Der Schuldenstand Österreichs dürfte von 70,5 Prozent des BIP im Jahr 2019 auf knapp über 87 Prozent im Jahr 2021 steigen.

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Wer zahlt die Zeche für die Corona-Krise? So lautet eine der zentralen Fragen in der Pandemie. Aktuell zeichnen sich mehrere Antwortmöglichkeiten ab. Da gibt es das optimistische Szenario. Diesem zufolge muss niemand für die Krisenkosten aufkommen. Vertreter dieser Strömung argumentieren so: Die Verschuldung Österreichs sei zwar stark gestiegen, aber dank niedriger Zinsen für die neuen Schulden und eines kräftigen Wirtschaftswachstums in den kommenden Jahren könnten wir Schulden entwachsen.

Nun sind die Zinsen tatsächlich gerade extrem niedrig. Gegen diese Theorie spricht freilich, dass die Ausgaben des Staates tendenziell in den kommenden Jahren weiter steigen werden – sei es für Löhne von Lehrern und Polizisten, sei es für Ausgaben für Pflege, Pensionen und Klimaschutz oder Bildung. Diese höheren Ausgaben müssen vor dem Hintergrund niedrigerer Einnahmen finanziert werden, denn die Wirtschaftsleistung ist stark gesunken – und damit auch die Steuereinnahmen, auf die der Staat in nächster Zeit hoffen darf.

Alternativ wird schon um die Verteilungsfrage gerungen. Unter Sozialdemokraten wie Gewerkschaftern wird die Forderung nach höheren Vermögenssteuern lauter, in Deutschland etwa spricht sich aktuell SPD-Chef und Kanzlerkandidat Olaf Scholz dafür aus. In Österreich spielen vermögensbezogene Steuern eine untergeordnete Rolle, hier gäbe es also im internationalen Vergleich Spielraum. Eine andere Alternative, die unter marktliberalen Ökonomen Anhänger findet, lautet, bei langfristigen Ausgaben zu sparen, und zwar dort, wo sie in Österreich besonders hoch sind. Stichwort: Pensionen. Möglich wäre auch, eben nicht zusätzliches Geld für Klima und Pflege auszugeben. Alles eine Abwägungsfrage.

Neuverschuldung steigt im Rekordtempo

Wer immer solche Überlegungen wälzt, muss zunächst die wesentlichen Fakten kennen. Gut herauslesen lassen sich diese aus dem Bericht des Fiskalrats, der als Gremium im Auftrag des Staates die Budgetlage überwachen und kommentieren soll. Am Mittwoch hat Fiskalratschef Martin Kocher, der auch das Institut für Höhere Studien (IHS) leitet, die neuesten Berechnungen des Gremiums präsentiert.

Auffallend war: Die Neuverschuldung in Österreich steigt nicht nur im Vergleich mit früheren Jahren sehr stark an, sondern wird auch deutlich stärker zulegen als jene im Nachbarland Deutschland. Auf konkrete Aussagen dazu, wie es in puncto Ausgaben weitergehen soll, will sich der Fiskalrat nicht festlegen.

Zu den Zahlen: Die Gesamtbelastung der Covid-19-Pandemie für das Budget beläuft sich laut neuen Prognose auf 38,3 Milliarden Euro für das Jahr 2020 und weitere 22,5 Milliarden Euro im Jahr 2021.

Diese Zahlen ergeben sich durch zwei Effekte: einmal, weil die Regierung viel Geld in die Hand genommen hat für Unternehmenshilfen, Kurzarbeit, Steuersenkungen, Förderungen. Parallel dazu hat der Staat auch viel weniger Einnahmen, sei es, weil Steuern gestundet wurden, oder weil Unternehmen wie Bürger durch die Krise tatsächlich weniger verdient haben.

Defizit über zehn Prozent

Österreichs Defizit, also die Neuverschuldung, steigt demnach heuer auf 10,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Im kommenden Jahr werden 6,4 Prozent Defizit erwartet. Zum Vergleich: Vor der Krise gab es einen kleinen Überschuss im Budget, im Vergleich dazu hat sich das Budgetsaldo um 40 Milliarden Euro verschlechtert. Am Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, im Jahr 2009, lag das Defizit bei 5,3 Prozent. Und noch ein Vergleich zur Einordnung: In Deutschland ist die Entwicklung deutlich moderater, der deutsche Sachverständigenrat für die Wirtschaft, ein Gremium von Ökonomen, erwartet knapp über fünf Prozent Defizit für die Bundesrepublik Deutschland.

Warum steigt das Defizit in Österreich so viel stärker an als in Deutschland?

Für den Unterschied zu Deutschland gibt es laut Martin Kocher zwei Erklärungen: Einmal liegt es daran, dass die Pandemie in Österreich härter gewütet hat, einen zweiten, scharfen Lockdown gab es in Deutschland im Gegensatz zu Österreich bisher nicht. Zugleich spielt der Tourismus in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Die zweite Erklärung ist aber, dass Österreich für "einige Programme höhere Ausgaben" in Kauf nimmt, wie Kocher sagt.

Diskutiert wurde in Österreich etwa, dass die Umsatzhilfen hier sehr generös ausgestaltet sind, Posten wie die Kurzarbeit nicht eingerechnet werden, während das in Deutschland schon der Fall ist.

Spielraum wird nicht kleiner

Was sind aber die Konsequenzen aus dieser Entwicklung, wer zahlt also die Zeche? Zunächst ist wichtig festzuhalten, dass die unmittelbaren Auswirkungen der Krise nicht spürbar werden.

Das Zinsniveau fällt global schon seit Jahrzehnten, und die Europäische Zentralbank (EZB) hat als Folge der Krise noch einmal nachgedrückt und die Zinsen weiter gesenkt. Die Neuverschuldung Österreichs steigt sowohl 2020 als auch 2021 an. Das Land zahlt aber in beiden Jahren insgesamt dennoch weniger Zinsen auf diese Schulden, weil alte, teurere Schuldscheine auslaufen und durch neuere, aus Sicht der Republik günstigere ersetzt werden. Die höheren Schulden nehmen also keinen Spielraum weg.

Doch der Fiskalrat empfiehlt sehr wohl als langfristiges politisches Ziel die Rückführung der Staatsverschuldung. Einerseits, um für künftige Krisen gewappnet zu sein und finanziellen Spielraum zu haben. Zugleich aber, weil Zinsen nicht immer so niedrig sein müssen.

Doch diese Aufgabe wird nicht einfach. Der Fiskalrat rechnet vor, dass es bei einem Wirtschaftswachstum von nominell drei Prozent im Jahr und einer Neuverschuldung von 1,5 Prozent bis 2040 dauern würde, um den Schuldenstand auf das Niveau vor der Krise zu drücken. Geht die Neuverschuldung gegen null und das nominelle Wachstum liegt bei zwei Prozent pro Jahr, dauert es bis 2029.

Pensionen anpassen

Empfiehlt der Fiskalrat also ein Sparpaket? Kocher sagt dazu: "Wenn wir zur Ausgabenstruktur vor der Krise zurückkehren, sehe ich eine Chance dazu, dass wir kein großes Sparpaket brauchen, sofern mittelfristig Strukturreformen angegangen werden." Was sind mittelfristige Strukturreformen? Kocher nennt als ein Beispiel "Pensionsanpassungen".

Ein anderes Beispiel, das am Mittwoch diskutiert wurde, sind Reformen beim Föderalismus in Österreich. Genaue Zahlen dazu, wie sehr Pensionen gekürzt werden müssten oder wie viele Milliarden bei der Verwaltung eingespart werden müssten, damit die Rechnung aufgeht, gibt es aber nicht. Kocher argumentiert, dass zunächst das Ende der Pandemie abgewartet werden muss, um einen realistischeren Ausblick machen zu können. Hinzu kommt, dass in der EU die Regeln für die Zeit nach der Pandemie diskutiert werden. Auch von dort werden also Vorgaben für das Budget kommen.

Was also ist die richtige Antwort auf die Krise? Es bleibt eine Abwägungssache. (András Szigetvari, 9.12.2020)