ins Stammbuch schreiben: Die Distanzierung von Gruppen, die im Grunde dasselbe wollen wie sie, mache die FPÖ in ihren Botschaften inkohärent und bei ihren Kernschichten unglaubwürdig und delegitimiere letztlich auch die eigenen Inhalte.

Dem gegenüber propagieren Rechtsextreme seit Jahren das Modell einer "Mosaikrechten", in dem Partei, außerparlamentarischer Aktivismus und einschlägige Publizistik einander tolerieren und auf die je eigene Art auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Der Partei komme dabei nicht zuletzt die Aufgabe zu, Ideen und Begriffe des außerparlamentarischen Spektrums aufzunehmen, eine breitere Öffentlichkeit daran zu gewöhnen und so das gesellschaftliche Klima nach rechts zu verschieben. Die demonstrative Verweigerung der Distanzierung von außerparlamentarischen Akteuren könne diesen Legitimität verschaffen und die Effektivität ihrer "metapolitischen" Wühlarbeit erhöhen, deren Früchte wiederum die Partei an den Wahlurnen ernten könne.

Ebendiese symbiotische Arbeitsteilung sah man rechts außen durch die freiheitlichen Distanzierungen der Vergangenheit aufgekündigt. Nun aber scheint die FPÖ, nicht länger dem Pragmatismus eines koalitionären Juniorpartners verpflichtet, wieder bereit, die ihr zugedachte Rolle anzunehmen und in ihre angestammte Funktion zurückzukehren: als parlamentarischer Arm des Rechtsextremismus in Österreich. Bernhard Weidinger, 9.12.2020)