Was haben Leintücher mit Islamisten zu tun? A priori nichts. Und doch ist in Frankreich eine hitzige Debatte darüber entbrannt. Anlass ist das Gesetz über die "republikanischen Prinzipien", das Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch nach monatelangen Vorarbeiten vorgestellt – und nach den jüngsten Terroranschläge verschärft – hat.

Ärzten wird zum Beispiel untersagt, sogenannte Jungfräulichkeitszertifikate auszustellen. Solche "Beweise" verlangen gewisse muslimische Bräutigame, um sicherzugehen, dass sie eine Jungfrau ehelichen. Einzelne Frauenärzte befürchten, dass Frauen wegen des neuen Verbots umso mehr dem "Leintuchtest" unterworfen würden: Ist das Hymen (Jungfernhäutchen) noch intakt, beginnt es beim Geschlechtsakt zu bluten und hinterlässt einen Fleck auf dem Betttuch. Die Gynäkologin Ghada Hatem sagt, solche Zertifikate seien zwar ein Zeichen eines rückständigen Geschlechterbilds, doch könne ein Verbot jungen Frauen gefährlich werden: Viele würden von ihrer Familie bedroht, weil sie vor der Ehe nicht "rein" geblieben seien. Deshalb stellt Hatem selbst "falsche" Zertifikate aus, wie sie einräumt.

Zertifikate, Zwangsehen, Polygamie

Feministinnen haben erreicht, dass die Regierung das Zertifikatsverbot dem Parlament im kommenden Jahr ohne Abstriche unterbreiten wird. Auch Zwangsehen sollen verhindert werden; Bürgermeister erhalten deshalb das Recht, bei begründetem Verdacht eine getrennte Aussprache mit der Braut zu erwirken. Polygamie soll zudem mit dem Verlust der Aufenthaltsbewilligung in Frankreich geahndet werden.

Nach dem Mord an Samuel Paty versammelten sich tausende Menschen zu einer Gedenkveranstaltung auf der Place de la République.
Foto: AFP/Guay

All dies packt die Regierung in ihren Kampf gegen den "islamistischen Separatismus" und sein Vordringen in den französischen Vorstädten. Jeder Einzelpunkt hat seine Tücken. Macron wollte zuerst auch das Homeschooling völlig verbieten, um den Hausunterricht durch salafistische Eltern zu unterbinden. Nun zeigt sich, dass die außerschulische Bildung in Frankreich auch in anderen, etwa katholischen oder libertären Kreisen relativ verbreitet ist. Auf Einspruch des Staatsrats hin gilt das Verbot nur noch für "antirepublikanischen" Unterricht.

Druck radikaler Vereine

Die Regierung packt auch heiße Eisen wie den getrennten Schwimmunterricht für Frauen und Männer oder religiöse Menüs in Schulkantinen an. Bisher waren die Bürgermeister der Gemeinden dafür zuständig. Doch sie stehen in einzelnen Banlieue-Vierteln unter zunehmendem Druck radikaler Islamvereine. Der Staat versucht ihnen nun "den Rücken zu stärken", wie es im Elysée heißt: In Zukunft können die Polizeipräfekte das "republikanische Prinzip" der absoluten Gleichbehandlung in Schwimmbädern und Kantinen durchsetzen.

Kopien eines Cartoons des ermordeten "Charlie Hebdo"-Zeichners Charb bilden den Schriftzug "Laicité" in Montreuil.
Foto: AFP

Überwachen sollen sie auch Schulausflüge. Ein geradezu explosives Thema in Frankreich: Im Visier sind Eltern, die auf solchen Exkursionen ein Kopftuch tragen. Lehrerinnen dürfen das in Frankreich nicht, da sie im öffentlichen Dienst dem Kopftuchverbot von 2005 unterliegen. Doch was gilt für begleitende Mütter auf Schulausflügen? Ist das Kopftuch auch ein Versuch von Islamistinnen, den französischen Laizismus zu sabotieren, wie in Frankreich rasch der Verdacht lautet?

Gefährdung der Privatsphäre

Direkt mit den Terroranschlägen ist eine einzige Neuerung verknüpft: Das Gesetz schafft ein Delikt der "Gefährdung der Privatsphäre" von Bürgern via Internet. Es versucht den Umstand zu erfassen, dass ein notorischer Islamist die Schuladresse des später enthaupteten Geschichtelehrers Samuel Paty über soziale Netzwerke verbreitet hatte. Direkt "gehetzt" hatte er nicht, weshalb der bestehende Tatbestand der Belästigung nicht greift. Und die Hassprediger kennen den Rechtsrahmen heute sehr genau und wissen die Regeln auch zu umgehen.

Ein zweiter Teil des Gesetzes richtet sich gegen radikale Moscheen. Noch bevor es in Kraft ist, kündigte Innenminister Gérald Darmanin vergangene Woche die Kontrolle von 76 radikalislamischen Gebetsorten an. Die Regierung will generell die Zulassung und Ausbildung der Imame – die meisten kommen aus Algerien, Marokko und der Türkei – in Frankreich besser regeln.

Hohe Hürden

Obligatorisch wird eine Aufstellung der Finanzhilfe aus dem Ausland. Moscheevereine erhalten das Recht, in Frankreich Spenden entgegenzunehmen, Gebäude zu vermieten und mit den Einkünften Imame auszubilden. Darmanin hält den islamischen Kultusdachrat CFCM ferner an, einen "Imam-Rat" zu bilden, der Kriterien für Ausbildung und Anstellung seiner Mitglieder aufstellen soll.

Mehr ist nicht drin: Wegen der scharfen Trennung von Kirche und Staat kann der Gesetzgeber nur indirekt in die Finanzierung der Moscheen und die Ausbildung der Imame eingreifen. Macrons Versprechen, dass die Imame ab 2024 in Frankreich selbst ausgebildet werden müssten, ist deshalb kaum durchsetzbar. So entschlossen der Präsident gegen den Islamismus vorgehen will, so hoch sind die praktischen und rechtlichen Hürden.

Moscheen fühlen sich verfolgt

Und die meisten Fragen sind nicht nur rechtlich, sondern auch politisch umstritten. Kurz vor Patys Ermordung hatten sich hundert Moscheen aus dem Großraum Paris in einem offenen Brief beklagt, sie würden von den Behörden "verfolgt", obwohl sie keinerlei islamistische Neigungen verfolgten oder an den Tag gelegt hätten. "Die Diskriminierung und Stigmatisierung hat ein nie gekanntes Ausmaß angenommen", klagten sie. Zudem warfen sie Macron vor, er unterscheide nicht zwischen islamischen und islamistischen Äußerungen. Der Vorwurf gilt einem Präsidenten, der von sich behauptet, er habe nie den Islam im Visier, sondern einzig die "radikale Ideologie" des Islamismus.

Das neue Gesetz zeigt allerdings selbst auf, wie schwierig die Unterscheidung für die Behörden geworden ist. Der Vorwurf, der laizistischen Republik Frankreich wohne ein Generalverdacht gegen den Islam inne, ist zweifellos fehl am Platz. Unbestreitbar ist aber, dass sich der öffentliche Diskurs – wie nun auch der neue Gesetzesentwurf – auf repressive und dirigistische Maßnahmen beschränkt. Ebenso wichtig wäre der Versuch, die gemäßigten Muslime in das "französische" Leben einzubinden. (Stefan Brändle aus Paris, 9.12.2020)