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Auch der 81-jährige William Shakespeare wurde geimpft.

Foto: Jacob King/Pool via REUTERS

Wenn man nur gegen Verlegenheit impfen könnte! Margaret Keenan weiß zunächst gar nicht recht, was sie auf die drängenden Reporterfragen antworten soll. Gerade, genauer gesagt um 6.31 Uhr Dienstagfrüh, hat die 91-jährige Patientin der Uniklinik im mittelenglischen Coventry von Oberschwester May Parsons die erste Dosis des Wirkstoffs BNT162b2 erhalten – und damit das britische Massenimpfprogramm gegen Sars-CoV-2 eingeläutet. Sie fühle sich "wonderful", teilt die betagte Dame schließlich mit und freut sich über ihr "vorgezogenes Geburtstagsgeschenk". Beifall des versammelten Krankenhauspersonals.

Erstes westliches Land

Die Szene wiederholt sich im Lauf des Tages hundertfach in mehr als 80 Krankenhäusern im gesamten Land. Erst vergangene Woche hatte die nationale Arzneimittelbehörde MHRA den Wirkstoff der Mainzer Firma Biontech sowie des US-Giganten Pfizer auf der Grundlage einer umfassenden klinischen Studie zur massenhaften Anwendung zugelassen. Großbritannien ist damit das erste westliche Land, in dem ausgewählte Zielgruppen gegen Covid-19 geimpft werden.

Zunächst wurden aus der Fabrik in Belgien 800.000 Dosen importiert, bis Jahresende sollen bis zu fünf Millionen hinzukommen. In der ersten Welle erhalten Krankenhauspatienten über 80 Jahre sowie medizinisches Fachpersonal und Betreuerinnen in Alten- und Pflegeheimen den Schutz vor Covid-19. Drei Wochen nach der Erstimpfung wird eine zweite Dosis fällig. Volle Immunität sei nach einem Monat zu erwarten, berichtete der wissenschaftliche Chefberater der Regierung, Patrick Vallance. Premierminister Boris Johnson dankte dem Nationalen Gesundheitssystem NHS sowie den beteiligten Wissenschaftern, "die so hart gearbeitet haben".

Auch Queen und Prinzgemahl auf Liste

Mit den sorgfältig inszenierten TV-Bildern aus Coventry und anderen Nachrichten vom ersten Impfungstag stellt das NHS den Ruf der Briten als Marketing-Weltmeister unter Beweis. Nach der ersten Aufregung wurde Pionierin Keenan gleich noch eine wichtige Botschaft an die Bevölkerung los: Im ablaufenden Jahr sei sie viel allein gewesen, nun freue sie sich auf Kontakt mit Familie und Freunden im neuen Jahr. "Machen Sie es genauso – was ich kann, können Sie auch!"

Übers Wochenende hatte bereits Queen Elizabeth (94) verlauten lassen, sie und Prinzgemahl Philip (99) würden sich alsbald am Programm beteiligen. Vom Einfluss der Monarchin erhofft sich die Regierung eine positive Wirkung auf die Impffreudigkeit der Bevölkerung. Anfang des Monats erklärten sich in einer Opinion-Umfrage 20 Prozent der Briten zu Skeptikern; 68 Prozent wollten mitmachen, der Rest gab sich unentschlossen. Von Zwang könne keine Rede sein, hat Premier Johnson im Unterhaus beteuert. "Das ist nicht unsere Art."

Lieber ein wenig geschickte Werbung. Als Zweiter nach Keenan bekam in Coventry ein Engländer seine Spritze, der den Namen des Nationaldichters William Shakespeare trägt. Fehlt nur noch ein Edward Jenner – am Oxforder Institut, das nach dem Pionier der Pockenschutzimpfung benannt ist, haben Wissenschafter zusammen mit der angloschwedischen Firma Astra Zeneca ChAdOx1 entwickelt. Dieser Wirkstoff liegt der MHRA zur Prüfung vor, die Freigabe dürfte in den nächsten Tagen erfolgen.

NHS bremst Euphorie

In den Jubel über den gelungenen Start mischten sich warnende Töne. Professor Stephen Powis, der medizinische Direktor des NHS in England, sprach davon, die Situation gleiche "einem Marathon, keinem Sprint". Unbedingt müsse die Bevölkerung auch weiterhin die bestehenden Einschränkungen einhalten, mahnte Gesundheitsminister Matthew Hancock, er freute sich aber über das "Licht am Ende des Tunnels". (Sebastian Borger aus London, 8.12.2020)