Vorstand Günther Zangerl von der Silvretta-Seilbahn im Gespräch mit "Schauplatz"-Reporter Ed Moschitz.

Foto: ORF

Abstand halten: Ski-Opening November 2020.

Foto: ORF

Menschenmenge Ende Jänner 2020 in Ischgl.

Foto: ORF

Die meistgesehenen ORF-"Schauplatz"-Sendungen seit 1995.

Grafik: DER STANDARD

Mit den Medien wollen viele Ischgler lieber nichts mehr zu tun haben. Sie drehen sich weg, huschen vorbei, verbergen ihr Gesicht, wenn sich ein Reporter und ein Kameramann nähern, auch der Tourismusdirektor der Gemeinde. Und wenn der Reporter Ed Moschitz heißt und für das ORF-Reportagemagazin "Am Schauplatz" dreht, wird die Sache für die Ischgler nicht leichter.

Über die nach Einwohnern winzige Wintersportmetropole hat Moschitz schon im Frühjahr eine "Schauplatz"-Folge gemacht, die meistgesehene seit Sendestart. In den übervollen Après-Ski-Bars hatte sich das Coronavirus Anfang 2020 besonders rasch verbreitet, und spätestens nach einer epidemiologisch wenig weit blickenden Abreiseverordnung gleich weit über Europa. Warnungen aus Island blieben in Tirol womöglich entscheidende Tage lang ohne Reaktion und das Skigebiet vorerst offen.

Donnerstagabend, 21.05 Uhr, in ORF 2 folgt nun der zweite "Schauplatz" über Ischgl. Titel: "Das große Schweigen – Wie Ischgl versucht, Image und Wintersaison zu retten".

"Was drehts da für einen Scheiß?"

Ein Passant erklärt Moschitz auf Distanz, warum die Ischgler nicht reden wollen: "Weil wir den Medien nicht trauen. Weil genügend Scheiße über die Medien über Ischgl vertrieben worden ist. Und davon haben wir einfach genug, und darum wollen wir von euch nichts mehr sehen und hören."

Ein anderer sagt seine Meinung direkter: "Was drehts da für einen Scheiß?" Mit Handykamera im Anschlag umkreist er das ORF-Team, beschimpft sie als Vollidioten, als Volldeppen, filmt jeden "Heini" und jede "Pfeife" aus dem Team. Und als ihn Moschitz bittet, die Mitarbeiter nicht anzugreifen, erklärt ihm der Mann: "Ich bin sowieso positiv, jetzt seids eh schon angesteckt." Viele Hoteliers wollten nicht mit Moschitz sprechen – oder nur so wie der Mann aus der Branche mit seiner Handykamera.

Eine bitterarme Tiroler Gemeinde ist in den 1960ern mit der längsten Seilbahn des Landes zur Millionenmetropole des Wintervergnügens geworden. Das Virus und wie die Tiroler Behörden damit umgingen machte das erfolgsverwöhnte Ischgl zum europaweit bekannten Bild des Corona-Hotspots.

"Emotional nicht lustig"

Der Tourismusdirektor äußert sich dann doch noch, bedauert auf Nachfrage und sagt zur Lage in Ischgl: "Unsere Eltern, unsere Großeltern haben da mit sehr viel Herzblut und mit sehr viel Weitblick etwas geschaffen und uns in zweiter und dritter Generation ein Vermächtnis hinterlassen, auf das wir stolz sind. Dass wir die erste Generation sind, die mit leeren Betten dasteht zum Saison-Opening: Das ist emotional nicht lustig."

Sieglinde Schopf spricht über den Corona-Tod ihres Mannes, nachdem sie ihn motiviert hat, nach Ischgl zu reisen. Hätten die Behörden die Warnung aus Island weitergegeben, er wäre nicht gefahren. "Ich glaube, es war ein sinnloser Tod."

Moschitz zeigt, wie die Seilbahnen desinfiziert werden, lässt deren Vorstand erklären, welche Sicherheitsmaßnahmen sie getroffen haben. Der praktische Arzt kommt zu Wort, der Touristen bescheinigte, frei von Symptomen und Kontakt zu Infizierten zu sein – und der Selbstanzeige bei der Ärztekammer erstattete. Der Bürgermeister verweist nur auf seinen Anwalt.

Ein Koch, der selbst Corona hatte, sagt: "Sie sagen, von den Gästen sind einige gestorben. Ist tragisch, aber ist so. Verbieten Sie drei Monate das Autofahren – schauen wir, wie viele Verkehrstote wir haben. Wird auch zurückgehen. Aber scheißt sich keiner drum. Leute sterben. Beim Autofahren, manche springen von der Brücke, manche setzen sich den goldenen Schuss." "Die Ansichten sind wirklich sehr radikal", wendet Moschitz ein. "Realistisch", sagt der Mann – "oder wie kennen Sie das Leben?"

Sich der Realität stellen

Eine früh infizierte Kellnerin berichtet von der Verwunderung der Ärzte in Landeck im März, dass das Skigebiet noch offen sei. Sie wird nicht mehr in Ischgl arbeiten. Urlauber erzählen von den Kellnern im Kitzloch, die mit Trillerpfeifen von der Schank bis zum Tisch durchpfiffen – und von ihrer Infektion. Eine von ihnen betont aber auch: "Das kann man keiner Gemeinde anschuldigen, wenn sie in dem Moment keinen Pandemieplan aus der Schublade ziehen konnte. Das ist nicht die Aufgabe eines Dorfes."

"Ganz Europa hat sich mit Ischgl beschäftigt", sagt "Am Schauplatz"-Sendungschef Klaus Dutzler zur Nachfolge-Doku. "Der Realität muss man sich stellen." Aber: "Natürlich ist nicht Ischgl an Corona schuld. Die Rahmenbedingungen ermöglichten es, dass sich das Virus sehr schnell verbreiten konnte. Das System hat zu spät und womöglich falsch reagiert. Nachher ist man gescheiter. Nun geht es darum, das optimal aufzuarbeiten, damit das nicht mehr passiert. Wir versuchen zu zeigen, wo Ischgl da steht." (Harald Fidler, 10.12.2020)