Dieses Jahr wird Weihnachten wohl besonders speziell werden. Mit wem verbringen wir den Heiligen Abend? Können wir uns vorher testen lassen? Gibt es überhaupt ein Weihnachtsfest? Neben all diesen Fragen, die auch mich beschäftigen, kommt mir die Adventzeit besonders schwierig vor. In meiner Wunschvorstellung wären wir schon Weihnachten 2018 mit einem Baby im Arm vor dem Weihnachtsbaum gesessen – oder hätten zumindest unsere Hände auf meinem schwangeren Bauch gehabt. Ich weiß, hier spielt einem die Fantasie leider Streiche. Ich hätte auch die Kekse auskotzend – weil schwanger – am Heiligen Abend am Klo hängen können.

Von den Bildern meiner Fantasie unterm Weihnachtsbaum fühle ich mich mittlerweile sehr weit weg. Auch 2020 wird es kein Baby und keinen Bauch unter dem Weihnachtsbaum geben. Dafür – Corona sei Dank – auch keine Blicke von Verwandten auf meinen Bauch, die mich verstohlen fragen: "Nimmst du ein Glas Sekt?"

Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag: "Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!" und kriegten immer keins. ("Dornröschen", Gebrüder Grimm)

Jeden Monat die trügerische Hoffnung

Unfruchtbarkeit ist eines der Urthemen der Menschheit. Von den Märchen der Gebrüder Grimm bis zur Bibel begegne ich ihr. Die Erzmutter Sara musste auf ihren leiblichen Sohn Isaak 70 Jahre lang warten – sie wurde mit 90 Jahren Mutter. Heute ist es die Reproduktionsmedizin, die diese Wünsche scheinbar erfüllen kann und frau mit 67 noch Leihmutter für die eigene Tochter werden lässt.

Doch die Reproduktionsmedizin, in die mein Mann und ich die letzten zwei Jahre unser Geld, unsere Energie und unsere Zeit gesteckt haben, hat ihre Grenzen. Das sagt den hoffnungsfrohen Paaren beim Erstgespräch im Kinderwunschzentrum leider niemand so deutlich. "Alles in Ordnung! Das dauert vielleicht nur statistisch ein bisschen länger!", hörten wir vor zwei Jahren vom zuständigen Mediziner. Er hätte uns lieber vorwarnen sollen: "Machen Sie sich's bequem, Sie verbringen mit uns viel Zeit in den nächsten paar Jahren!" Das wäre die passendere Begrüßung gewesen. Doch darauf bereitet einen niemand vor. Stattdessen jeden Monat die trügerische Hoffnung: Es klappt jetzt sicher! Und mit den Inseminationen und künstlichen Befruchtungen kommt die noch größere Hoffnung – und damit auch die noch größere Enttäuschung.

Austausch unter den Betroffenen und professionelle Hilfe kommen zu kurz.
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Nebenwirkung: Depressionen

Im Artikel "Kinderwunsch: Von wegen natürlichste Sache der Welt" habe ich beschrieben, wie diese Strapazen aussehen und wie anstrengend es in diesem "System" ist – körperlich und seelisch. Am Anfang habe ich mich so hilflos gefühlt, weil es auch kaum professionelle Unterstützung gab beziehungsweise gibt und die medizinischen Fragen auch schwierig zu bewältigen sind. In Deutschland gibt es seit 21 Jahren einen eigenen Verband, das Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland. Der Verein vernetzt Fachkräfte, die psychosoziale Kinderwunschberatung anbieten, erstellt Leit- und Richtlinien für die Kinderwunschberatung und bietet Informationen für Ärztinnen und Ärzte an. In Österreich gibt es kein ähnliches Netzwerk. In den USA oder Großbritannien gibt es zahlreiche Coaches, Podcasts und Beratung zum Thema.

Ja, die Kinderwunschzentren empfehlen, Therapie in Anspruch zu nehmen. Das unterschreiben Paare als Teil des Vertrages. Manche Kinderwunschzentren haben auch eigene Angebote oder geben Listen aus. In meinem Fall gab es Anspruch auf eine Stunde mit einer Psychotherapeutin bei einem Fehlversuch. Wenn ich das nicht zufällig auf der Website gelesen hätte – niemand hätte mich darauf aufmerksam gemacht.

Eigentlich alle Medikamente, die ich einnehmen musste während der Kinderwunschbehandlungen, hatten Depressionen als Nebenwirkung in der Packungsbeilage genannt. Kein Arzt und keine Ärztin haben mich in der Behandlung je gefragt, ob ich zu Depressionen neige oder familiär vorbelastet bin. Auch während der Covid-19-Pandemie finden seit Mai wieder Behandlungen statt. In einer Zeit, wo die psychischen Erkrankungen wahrscheinlich auch ohne Kinderwunsch zunehmen (werden).

Austausch, Vernetzung und Selbsthilfegruppe

Ich lese – durch meinen Blog – in zahlreichen Foren die Schicksale anderer Frauen und Paare. Frauen, die sich wegen Endometriose operieren lassen, um eine In-vitro-Fertilisation (IVF) durchführen zu können. Und dann springt der Freund in der letzten Minute vor der IVF ab. Frauen, die schon zwei Fehlgeburten hinter sich haben, aber trotzdem nicht aufgeben. Ich weiß meistens nicht, wie diese Geschichten ausgehen. Doch gerade durch meinen Blog habe ich immer wieder Nachrichten bekommen: Ich hab's geschafft! Ich halte mein Baby in den Armen. Es hat sechs Versuche gebraucht, aber lass dich nicht unterkriegen! Es gibt Hoffnung.

Und genau dieser Austausch hat mir damals gefehlt – weil es auch keine Selbsthilfegruppe von betroffenen Frauen gegeben hat, bis ich sie im Oktober offiziell gegründet habe. (Un-)Fruchtbarkeit ist nach wie vor ein Tabuthema. Dabei hilft der Austausch mit anderen Betroffenen über Medikamente, Behandlungen und die eigenen Gefühle oft schon, neue Energien zu tanken.

Und vielleicht auch wieder Fantasien zu haben, irgendwann mit einem Kind unter dem Weihnachtsbaum zu sitzen. (Christina Mayermann, 15.12.2020)