Es kommt ja nicht (mehr) oft vor, dass meine Mutter mir einen Ordnungsruf erteilt. Aber als sie die Bilder vom Sonntag sah, war es mit ihrer Zurückhaltung vorbei, ihre Empörung physisch spürbar: "Geht's noch?", fuhr sie mich an.

Und holte zum Rundumschlag aus: Beim ersten Lockdown hätte ich ihr und ihren Bergwanderkumpanen und -kumpaninnen die Leviten gelesen, als sie ihre "eh leichten" Hochgebirgstouren nicht einstellen wollten. Ich selbst hätte meinen Rollentrainer im Garten aufgestellt, statt draußen Rennrad zu fahren – aber jetzt, bei Fast-Minus-Graden, "hüpft der Herr mal einfach lustig in die Donau. Geht's noch?"

Foto: thomas rottenberg

Der eigenen Mutter, noch dazu öffentlich, zu widersprechen, macht keinen schlanken Fuß. Schon gar nicht, wenn sie recht hat. Und sei es nur auf den ersten Blick: Meine Mutter weiß, was ein Neo, was eine Safety Buoy ist. Sie hat gelernt, dass Leute wie ich mit derlei Spielzeug im Wasser Spaß haben, den sie nicht nachvollziehen kann. Sie hat, nachdem ich ihr die Startbadehaube meines ersten Ironman geschenkt hatte, an den Reaktionen im Strandbad erkannt, dass solche Trophäen für irgendwas stehen, das nicht jeder und jede kann.

Aber all das, sagt meine Mutter, erkläre nicht, wieso ich bei unter vier Grad Wassertemperatur dann (ohne all das) in "die Donau" steige – und das auch noch super finde.

Dagegen kann ich wenig sagen. Außer: Meine Mutter hat noch nie von Josef Köberl gehört.

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Dabei ist Köberl ein Superstar. In meiner Welt. Der auf den ersten Blick bieder-gemütlich aussehende Ministerialbeamte, dem man "in Zivil" keine Sekunde den Ärmelkanaldurchschwimmer oder die "Eismeile" (1.600 Meter bei unter 5 Grad) ansähe, ist der Doyen der österreichischen Kaltwasserschwimmszene, Präsident des Österreichischen Eis- und Winterschwimmverbandes (IIAS). Seit Jahren taucht er zu Herbst- oder Winterbeginn in Magazinen und Blogs auf. Und wenn er wieder einmal, zuletzt Ende August in Melk, einen seltsamen Weltrekord aufstellt, auch in den breiter aufgestellten Publikumsmedien. In den Lustige-Spinner-Meldungen oder in Coole-Freaks-TV-Beiträgen.

Meine Mutter interessiert sich aber für Polit-, Kultur- und Weltgeschehen – das "Panoptikum" wird überblättert.

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Jetzt, im schwimmbadlosen Lockdown-Herbst und -Winter, wird Josef Köberl aber auch außerhalb meiner Blase weltberühmt in Österreich: Den Saisonauftakt machte im Oktober Karin Cernys "Selbstversuch" im STANDARD.

Seither geht es Schlag auf Schlag – googeln Sie, wenn Sie es genauer wissen wollen. Zuletzt, Anfang Dezember, widmeten ihm die "Salzburger Nachrichten" einen eleganten Zweiseiter. Kommende Woche wird er bei "Willkommen Österreich" zu Gast sein – und als ich mit ihm diesen Sonntag in die Neue Donau stieg, war da auch ein Kollege vom "Red Bulletin": Irgendwann, bald, wird Josef Köberl sogar meiner Mutter ein Begriff sein.

Jetzt eben noch nicht: "Geht's noch?"

(Anmerkung: zur journalistischen Berufsausübung sind derartige "Ansammlungen" erlaubt.)

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Dabei ist das, was Josef Köberl mit "Zivilisten" tut, alles andere als unverantwortlich. Und davor, einfach so ins kalte Wasser zu hüpfen, warnt er lauter als alle anderen: So wie man im Winter beginnt, an der Sommer-Strand-Traumfigur zu arbeiten, beginnt vernünftiges Eisschwimmen im Sommer. "Man darf nicht aufhören, im Freien zu schwimmen." Wer nach dem 24 Grad warmen Wörthersee im August im Dezember in die vier Grad ("eher noch ein bisserl kälter", Köberl) kalte Neue Donau steigt, ist irre. Und handelt dumm.

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Wer aber das Abkühlen der freien Gewässer am eigenen Leib miterlebt hat, pumperlgsund ist und es ganz ganz langsam angeht, kann sich auf die "Josef Köberl"-Experience einlassen. Dann ist Ganzkörperkneippen sogar gesund. Härtet ab. Und das Gefühl danach ist unbeschreiblich.

Wie gesagt: nur unter diesen Bedingungen. Nie allein. Step by Step – und wissend, dass es keine Schande, kein "Verlieren" ist, es heute nur zum Knie, zur Hüfte, zur Brust zu schaffen: Ich bin am Sonntag viermal rein- und rausgegangen. Jedes Mal ein Stück weiter. Immer bis die ruhige, kontrollierte Bauch- in ungesteuerte Brustatmung kippte. "Du hattest Panik in den Augen. Das ist normal und natürlich," sagte Köberl. Nach zwei Minuten draußen ging ich dann wieder rein. Diesmal, bei meiner ersten Session, brachte ich den Kopf nicht unter Wasser. Köberl lobte mich trotzdem ("Harter erster Einstieg. Trotzdem super gemacht.") Und die Neue Donau wird noch ein oder zwei Wochen reichlich frisch sein. Aber vor allem: Mir geht es weniger ums Eiswasser-Aushalten in der Badehose als ums Schwimmen. Darum, im Wasser zu sein.

Foto: thomas rottenberg

Und genau damit hatte ich mich in den letzten Wochen zumindest ein bisserl auf die Köberl-Nummer vorbereitet. Mit meinem Best Buddy Ed und "professionell" ausgerüstet: Ed und ich laborieren beide an der Krankheit "Triathlon", wir wollen gar nicht geheilt werden. Nicht zuletzt, weil wir uns beide ins Schwimmen verliebt haben. Ed schwimmt deutlich besser und schneller als ich – aber darum geht es nicht. Wichtiger ist, dass uns die Sperre der Schwimmbäder just zu der Zeit, wenn das Freiwasserschwimmen dann doch zaach wird, hart traf. Blöderweise können wir uns beide Pools mit Gegenstromanlage nicht leisten. Also suchten wir Plan B – und fanden ihn rasch: Ed ist Laufschuhhändler. Auch wenn sein Laden vor allem in der Traillaufszene als Instanz gilt, findet man hier auch vieles, was "Swimrunner" oder Triathleten im Wasser brauchen. Neoprenanzüge zum Beispiel.

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Freilich: Auch im "klassischen" Neo wird es irgendwann zuerst kalt – und danach saukalt. Bei weniger als 13 oder 14 Grad Wassertemperatur stößt ein normaler Schwimm-Neo bei Menschen mit durchschnittlichem Kälteempfinden meist an seine Grenzen: Es ist kein Zufall, dass Tauch-, Rafting- oder Surf-Anzüge meist viel dicker als jene Teile sind, mit denen Schwimmer ins Wasser gehen. Schließlich ist die Funktionalität eines Neos immer ein Kompromiss: Je dicker der synthetische Kautschuk, den der US-Chemiekonzern Dupont in den 1930er-Jahren entwickelt hat, ist, umso wärmer hält er. Und umso mehr Auftrieb gibt das für das Schwimmen aufgeschäumte Material.

Genau deshalb sind Wettkampf-Neos laut Tri-Reglement maximal fünf Millimeter dick. Und dort, wo man sich intensiv bewegt, etwa an den Schultern, deutlich dünner.

Foto: thomas rottenberg

Grob vereinfacht gesagt halten Neoprenanzüge im Wasser warm, weil sie wasserundurchlässig und hauteng sind. Arm- und Beinabschlüsse und der Kragen sollen möglichst eng anliegen, der Zipp abgedeckt sein. Wasser kommt in diese "Halbtrockenanzüge" natürlich trotzdem. Allerdings so wenig, dass es vom Körper angewärmt werden kann – und so die Isolierung des Gummianzuges noch verstärkt. Der Haken: Je enger und dichter der Anzug und je dicker das Material, umso unbeweglicher wird man darin. Und wenn das Wasser richtig kalt ist, erfrieren Normalempfindliche dann irgendwann auch im Wettkampfneo.

Foto: thomas rottenberg

Als Händler kennt Ed aber nicht nur den Markt, sondern auch ein paar Hersteller. Etwa das britische Label Blueseventy. Das stellt seit 1993 Ausrüstung für Spaß im Wasser her – und hat mit seinem Thermal-Reaction-Neo so etwas wie eine eierlegende und mit 500 Pfund alles andere als billige Wollmilchsau des Kaltwasserschwimmens auf dem Markt: Die Neoprendicke entspricht dem Reglement, innen ist das Teil aber mit irgendetwas gefüttert, das sich fast wie Wolle anfühlt. Laut dem Hersteller handelt es sich dabei um Zirconium – ein chemisches Element der 4. Neben- oder "Titangruppe".

Foto: thomas rottenberg

Wer da wieso die Idee hatte, Zirconium in einen Neoprenanzug zu geben, weiß ich nicht. Denn das korrosionsbeständige, aber ungiftige Schwermetall "Zr" wird sonst fast ausschließlich für die Hüllen von Uranbrennstäben in Kernkraftwerken verwendet. Wie sich ein AKW-Brennstab im Zirconium-Mantel fühlt, weiß ich nicht, Menschen hält er wärmer als der ebenfalls für kühles Wasser optimierte Openwater SW von Orca, mit dem Ed (er ist der kälteresistentere von uns beiden) in die beim ersten Versuch angeblich neun, beim zweiten dann nur noch sechs oder sieben Grad kühle Neue Donau stieg.

Der Orca ist dafür für das Rettungsbojensystem Restube vorbereitet. Man wird mit ihm deutlich besser gesehen. Und mit 380 Euro ist er viel günstiger. Aber sein größter Vorteil: Er ist verfügbar, der Blueseventy ist derzeit vergriffen. Nicht einmal zum Testen war ein zweiter verfügbar.

Foto: thomas rottenberg

Das hat einen Grund: Ed und ich sind nicht die Einzigen, die sich durch die Sperre der Schwimmbäder nicht am Schwimmen hindern lassen wollen. Spinner wie uns gibt es viele. Tausende. Und je kälter das Wasser und die Jahreszeit wird, umso weniger zählt der Preisunterschied.

Freilich: Es gibt auch grundvernünftige und sehr nachvollziehbare Argumente, jetzt aufs Schwimmtraining im Freiwasser zu verzichten. Genauer gesagt: nicht ausgerechnet jetzt damit anzufangen.

Der Sportmediziner Robert Fritz von der Wiener Sportordination gehört zu jenen Medizinern, die normalerweise großes Verständnis für sportliche "Spinnereien" haben. Hier aber warnt er ausdrücklich. Das (logischerweise) kürzere Schwimmen im eisigen Nass biete im Winter "keinen sinnvollen Trainingsreiz – weder für die Schwimmtechnik noch für das Herz-Kreislauf-System". Und "das Risiko einer Überlastung des Immunsystems" sei "absolut gegeben, und das macht im Moment halt besonders wenig Sinn."

Wobei Robert Fritz sein "Nein" doch einschränkt: "Kaltwassereinheiten sind sicher nicht so schwächend, wenn man das gewöhnt ist. Sonst würde ich es aber echt lassen."

Foto: thomas rottenberg

Genau so sagt es der Großmeister der Eisschwimmer, Josef Köberl, aber eh auch: "Man darf nach dem Sommer nicht aufhören, draußen zu schwimmen." Und man muss, abgesehen davon, tatsächlich gut schwimmen zu können, ein paar Regeln beachten.

Darum gehen Ed und ich nicht allein ins Wasser. Wir schwimmen nie ohne Sicherheitsboje. Bleiben in Ufernähe. Achten genau darauf, ob und wann Zehen oder Finger anfangen, klamm oder taub zu werden. Schauen, ob beim anderen die Lippen blass, der Blick unsicher oder die Bewegungen fahrig werden.

Reisen nicht mit dem Rad oder dem Motorrad an und haben zumindest eine Thermoskanne Tee mit. Bleiben nach dem Rauskommen so kurz wie möglich im Freien (und schon gar nicht im Wind), sondern packen uns danach nachgerade absurd warm ein.

Foto: thomas rottenberg

Und wir pfeifen auf das, was uns Zuschauer, Passanten oder sonst wer zuruft: Dass die uns für "Dings" (so schriebe es jemand im STANDARD-Forum) halten, ist ihr gutes Recht. Es ist ja auch nicht falsch. Aber vor allem ist dieses Stirntippen und "keine zehn Pferde"-Sagen gut, weil sicher für alle: Während einem beim Skifahren immer just die Ahnungslosesten ohne mit der Wimper zu zucken ins freie Gelände nachfahren (weil es ja einfach aussieht, die Berge für alle da sind und der Schnee draußen ja genauso weiß ist wie auf der Piste), bleiben einem Begegnungen mit Anwärtern auf den Darwin-Award im Freiwasser erspart.

Foto: thomas rottenberg

Drum tu ich mir jetzt ein bisserl schwer, diesen letzten Absatz zu schreiben. Weil ich niemanden dazu verleiten will, sich in Gefahr zu bringen.

Trotzdem: Dieses Gefühl ist einmalig – und dem Endorphinrausch beim Flug über einen unberührten, steilen Tiefschneehang sehr ähnlich. Wenn man sich überwunden hat. Wenn der Kälteschock des "Flutens" des Neos und der eisige Schlag in Gesicht und Nacken beim ersten Untertauchen überwunden sind. Wenn der Körper mit der Kühle, die einen bei jedem Zug anders umspielt, fast flirtet. Wenn der Blick in der klaren, ruhigen Kälte viel weiter und tiefer als sonst reicht. Wenn man dann, nachher und draußen, kurz glaubt, dass Zehen und Finger abfallen. Wenn …

Dann geht es nicht darum, wie weit oder schnell ich gerade geschwommen bin.

Sondern darum, nicht zu wissen, sondern zu spüren, was ich liebe: zu leben nämlich.

Foto: thomas rottenberg

Josef Köberl hält derzeit Corona-bedingt keine Schwimmkurse ab, lädt aber jeden Sonntag zum Online-Live-Eiswassercoaching. Zu finden sind diese Kurse am einfachsten über die IISA-Austria-Seite auf Facebook.

(Tom Rottenberg, 9.12.2020)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Neoprenanzüge wurden von den Herstellern zur Verfügung gestellt.


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